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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Zweites Buch. Dritter Abschnitt.
endlich im Zeitwort eine Bewegung einschließen würde, Gott aber
jenseit des Gegensatzes von Bewegung und Ruhe ist 1).

Mit dieser Kritik der Eigenschaften Gottes verband sich früh
Nachdenken über den Ursprung unserer Begriffe von ihnen, und
dieses führte ebenfalls zu negativen Ergebnissen. Einsicht in den Ur-
sprung
der Bestimmungen über Gott mußte eine Entscheidung
letzter Instanz darüber gewähren, welcher Erkenntnißwerth diesen Be-
stimmungen zukomme. Die Theologie der Araber unterschied relative
und negative Attribute Gottes, die jüdische sonderte mit einer nicht
erheblichen Abweichung zuweilen auch solche der Thätigkeit 2), und
die christliche Theologie stellte, einer schon im zweiten Jahrhundert
und von da an oft bei den Neuplatonikern auftretenden Unter-
scheidung folgend 3), die "drei Wege" neben einander, auf welchen
man zu den Eigenschaften Gottes gelangt: viam eminentiae,
causalitatis
und remotionis oder, wie dieser dann häufiger ge-
nannt wurde, negationis 4). Die letztere Unterscheidung kann sich
gegenüber der Zweitheilung der Methoden, zu der Idee Gottes auf-
zusteigen, nicht behaupten; hat doch die Entschränkung nur ihre
andere Seite an der Verneinung, sonach kann die via eminen-
tiae
von der via negationis nicht getrennt werden. Führt man,
sie berichtigend, die Eigenschaften Gottes auf solche zurück, in
welchen die Verneinung das Endliche an dem religiösen Ideal
aufhebt, und solche, in denen Gott durch sein schaffendes Welt-
wirken vorstellig gemacht wird: alsdann leitet auch diese Unter-
suchung des Ursprungs der Vorstellungen von Eigenschaften Gottes

1) Vgl. S. 363 Anm. 1.
2) Die Zweitheilung bei Maimuni I c. 58 (Munk le guide des egares
I, 245
); wogegen Jehuda Halevi eine Dreitheilung anwendet, die freilich
sehr unvollkommen ist, vgl. Kaufmann Attributenlehre S. 141 ff., ebenso
Kusari (übers. von Cassel) S. 80 ff.; der arab. ähnlich die Zweitheilung in
Emunah Ramah von Abraham ben David (übers. von Weil) S. 65 ff.
3) Freudenthal, hellenistische Studien III, 285 f.
4) Durandus in Lombardi I dist. 3 p. 1 qu. 1: triplex est via investi-
gandi Deum ex creaturis: scilicet via eminentiae, quantum ad primum;
via causalitatis, quantum ad secundum; via remotionis, quantum ad
tertium
.

Zweites Buch. Dritter Abſchnitt.
endlich im Zeitwort eine Bewegung einſchließen würde, Gott aber
jenſeit des Gegenſatzes von Bewegung und Ruhe iſt 1).

Mit dieſer Kritik der Eigenſchaften Gottes verband ſich früh
Nachdenken über den Urſprung unſerer Begriffe von ihnen, und
dieſes führte ebenfalls zu negativen Ergebniſſen. Einſicht in den Ur-
ſprung
der Beſtimmungen über Gott mußte eine Entſcheidung
letzter Inſtanz darüber gewähren, welcher Erkenntnißwerth dieſen Be-
ſtimmungen zukomme. Die Theologie der Araber unterſchied relative
und negative Attribute Gottes, die jüdiſche ſonderte mit einer nicht
erheblichen Abweichung zuweilen auch ſolche der Thätigkeit 2), und
die chriſtliche Theologie ſtellte, einer ſchon im zweiten Jahrhundert
und von da an oft bei den Neuplatonikern auftretenden Unter-
ſcheidung folgend 3), die „drei Wege“ neben einander, auf welchen
man zu den Eigenſchaften Gottes gelangt: viam eminentiae,
causalitatis
und remotionis oder, wie dieſer dann häufiger ge-
nannt wurde, negationis 4). Die letztere Unterſcheidung kann ſich
gegenüber der Zweitheilung der Methoden, zu der Idee Gottes auf-
zuſteigen, nicht behaupten; hat doch die Entſchränkung nur ihre
andere Seite an der Verneinung, ſonach kann die via eminen-
tiae
von der via negationis nicht getrennt werden. Führt man,
ſie berichtigend, die Eigenſchaften Gottes auf ſolche zurück, in
welchen die Verneinung das Endliche an dem religiöſen Ideal
aufhebt, und ſolche, in denen Gott durch ſein ſchaffendes Welt-
wirken vorſtellig gemacht wird: alsdann leitet auch dieſe Unter-
ſuchung des Urſprungs der Vorſtellungen von Eigenſchaften Gottes

1) Vgl. S. 363 Anm. 1.
2) Die Zweitheilung bei Maimuni I c. 58 (Munk le guide des égarés
I, 245
); wogegen Jehuda Halevi eine Dreitheilung anwendet, die freilich
ſehr unvollkommen iſt, vgl. Kaufmann Attributenlehre S. 141 ff., ebenſo
Kuſari (überſ. von Caſſel) S. 80 ff.; der arab. ähnlich die Zweitheilung in
Emunah Ramah von Abraham ben David (überſ. von Weil) S. 65 ff.
3) Freudenthal, helleniſtiſche Studien III, 285 f.
4) Durandus in Lombardi I dist. 3 p. 1 qu. 1: triplex est via investi-
gandi Deum ex creaturis: scilicet via eminentiae, quantum ad primum;
via causalitatis, quantum ad secundum; via remotionis, quantum ad
tertium
.
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[366/0389] Zweites Buch. Dritter Abſchnitt. endlich im Zeitwort eine Bewegung einſchließen würde, Gott aber jenſeit des Gegenſatzes von Bewegung und Ruhe iſt 1). Mit dieſer Kritik der Eigenſchaften Gottes verband ſich früh Nachdenken über den Urſprung unſerer Begriffe von ihnen, und dieſes führte ebenfalls zu negativen Ergebniſſen. Einſicht in den Ur- ſprung der Beſtimmungen über Gott mußte eine Entſcheidung letzter Inſtanz darüber gewähren, welcher Erkenntnißwerth dieſen Be- ſtimmungen zukomme. Die Theologie der Araber unterſchied relative und negative Attribute Gottes, die jüdiſche ſonderte mit einer nicht erheblichen Abweichung zuweilen auch ſolche der Thätigkeit 2), und die chriſtliche Theologie ſtellte, einer ſchon im zweiten Jahrhundert und von da an oft bei den Neuplatonikern auftretenden Unter- ſcheidung folgend 3), die „drei Wege“ neben einander, auf welchen man zu den Eigenſchaften Gottes gelangt: viam eminentiae, causalitatis und remotionis oder, wie dieſer dann häufiger ge- nannt wurde, negationis 4). Die letztere Unterſcheidung kann ſich gegenüber der Zweitheilung der Methoden, zu der Idee Gottes auf- zuſteigen, nicht behaupten; hat doch die Entſchränkung nur ihre andere Seite an der Verneinung, ſonach kann die via eminen- tiae von der via negationis nicht getrennt werden. Führt man, ſie berichtigend, die Eigenſchaften Gottes auf ſolche zurück, in welchen die Verneinung das Endliche an dem religiöſen Ideal aufhebt, und ſolche, in denen Gott durch ſein ſchaffendes Welt- wirken vorſtellig gemacht wird: alsdann leitet auch dieſe Unter- ſuchung des Urſprungs der Vorſtellungen von Eigenſchaften Gottes 1) Vgl. S. 363 Anm. 1. 2) Die Zweitheilung bei Maimuni I c. 58 (Munk le guide des égarés I, 245); wogegen Jehuda Halevi eine Dreitheilung anwendet, die freilich ſehr unvollkommen iſt, vgl. Kaufmann Attributenlehre S. 141 ff., ebenſo Kuſari (überſ. von Caſſel) S. 80 ff.; der arab. ähnlich die Zweitheilung in Emunah Ramah von Abraham ben David (überſ. von Weil) S. 65 ff. 3) Freudenthal, helleniſtiſche Studien III, 285 f. 4) Durandus in Lombardi I dist. 3 p. 1 qu. 1: triplex est via investi- gandi Deum ex creaturis: scilicet via eminentiae, quantum ad primum; via causalitatis, quantum ad secundum; via remotionis, quantum ad tertium.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/389>, abgerufen am 22.11.2024.