geistes, welche Ibn Roschd als in der Vernunftwissenschaft begründet anerkennt1).
Was trennt diese Theorie noch von Spinozas unendlichem göttlichen Intellekt oder von dem Panlogismus der deutschen Identitätsphilosophie? Innerhalb des naturwissenschaftlichen Den- kens ist es die astronomische Konstruktion der Welt, welche Gott räumlich von der Welt sondert und den Bezirk der vollkommenen, unveränderlichen Bewegungen noch von dem der Veränderlich- keit, des Entstehens und Vergehens scheidet. So entsteht bei den arabischen Peripatetikern die emanatistische Form des Pan- logismus, welche der pantheistischen vorausgeht. Das Schema entspringt, nach welchem einerseits ein Bewegungssystem sich ab- wärts in der Welt abstuft, andrerseits ein Wissen. Von der Wissenschaft Gottes strahlt das Wissen aus und, dem Lichte gleich, das in die trübe Atmosphäre hineinscheint, zerstreut es sich und schwächt sich ab, indem es von einem Weltkreise der Bewegung zum andern sich fortpflanzt. So trennen sich in der emanatisti- schen Vorstellung des Ibn Roschd Intelligenzen von einander, bis zu dem separaten Intellekt abwärts, der im menschlichen Denken sich der Seele verbindet. Das ist der ganz vergängliche Theil der berühmten Theorie des Ibn Roschd vom gesonderten einheit- lichen Intellekt, welche so viele Federn im christlichen Abendlande in Bewegung setzte.
Zwischen dieser Wissenschaft von dem gedanken- mäßigen Zusammenhang des Kosmos und der Lehre von einem wirklichen Willen in Gott besteht ein unauflösbarer Widerspruch. Der unerbittliche Scharfsinn des Ibn Roschd hat ihn erkannt und schließt den freien Willen in Gott durch folgende Beweisführung aus2). Die Welt ist entweder möglich in dem
1) Das Nähere hierüber bei Renan Averroes 3 p. 152 ff. und exakter bei Munk, Le guide des egares, traite de theologie et de philosophie t. I p. 434 Note 4. -- Die Verschiebung der Beweise, nach welcher Ibn Roschd hauptsächlich von der Thatsache der abstrakten Wissenschaft ausgeht, ist angedeutet und belegt S. 400.
2) Philosophie und Theologie des Averroes (Müller) S. 79 ff.
Emanatiſtiſche Form des Panlogismus.
geiſtes, welche Ibn Roſchd als in der Vernunftwiſſenſchaft begründet anerkennt1).
Was trennt dieſe Theorie noch von Spinozas unendlichem göttlichen Intellekt oder von dem Panlogismus der deutſchen Identitätsphiloſophie? Innerhalb des naturwiſſenſchaftlichen Den- kens iſt es die aſtronomiſche Konſtruktion der Welt, welche Gott räumlich von der Welt ſondert und den Bezirk der vollkommenen, unveränderlichen Bewegungen noch von dem der Veränderlich- keit, des Entſtehens und Vergehens ſcheidet. So entſteht bei den arabiſchen Peripatetikern die emanatiſtiſche Form des Pan- logismus, welche der pantheiſtiſchen vorausgeht. Das Schema entſpringt, nach welchem einerſeits ein Bewegungsſyſtem ſich ab- wärts in der Welt abſtuft, andrerſeits ein Wiſſen. Von der Wiſſenſchaft Gottes ſtrahlt das Wiſſen aus und, dem Lichte gleich, das in die trübe Atmoſphäre hineinſcheint, zerſtreut es ſich und ſchwächt ſich ab, indem es von einem Weltkreiſe der Bewegung zum andern ſich fortpflanzt. So trennen ſich in der emanatiſti- ſchen Vorſtellung des Ibn Roſchd Intelligenzen von einander, bis zu dem ſeparaten Intellekt abwärts, der im menſchlichen Denken ſich der Seele verbindet. Das iſt der ganz vergängliche Theil der berühmten Theorie des Ibn Roſchd vom geſonderten einheit- lichen Intellekt, welche ſo viele Federn im chriſtlichen Abendlande in Bewegung ſetzte.
Zwiſchen dieſer Wiſſenſchaft von dem gedanken- mäßigen Zuſammenhang des Kosmos und der Lehre von einem wirklichen Willen in Gott beſteht ein unauflösbarer Widerſpruch. Der unerbittliche Scharfſinn des Ibn Roſchd hat ihn erkannt und ſchließt den freien Willen in Gott durch folgende Beweisführung aus2). Die Welt iſt entweder möglich in dem
1) Das Nähere hierüber bei Renan Averroès 3 p. 152 ff. und exakter bei Munk, Le guide des égarés, traité de théologie et de philosophie t. I p. 434 Note 4. — Die Verſchiebung der Beweiſe, nach welcher Ibn Roſchd hauptſächlich von der Thatſache der abſtrakten Wiſſenſchaft ausgeht, iſt angedeutet und belegt S. 400.
2) Philoſophie und Theologie des Averroes (Müller) S. 79 ff.
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Emanatiſtiſche Form des Panlogismus.
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anerkennt 1).
Was trennt dieſe Theorie noch von Spinozas unendlichem
göttlichen Intellekt oder von dem Panlogismus der deutſchen
Identitätsphiloſophie? Innerhalb des naturwiſſenſchaftlichen Den-
kens iſt es die aſtronomiſche Konſtruktion der Welt, welche Gott
räumlich von der Welt ſondert und den Bezirk der vollkommenen,
unveränderlichen Bewegungen noch von dem der Veränderlich-
keit, des Entſtehens und Vergehens ſcheidet. So entſteht bei den
arabiſchen Peripatetikern die emanatiſtiſche Form des Pan-
logismus, welche der pantheiſtiſchen vorausgeht. Das Schema
entſpringt, nach welchem einerſeits ein Bewegungsſyſtem ſich ab-
wärts in der Welt abſtuft, andrerſeits ein Wiſſen. Von der
Wiſſenſchaft Gottes ſtrahlt das Wiſſen aus und, dem Lichte gleich,
das in die trübe Atmoſphäre hineinſcheint, zerſtreut es ſich und
ſchwächt ſich ab, indem es von einem Weltkreiſe der Bewegung
zum andern ſich fortpflanzt. So trennen ſich in der emanatiſti-
ſchen Vorſtellung des Ibn Roſchd Intelligenzen von einander, bis
zu dem ſeparaten Intellekt abwärts, der im menſchlichen Denken
ſich der Seele verbindet. Das iſt der ganz vergängliche Theil
der berühmten Theorie des Ibn Roſchd vom geſonderten einheit-
lichen Intellekt, welche ſo viele Federn im chriſtlichen Abendlande
in Bewegung ſetzte.
Zwiſchen dieſer Wiſſenſchaft von dem gedanken-
mäßigen Zuſammenhang des Kosmos und der Lehre von
einem wirklichen Willen in Gott beſteht ein unauflösbarer
Widerſpruch. Der unerbittliche Scharfſinn des Ibn Roſchd
hat ihn erkannt und ſchließt den freien Willen in Gott durch folgende
Beweisführung aus 2). Die Welt iſt entweder möglich in dem
1) Das Nähere hierüber bei Renan Averroès 3 p. 152 ff. und exakter
bei Munk, Le guide des égarés, traité de théologie et de philosophie
t. I p. 434 Note 4. — Die Verſchiebung der Beweiſe, nach welcher Ibn
Roſchd hauptſächlich von der Thatſache der abſtrakten Wiſſenſchaft ausgeht,
iſt angedeutet und belegt S. 400.
2) Philoſophie und Theologie des Averroes (Müller) S. 79 ff.
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/430>, abgerufen am 16.02.2025.
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