Die Peripatetiker des Islam standen, wie wir sahen, in Zusammenhang mit der älteren peripatetischen Schule und unter dem Eindruck der fortschreitenden Naturerkenntniß. Sie zogen aus der Art, wie vom Studium der Außenwelt aus der meta- physische Zusammenhang erscheint, eine Folgerung, welche die Ver- nunftwissenschaft des Aristoteles einen Schritt weiter, Spinoza und dem modernen intellektualistischen Pantheismus entgegen führte1). Verbleibt man innerhalb des Studiums der äußeren Wirklich- keit, so gilt das: ex nihilo nihil fit2). Von dieser Voraus- setzung aus hält Ibn Roschd an der aristotelischen Ewigkeit der Welt fest. Der gedankenmäßige Zusammenhang dieser ewigen Welt steht nun mit dem Verstande Gottes und zugleich mit dem menschlichen Intellekt in Beziehung. Dies für die Vernunftwissen- schaft grundlegende Verhältniß empfängt bei den arabischen Peripa- tetikern, insbesondere bei Ibn Roschd eine geänderte Fassung, indem der letztere nach dem Vorgang des Ibn Badja die menschlichen Einzelintelligenzen nicht von einander trennt, sondern als in dem universellen Verstande enthalten betrachtet. So entsteht die erste Formel dessen, was dann als unendlicher Intellekt Gottes bei Spinoza, als Weltvernunft in der deutschen Spekulation erscheint.
Diese Einheit des in der reinen Erkenntniß wirksamen Intellekts erscheint unter einem bestimmten Gesichtspunkt als berechtigte Konsequenz der aristotelischen Vernunftwissenschaft.
Abstrahirt man von den Erfahrungen des Willens, so liegt in dem isolirt betrachteten Intellekt thatsächlich ein über das In- dividuum hinausreichender Zusammenhang, vermöge dessen die Prämissen des Denkens von Aristoteles in das Denken des Plato
1) Das dritte Buch der Psychologie des Aristoteles wurde der Aus- gangspunkt für die Lehre vom einheitlichen Intellekt: Alexander von Aphro- disias, Themistius, die pseudoaristotelische Theologie entwickelten sie, und die arabischen Peripatetiker benutzten die Theorien vom leidenden und thätigen Verstande bei Alexander und Themistius.
2) Die eingeschränkte Geltung des Satzes ex nihilo nihil fit hat schon Thomas von Aquino erkannt: der Satz hat keine Geltung für die trans- scendente Ursache, contra gentil. II c. 10. 16. 17. 37.
Zweites Buch. Dritter Abſchnitt.
Die Peripatetiker des Islam ſtanden, wie wir ſahen, in Zuſammenhang mit der älteren peripatetiſchen Schule und unter dem Eindruck der fortſchreitenden Naturerkenntniß. Sie zogen aus der Art, wie vom Studium der Außenwelt aus der meta- phyſiſche Zuſammenhang erſcheint, eine Folgerung, welche die Ver- nunftwiſſenſchaft des Ariſtoteles einen Schritt weiter, Spinoza und dem modernen intellektualiſtiſchen Pantheismus entgegen führte1). Verbleibt man innerhalb des Studiums der äußeren Wirklich- keit, ſo gilt das: ex nihilo nihil fit2). Von dieſer Voraus- ſetzung aus hält Ibn Roſchd an der ariſtoteliſchen Ewigkeit der Welt feſt. Der gedankenmäßige Zuſammenhang dieſer ewigen Welt ſteht nun mit dem Verſtande Gottes und zugleich mit dem menſchlichen Intellekt in Beziehung. Dies für die Vernunftwiſſen- ſchaft grundlegende Verhältniß empfängt bei den arabiſchen Peripa- tetikern, insbeſondere bei Ibn Roſchd eine geänderte Faſſung, indem der letztere nach dem Vorgang des Ibn Badja die menſchlichen Einzelintelligenzen nicht von einander trennt, ſondern als in dem univerſellen Verſtande enthalten betrachtet. So entſteht die erſte Formel deſſen, was dann als unendlicher Intellekt Gottes bei Spinoza, als Weltvernunft in der deutſchen Spekulation erſcheint.
Dieſe Einheit des in der reinen Erkenntniß wirkſamen Intellekts erſcheint unter einem beſtimmten Geſichtspunkt als berechtigte Konſequenz der ariſtoteliſchen Vernunftwiſſenſchaft.
Abſtrahirt man von den Erfahrungen des Willens, ſo liegt in dem iſolirt betrachteten Intellekt thatſächlich ein über das In- dividuum hinausreichender Zuſammenhang, vermöge deſſen die Prämiſſen des Denkens von Ariſtoteles in das Denken des Plato
1) Das dritte Buch der Pſychologie des Ariſtoteles wurde der Aus- gangspunkt für die Lehre vom einheitlichen Intellekt: Alexander von Aphro- diſias, Themiſtius, die pſeudoariſtoteliſche Theologie entwickelten ſie, und die arabiſchen Peripatetiker benutzten die Theorien vom leidenden und thätigen Verſtande bei Alexander und Themiſtius.
2) Die eingeſchränkte Geltung des Satzes ex nihilo nihil fit hat ſchon Thomas von Aquino erkannt: der Satz hat keine Geltung für die trans- ſcendente Urſache, contra gentil. II c. 10. 16. 17. 37.
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Zweites Buch. Dritter Abſchnitt.
Die Peripatetiker des Islam ſtanden, wie wir ſahen,
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unter dem Eindruck der fortſchreitenden Naturerkenntniß. Sie zogen
aus der Art, wie vom Studium der Außenwelt aus der meta-
phyſiſche Zuſammenhang erſcheint, eine Folgerung, welche die Ver-
nunftwiſſenſchaft des Ariſtoteles einen Schritt weiter, Spinoza und
dem modernen intellektualiſtiſchen Pantheismus entgegen führte 1).
Verbleibt man innerhalb des Studiums der äußeren Wirklich-
keit, ſo gilt das: ex nihilo nihil fit 2). Von dieſer Voraus-
ſetzung aus hält Ibn Roſchd an der ariſtoteliſchen Ewigkeit der
Welt feſt. Der gedankenmäßige Zuſammenhang dieſer ewigen
Welt ſteht nun mit dem Verſtande Gottes und zugleich mit dem
menſchlichen Intellekt in Beziehung. Dies für die Vernunftwiſſen-
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tetikern, insbeſondere bei Ibn Roſchd eine geänderte Faſſung, indem
der letztere nach dem Vorgang des Ibn Badja die menſchlichen
Einzelintelligenzen nicht von einander trennt, ſondern als in dem
univerſellen Verſtande enthalten betrachtet. So entſteht die erſte
Formel deſſen, was dann als unendlicher Intellekt Gottes bei
Spinoza, als Weltvernunft in der deutſchen Spekulation erſcheint.
Dieſe Einheit des in der reinen Erkenntniß wirkſamen
Intellekts erſcheint unter einem beſtimmten Geſichtspunkt als
berechtigte Konſequenz der ariſtoteliſchen Vernunftwiſſenſchaft.
Abſtrahirt man von den Erfahrungen des Willens, ſo liegt
in dem iſolirt betrachteten Intellekt thatſächlich ein über das In-
dividuum hinausreichender Zuſammenhang, vermöge deſſen die
Prämiſſen des Denkens von Ariſtoteles in das Denken des Plato
1) Das dritte Buch der Pſychologie des Ariſtoteles wurde der Aus-
gangspunkt für die Lehre vom einheitlichen Intellekt: Alexander von Aphro-
diſias, Themiſtius, die pſeudoariſtoteliſche Theologie entwickelten ſie, und
die arabiſchen Peripatetiker benutzten die Theorien vom leidenden und
thätigen Verſtande bei Alexander und Themiſtius.
2) Die eingeſchränkte Geltung des Satzes ex nihilo nihil fit hat ſchon
Thomas von Aquino erkannt: der Satz hat keine Geltung für die trans-
ſcendente Urſache, contra gentil. II c. 10. 16. 17. 37.
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/427>, abgerufen am 16.02.2025.
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