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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Zweites Buch. Dritter Abschnitt.
1. Abschluß der Metaphysik der substantialen
Formen
.

Indem jetzt mit der Theologie der monotheistischen Religionen
die Wissenschaft vom Kosmos verknüpft wurde, entsprangen zwar
weitere unlösbare Schwierigkeiten, welche die Zersetzung der mittel-
alterlichen Metaphysik herbeigeführt haben, jedoch so lange sie ver-
deckt werden konnten und das Gute des Willens mit dem Ver-
nünftigen des Denkens, das Christliche mit der griechischen Ver-
nunftwissenschaft in eins gesetzt wurden, ergab sich hieraus die
Geltung einer glänzenden Formel, welche die bisherige Meta-
physik
zu systematischer Einheit abschloß.

Zunächst substituirte man den analytischen Ergebnissen des
Plato und Aristoteles, welche letzte Voraussetzungen des Kosmos
enthalten, den konstruktiven philonisch-neuplatonischen Gedanken.
Nach demselben haben die Ideen in Gott ihren Ort, und von
dieser intelligiblen Welt strahlen die das All durchwirkenden Kräfte
aus. Diesen Gedanken hatte Augustinus, wie es andere Kirchen-
väter gethan, in die Philosophie des Christenthums aufgenommen 1)
und mit der Schöpfungslehre in Verbindung gesetzt. Die Dinge
sind nach ihm von der Gottheit als Ausdruck der in ihr be-
stehenden intelligiblen Welt unveränderlicher Ideen geschaffen; so
empfängt die Metaphysik als Vernunftwissenschaft nun eine ein-
fachere und mehr systematische Fassung ihres Zusammenhangs:
die intelligible Welt in Gott ist der Schöpfung einge-

1) Augustinus Retractat. I c. 3. Nec Plato quidem in hoc erravit, quia
esse mundum intelligibilem dixit, si non vocabulum, quod ecclesiasticae
consuetudini in re illa non usitatum est, sed ipsam rem velimus atten-
dere. mundum quippe ille intelligibilem nuncupavit ipsam rationem
sempiternam atque incommutabilem, qua fecit Deus mundum. quam qui
esse negat, sequitur ut dicat, irrationabiliter Deum fecisse quod fecit,
aut cum faceret, vel antequam faceret, nescisse quid faceret, si apud eum
ratio faciendi non erat. si vero erat, sicut erat, ipsam videtur Plato
vocasse intelligibilem mundum.
Vgl. weiter die S. 331 citirte Stelle.
Dazu vgl. Leibniz' Monadologie § 43. 44: die "ewigen Wahrheiten oder
die Ideen, von denen sie abhängen", müssen in einem Reellen, Existiren-
den ihre Grundlage haben.
Zweites Buch. Dritter Abſchnitt.
1. Abſchluß der Metaphyſik der ſubſtantialen
Formen
.

Indem jetzt mit der Theologie der monotheiſtiſchen Religionen
die Wiſſenſchaft vom Kosmos verknüpft wurde, entſprangen zwar
weitere unlösbare Schwierigkeiten, welche die Zerſetzung der mittel-
alterlichen Metaphyſik herbeigeführt haben, jedoch ſo lange ſie ver-
deckt werden konnten und das Gute des Willens mit dem Ver-
nünftigen des Denkens, das Chriſtliche mit der griechiſchen Ver-
nunftwiſſenſchaft in eins geſetzt wurden, ergab ſich hieraus die
Geltung einer glänzenden Formel, welche die bisherige Meta-
phyſik
zu ſyſtematiſcher Einheit abſchloß.

Zunächſt ſubſtituirte man den analytiſchen Ergebniſſen des
Plato und Ariſtoteles, welche letzte Vorausſetzungen des Kosmos
enthalten, den konſtruktiven philoniſch-neuplatoniſchen Gedanken.
Nach demſelben haben die Ideen in Gott ihren Ort, und von
dieſer intelligiblen Welt ſtrahlen die das All durchwirkenden Kräfte
aus. Dieſen Gedanken hatte Auguſtinus, wie es andere Kirchen-
väter gethan, in die Philoſophie des Chriſtenthums aufgenommen 1)
und mit der Schöpfungslehre in Verbindung geſetzt. Die Dinge
ſind nach ihm von der Gottheit als Ausdruck der in ihr be-
ſtehenden intelligiblen Welt unveränderlicher Ideen geſchaffen; ſo
empfängt die Metaphyſik als Vernunftwiſſenſchaft nun eine ein-
fachere und mehr ſyſtematiſche Faſſung ihres Zuſammenhangs:
die intelligible Welt in Gott iſt der Schöpfung einge-

1) Auguſtinus Retractat. I c. 3. Nec Plato quidem in hoc erravit, quia
esse mundum intelligibilem dixit, si non vocabulum, quod ecclesiasticae
consuetudini in re illa non usitatum est, sed ipsam rem velimus atten-
dere. mundum quippe ille intelligibilem nuncupavit ipsam rationem
sempiternam atque incommutabilem, qua fecit Deus mundum. quam qui
esse negat, sequitur ut dicat, irrationabiliter Deum fecisse quod fecit,
aut cum faceret, vel antequam faceret, nescisse quid faceret, si apud eum
ratio faciendi non erat. si vero erat, sicut erat, ipsam videtur Plato
vocasse intelligibilem mundum.
Vgl. weiter die S. 331 citirte Stelle.
Dazu vgl. Leibniz’ Monadologie § 43. 44: die „ewigen Wahrheiten oder
die Ideen, von denen ſie abhängen“, müſſen in einem Reellen, Exiſtiren-
den ihre Grundlage haben.
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[382/0405] Zweites Buch. Dritter Abſchnitt. 1. Abſchluß der Metaphyſik der ſubſtantialen Formen. Indem jetzt mit der Theologie der monotheiſtiſchen Religionen die Wiſſenſchaft vom Kosmos verknüpft wurde, entſprangen zwar weitere unlösbare Schwierigkeiten, welche die Zerſetzung der mittel- alterlichen Metaphyſik herbeigeführt haben, jedoch ſo lange ſie ver- deckt werden konnten und das Gute des Willens mit dem Ver- nünftigen des Denkens, das Chriſtliche mit der griechiſchen Ver- nunftwiſſenſchaft in eins geſetzt wurden, ergab ſich hieraus die Geltung einer glänzenden Formel, welche die bisherige Meta- phyſik zu ſyſtematiſcher Einheit abſchloß. Zunächſt ſubſtituirte man den analytiſchen Ergebniſſen des Plato und Ariſtoteles, welche letzte Vorausſetzungen des Kosmos enthalten, den konſtruktiven philoniſch-neuplatoniſchen Gedanken. Nach demſelben haben die Ideen in Gott ihren Ort, und von dieſer intelligiblen Welt ſtrahlen die das All durchwirkenden Kräfte aus. Dieſen Gedanken hatte Auguſtinus, wie es andere Kirchen- väter gethan, in die Philoſophie des Chriſtenthums aufgenommen 1) und mit der Schöpfungslehre in Verbindung geſetzt. Die Dinge ſind nach ihm von der Gottheit als Ausdruck der in ihr be- ſtehenden intelligiblen Welt unveränderlicher Ideen geſchaffen; ſo empfängt die Metaphyſik als Vernunftwiſſenſchaft nun eine ein- fachere und mehr ſyſtematiſche Faſſung ihres Zuſammenhangs: die intelligible Welt in Gott iſt der Schöpfung einge- 1) Auguſtinus Retractat. I c. 3. Nec Plato quidem in hoc erravit, quia esse mundum intelligibilem dixit, si non vocabulum, quod ecclesiasticae consuetudini in re illa non usitatum est, sed ipsam rem velimus atten- dere. mundum quippe ille intelligibilem nuncupavit ipsam rationem sempiternam atque incommutabilem, qua fecit Deus mundum. quam qui esse negat, sequitur ut dicat, irrationabiliter Deum fecisse quod fecit, aut cum faceret, vel antequam faceret, nescisse quid faceret, si apud eum ratio faciendi non erat. si vero erat, sicut erat, ipsam videtur Plato vocasse intelligibilem mundum. Vgl. weiter die S. 331 citirte Stelle. Dazu vgl. Leibniz’ Monadologie § 43. 44: die „ewigen Wahrheiten oder die Ideen, von denen ſie abhängen“, müſſen in einem Reellen, Exiſtiren- den ihre Grundlage haben.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/405>, abgerufen am 22.11.2024.