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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Selbständige Fortschritte der Araber in den Naturwissenschaften.
mächtigen Eifer für die reale Zerlegung der Naturobjekte,
nachdem so lange die ideellen Zerlegungen der metaphysischen
Methoden die Menschheit getäuscht hatten. Sie nährte diese Leiden-
schaft durch die geheimnißvolle auf die Theorie der Metallver-
wandlung gegründete Hoffnung, das Präparat darzustellen, welches
unedle Metalle in Silber und endlich in Gold überzuführen er-
mögliche. So entwickelte sie den Keim einer theoretischen Ansicht,
welche nicht wie die aristotelische von den vier Elementen auf An-
schauung und Spekulation, sondern auf wirkliche Zerspaltung ge-
gründet war, in der Lehre von dem Mercurius und dem Sulphur.
Unter diesen Namen verstand man nicht einfach Quecksilber und
Schwefel, sondern Substanzen, deren Verhalten gegenüber dem
Experiment, insbesondere der Einwirkung des Feuers, sie der einen
oder der andern dieser beiden Klassen einordnete. Auf diesem
Wege entstand erst das wahre Problem, in den durch chemische
Zerlegung dargestellten Stoffen die Komponenten der Materie zu
entdecken. Und wie unvollkommen auch die Ergebnisse dieser ersten
alchemistischen Epoche in theoretischer Hinsicht waren, so bereiteten
sie doch quantitative Untersuchungen und eine angemessene Vor-
stellung über die Konstitution der Materie vor. Zugleich hat diese
alchemistische Kunst eine große Anzahl von Präparaten zuerst
hergestellt und auf neue chemische Manipulationen geführt 1).

Die andere Richtung, in welcher die Araber durch selb-
ständigen Fortschritt die Entstehung der modernen Naturerkennt-
niß vorbereitet haben, bestand in der Entwicklung und Be-
nutzung der Mathematik als eines Werkzeugs zur Darstellung
quantitativer Bestimmungen über die Natur. Erfinderischer
Gebrauch messender Instrumente, unermüdliche Verbesserung der
Hilfsmittel der griechischen Gradmessung, unterstützt durch Er-
weiterung der Kenntniß der Erde, dann das Zusammenwirken
reich ausgestatteter Sternwarten für die Verbesserung und Ver-
vollständigung des astronomischen Materials und das Zusammen-

1) Nähere Angaben über die praktischen Kenntnisse der arabischen
Chemiker bei Kopp, Geschichte der Chemie I, 51 ff.

Selbſtändige Fortſchritte der Araber in den Naturwiſſenſchaften.
mächtigen Eifer für die reale Zerlegung der Naturobjekte,
nachdem ſo lange die ideellen Zerlegungen der metaphyſiſchen
Methoden die Menſchheit getäuſcht hatten. Sie nährte dieſe Leiden-
ſchaft durch die geheimnißvolle auf die Theorie der Metallver-
wandlung gegründete Hoffnung, das Präparat darzuſtellen, welches
unedle Metalle in Silber und endlich in Gold überzuführen er-
mögliche. So entwickelte ſie den Keim einer theoretiſchen Anſicht,
welche nicht wie die ariſtoteliſche von den vier Elementen auf An-
ſchauung und Spekulation, ſondern auf wirkliche Zerſpaltung ge-
gründet war, in der Lehre von dem Mercurius und dem Sulphur.
Unter dieſen Namen verſtand man nicht einfach Queckſilber und
Schwefel, ſondern Subſtanzen, deren Verhalten gegenüber dem
Experiment, insbeſondere der Einwirkung des Feuers, ſie der einen
oder der andern dieſer beiden Klaſſen einordnete. Auf dieſem
Wege entſtand erſt das wahre Problem, in den durch chemiſche
Zerlegung dargeſtellten Stoffen die Komponenten der Materie zu
entdecken. Und wie unvollkommen auch die Ergebniſſe dieſer erſten
alchemiſtiſchen Epoche in theoretiſcher Hinſicht waren, ſo bereiteten
ſie doch quantitative Unterſuchungen und eine angemeſſene Vor-
ſtellung über die Konſtitution der Materie vor. Zugleich hat dieſe
alchemiſtiſche Kunſt eine große Anzahl von Präparaten zuerſt
hergeſtellt und auf neue chemiſche Manipulationen geführt 1).

Die andere Richtung, in welcher die Araber durch ſelb-
ſtändigen Fortſchritt die Entſtehung der modernen Naturerkennt-
niß vorbereitet haben, beſtand in der Entwicklung und Be-
nutzung der Mathematik als eines Werkzeugs zur Darſtellung
quantitativer Beſtimmungen über die Natur. Erfinderiſcher
Gebrauch meſſender Inſtrumente, unermüdliche Verbeſſerung der
Hilfsmittel der griechiſchen Gradmeſſung, unterſtützt durch Er-
weiterung der Kenntniß der Erde, dann das Zuſammenwirken
reich ausgeſtatteter Sternwarten für die Verbeſſerung und Ver-
vollſtändigung des aſtronomiſchen Materials und das Zuſammen-

1) Nähere Angaben über die praktiſchen Kenntniſſe der arabiſchen
Chemiker bei Kopp, Geſchichte der Chemie I, 51 ff.
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[373/0396] Selbſtändige Fortſchritte der Araber in den Naturwiſſenſchaften. mächtigen Eifer für die reale Zerlegung der Naturobjekte, nachdem ſo lange die ideellen Zerlegungen der metaphyſiſchen Methoden die Menſchheit getäuſcht hatten. Sie nährte dieſe Leiden- ſchaft durch die geheimnißvolle auf die Theorie der Metallver- wandlung gegründete Hoffnung, das Präparat darzuſtellen, welches unedle Metalle in Silber und endlich in Gold überzuführen er- mögliche. So entwickelte ſie den Keim einer theoretiſchen Anſicht, welche nicht wie die ariſtoteliſche von den vier Elementen auf An- ſchauung und Spekulation, ſondern auf wirkliche Zerſpaltung ge- gründet war, in der Lehre von dem Mercurius und dem Sulphur. Unter dieſen Namen verſtand man nicht einfach Queckſilber und Schwefel, ſondern Subſtanzen, deren Verhalten gegenüber dem Experiment, insbeſondere der Einwirkung des Feuers, ſie der einen oder der andern dieſer beiden Klaſſen einordnete. Auf dieſem Wege entſtand erſt das wahre Problem, in den durch chemiſche Zerlegung dargeſtellten Stoffen die Komponenten der Materie zu entdecken. Und wie unvollkommen auch die Ergebniſſe dieſer erſten alchemiſtiſchen Epoche in theoretiſcher Hinſicht waren, ſo bereiteten ſie doch quantitative Unterſuchungen und eine angemeſſene Vor- ſtellung über die Konſtitution der Materie vor. Zugleich hat dieſe alchemiſtiſche Kunſt eine große Anzahl von Präparaten zuerſt hergeſtellt und auf neue chemiſche Manipulationen geführt 1). Die andere Richtung, in welcher die Araber durch ſelb- ſtändigen Fortſchritt die Entſtehung der modernen Naturerkennt- niß vorbereitet haben, beſtand in der Entwicklung und Be- nutzung der Mathematik als eines Werkzeugs zur Darſtellung quantitativer Beſtimmungen über die Natur. Erfinderiſcher Gebrauch meſſender Inſtrumente, unermüdliche Verbeſſerung der Hilfsmittel der griechiſchen Gradmeſſung, unterſtützt durch Er- weiterung der Kenntniß der Erde, dann das Zuſammenwirken reich ausgeſtatteter Sternwarten für die Verbeſſerung und Ver- vollſtändigung des aſtronomiſchen Materials und das Zuſammen- 1) Nähere Angaben über die praktiſchen Kenntniſſe der arabiſchen Chemiker bei Kopp, Geſchichte der Chemie I, 51 ff.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/396>, abgerufen am 22.11.2024.