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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Auch sie gelangen noch nicht zu Kausalerklärung der Natur.
Kräfte und substantialen Formen sind von uns als korrelate
geschichtliche Thatsachen erkannt worden 1). Die formalen Wissen-
schaften der Mathematik und Logik, deskriptive Astronomie und
die Erdkunde, welche in die Grenzen der deskriptiven Wissen-
schaft eingeschlossen ist: dies waren die Erkenntnisse, welche bei
den Arabern einen hohen Grad von Ausbildung erlangten und
den Mittelpunkt der höheren intellektuellen Interessen bildeten.
Der nächste äußere Zusammenhang dieser Wissenschaften bestand
in dem Gesammtbilde des Kosmos, welches schon Eratosthenes,
Hipparch und Ptolemäus angestrebt hatten. Daher ist die ency-
klopädische Richtung der alexandrinischen Wissenschaft in dem
Wissen des Mittelalters naturgemäß in noch höherem Grade
sichtbar. Sie zeigt sich in der Encyklopädie der lauteren Brüder
wie in den abendländischen Arbeiten eines Beda, Isidor, ja eines
Albertus Magnus, in Verbindung mit metaphysischer und theo-
logischer Begründung. -- Dagegen waren auch in der arabischen
Naturerkenntniß Wissenschaften wie Mechanik, Optik, Akustik, welche
einen Kreis zusammengehöriger Theilinhalte der Naturerfahrung
abgesondert behandeln und daher eine Ableitung der zusammen-
gesetzten Gleichförmigkeiten des Naturganzen ermöglichen, noch nicht
so weit entwickelt, um den Versuch einer Kausalerklärung der
Naturerscheinungen aus Naturgesetzen zu gestatten. Ja die Aus-
sicht auf kausale Naturerklärung, welche die Atome Demokrit's
einst innerhalb eines engen Umkreises bekannter Naturthatsachen,
bei Anwendung einer willkürlichen Methode 2), darzubieten schienen,
mußte mit der wachsenden Erkenntniß der Verwicklung des Natur-
gewebes zunächst mehr zurücktreten; wir finden daher bei den
Arabern ein Extrem von atomistischer Naturanschauung im Dienste
der orthodoxen Mutakalimun. Die Grundwissenschaft jeder er-
klärenden Naturerkenntniß, die Mechanik, machte bei den Arabern
keine Fortschritte. Die Ideen über die Bewegung, den Druck

1) S. 263.
2) Vgl. den Gegensatz der Methoden zwischen diesen Aelteren und
Plato S. 225 ff.

Auch ſie gelangen noch nicht zu Kauſalerklärung der Natur.
Kräfte und ſubſtantialen Formen ſind von uns als korrelate
geſchichtliche Thatſachen erkannt worden 1). Die formalen Wiſſen-
ſchaften der Mathematik und Logik, deſkriptive Aſtronomie und
die Erdkunde, welche in die Grenzen der deſkriptiven Wiſſen-
ſchaft eingeſchloſſen iſt: dies waren die Erkenntniſſe, welche bei
den Arabern einen hohen Grad von Ausbildung erlangten und
den Mittelpunkt der höheren intellektuellen Intereſſen bildeten.
Der nächſte äußere Zuſammenhang dieſer Wiſſenſchaften beſtand
in dem Geſammtbilde des Kosmos, welches ſchon Eratoſthenes,
Hipparch und Ptolemäus angeſtrebt hatten. Daher iſt die ency-
klopädiſche Richtung der alexandriniſchen Wiſſenſchaft in dem
Wiſſen des Mittelalters naturgemäß in noch höherem Grade
ſichtbar. Sie zeigt ſich in der Encyklopädie der lauteren Brüder
wie in den abendländiſchen Arbeiten eines Beda, Iſidor, ja eines
Albertus Magnus, in Verbindung mit metaphyſiſcher und theo-
logiſcher Begründung. — Dagegen waren auch in der arabiſchen
Naturerkenntniß Wiſſenſchaften wie Mechanik, Optik, Akuſtik, welche
einen Kreis zuſammengehöriger Theilinhalte der Naturerfahrung
abgeſondert behandeln und daher eine Ableitung der zuſammen-
geſetzten Gleichförmigkeiten des Naturganzen ermöglichen, noch nicht
ſo weit entwickelt, um den Verſuch einer Kauſalerklärung der
Naturerſcheinungen aus Naturgeſetzen zu geſtatten. Ja die Aus-
ſicht auf kauſale Naturerklärung, welche die Atome Demokrit’s
einſt innerhalb eines engen Umkreiſes bekannter Naturthatſachen,
bei Anwendung einer willkürlichen Methode 2), darzubieten ſchienen,
mußte mit der wachſenden Erkenntniß der Verwicklung des Natur-
gewebes zunächſt mehr zurücktreten; wir finden daher bei den
Arabern ein Extrem von atomiſtiſcher Naturanſchauung im Dienſte
der orthodoxen Mutakalimun. Die Grundwiſſenſchaft jeder er-
klärenden Naturerkenntniß, die Mechanik, machte bei den Arabern
keine Fortſchritte. Die Ideen über die Bewegung, den Druck

1) S. 263.
2) Vgl. den Gegenſatz der Methoden zwiſchen dieſen Aelteren und
Plato S. 225 ff.
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[375/0398] Auch ſie gelangen noch nicht zu Kauſalerklärung der Natur. Kräfte und ſubſtantialen Formen ſind von uns als korrelate geſchichtliche Thatſachen erkannt worden 1). Die formalen Wiſſen- ſchaften der Mathematik und Logik, deſkriptive Aſtronomie und die Erdkunde, welche in die Grenzen der deſkriptiven Wiſſen- ſchaft eingeſchloſſen iſt: dies waren die Erkenntniſſe, welche bei den Arabern einen hohen Grad von Ausbildung erlangten und den Mittelpunkt der höheren intellektuellen Intereſſen bildeten. Der nächſte äußere Zuſammenhang dieſer Wiſſenſchaften beſtand in dem Geſammtbilde des Kosmos, welches ſchon Eratoſthenes, Hipparch und Ptolemäus angeſtrebt hatten. Daher iſt die ency- klopädiſche Richtung der alexandriniſchen Wiſſenſchaft in dem Wiſſen des Mittelalters naturgemäß in noch höherem Grade ſichtbar. Sie zeigt ſich in der Encyklopädie der lauteren Brüder wie in den abendländiſchen Arbeiten eines Beda, Iſidor, ja eines Albertus Magnus, in Verbindung mit metaphyſiſcher und theo- logiſcher Begründung. — Dagegen waren auch in der arabiſchen Naturerkenntniß Wiſſenſchaften wie Mechanik, Optik, Akuſtik, welche einen Kreis zuſammengehöriger Theilinhalte der Naturerfahrung abgeſondert behandeln und daher eine Ableitung der zuſammen- geſetzten Gleichförmigkeiten des Naturganzen ermöglichen, noch nicht ſo weit entwickelt, um den Verſuch einer Kauſalerklärung der Naturerſcheinungen aus Naturgeſetzen zu geſtatten. Ja die Aus- ſicht auf kauſale Naturerklärung, welche die Atome Demokrit’s einſt innerhalb eines engen Umkreiſes bekannter Naturthatſachen, bei Anwendung einer willkürlichen Methode 2), darzubieten ſchienen, mußte mit der wachſenden Erkenntniß der Verwicklung des Natur- gewebes zunächſt mehr zurücktreten; wir finden daher bei den Arabern ein Extrem von atomiſtiſcher Naturanſchauung im Dienſte der orthodoxen Mutakalimun. Die Grundwiſſenſchaft jeder er- klärenden Naturerkenntniß, die Mechanik, machte bei den Arabern keine Fortſchritte. Die Ideen über die Bewegung, den Druck 1) S. 263. 2) Vgl. den Gegenſatz der Methoden zwiſchen dieſen Aelteren und Plato S. 225 ff.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/398>, abgerufen am 22.11.2024.