intelligas besagt zunächst, daß die volle Erfahrung für die Analysis da sein muß, soll diese erschöpfend sein. Das Unterscheidende des Inhaltes dieser christlichen Erfahrung liegt vor Allem in der Demuth, welche in dem Ernst des richtenden Gewissens begrün- det ist 1).
Die Selbstbesinnung des Augustinus, wie sie in diesen Grund- zügen sich von jedem früheren verwandten wissenschaftlichen Ver- such unterscheidet, unterwirft zunächst das Wissen selber der Analysis; eine der drei Hauptfragen war die nach dem Grunde der Gewiß- heit für das Denken. Und dennoch geht eine erkenntniß- theoretische Grundlegung auch aus dieser Selbstbesinnung nicht hervor. Die christliche Wissenschaft, welche von diesem Ausgangspunkte aus entworfen wird, löst ihre Aufgabe nicht in angemessener Weise. Warum das nicht geschah? In den Jahren, in welchen der Gedanke einer solchen Grundlegung den Augustinus beschäftigte, verharrten seine Gedanken noch in der ihm von den Neuplatonikern gegebenen Richtung; später, als auch das für ihn abgethan war, wurden die objektiven Gewalten der katholischen Kirche und des katholischen Dogma zu übermächtig in seinem Bewußtsein, auch nahmen die Interessen der großen kirchlichen und dogma- tischen Kämpfe Tag für Tag ihn in Anspruch; als entscheidend wird sich uns aber die in seiner Natur selber liegende Grenze ergeben.
So entspringt aus seiner Selbstbesinnung zunächst ver- mittelst des platonisirenden Begriffs der veritates aeternae wieder Metaphysik.
In jener Stelle des Gottesstaates sagt er weiterhin: "Ich, der sich täuschte, würde doch existiren, auch wenn ich mich täuschte; darum täusche ich mich ohne Zweifel darin nicht, daß ich erkenne: ich bin. Hieraus folgt aber, daß ich mich auch darin nicht täusche: ich weiß, daß ich weiß. Denn ganz so wie ich weiß, daß ich bin, weiß ich auch, daß ich weiß 2)." An diese Idee des Wissens schließt sich in dem System des Augustinus unmittelbar die Lehre
1) Augustinus ep. 118 c. 3, de civ. Dei II c. 7.
2)De civ. Dei XI c. 26.
Fortgang zur Metaphyſik der veritates aeternae.
intelligas beſagt zunächſt, daß die volle Erfahrung für die Analyſis da ſein muß, ſoll dieſe erſchöpfend ſein. Das Unterſcheidende des Inhaltes dieſer chriſtlichen Erfahrung liegt vor Allem in der Demuth, welche in dem Ernſt des richtenden Gewiſſens begrün- det iſt 1).
Die Selbſtbeſinnung des Auguſtinus, wie ſie in dieſen Grund- zügen ſich von jedem früheren verwandten wiſſenſchaftlichen Ver- ſuch unterſcheidet, unterwirft zunächſt das Wiſſen ſelber der Analyſis; eine der drei Hauptfragen war die nach dem Grunde der Gewiß- heit für das Denken. Und dennoch geht eine erkenntniß- theoretiſche Grundlegung auch aus dieſer Selbſtbeſinnung nicht hervor. Die chriſtliche Wiſſenſchaft, welche von dieſem Ausgangspunkte aus entworfen wird, löſt ihre Aufgabe nicht in angemeſſener Weiſe. Warum das nicht geſchah? In den Jahren, in welchen der Gedanke einer ſolchen Grundlegung den Auguſtinus beſchäftigte, verharrten ſeine Gedanken noch in der ihm von den Neuplatonikern gegebenen Richtung; ſpäter, als auch das für ihn abgethan war, wurden die objektiven Gewalten der katholiſchen Kirche und des katholiſchen Dogma zu übermächtig in ſeinem Bewußtſein, auch nahmen die Intereſſen der großen kirchlichen und dogma- tiſchen Kämpfe Tag für Tag ihn in Anſpruch; als entſcheidend wird ſich uns aber die in ſeiner Natur ſelber liegende Grenze ergeben.
So entſpringt aus ſeiner Selbſtbeſinnung zunächſt ver- mittelſt des platoniſirenden Begriffs der veritates aeternae wieder Metaphyſik.
In jener Stelle des Gottesſtaates ſagt er weiterhin: „Ich, der ſich täuſchte, würde doch exiſtiren, auch wenn ich mich täuſchte; darum täuſche ich mich ohne Zweifel darin nicht, daß ich erkenne: ich bin. Hieraus folgt aber, daß ich mich auch darin nicht täuſche: ich weiß, daß ich weiß. Denn ganz ſo wie ich weiß, daß ich bin, weiß ich auch, daß ich weiß 2).“ An dieſe Idee des Wiſſens ſchließt ſich in dem Syſtem des Auguſtinus unmittelbar die Lehre
1) Auguſtinus ep. 118 c. 3, de civ. Dei II c. 7.
2)De civ. Dei XI c. 26.
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da ſein muß, ſoll dieſe erſchöpfend ſein. Das Unterſcheidende des
Inhaltes dieſer chriſtlichen Erfahrung liegt vor Allem in der
Demuth, welche in dem Ernſt des richtenden Gewiſſens begrün-
det iſt 1).
Die Selbſtbeſinnung des Auguſtinus, wie ſie in dieſen Grund-
zügen ſich von jedem früheren verwandten wiſſenſchaftlichen Ver-
ſuch unterſcheidet, unterwirft zunächſt das Wiſſen ſelber der Analyſis;
eine der drei Hauptfragen war die nach dem Grunde der Gewiß-
heit für das Denken. Und dennoch geht eine erkenntniß-
theoretiſche Grundlegung auch aus dieſer Selbſtbeſinnung
nicht hervor. Die chriſtliche Wiſſenſchaft, welche von dieſem
Ausgangspunkte aus entworfen wird, löſt ihre Aufgabe nicht in
angemeſſener Weiſe. Warum das nicht geſchah? In den Jahren,
in welchen der Gedanke einer ſolchen Grundlegung den Auguſtinus
beſchäftigte, verharrten ſeine Gedanken noch in der ihm von den
Neuplatonikern gegebenen Richtung; ſpäter, als auch das für ihn
abgethan war, wurden die objektiven Gewalten der katholiſchen Kirche
und des katholiſchen Dogma zu übermächtig in ſeinem Bewußtſein,
auch nahmen die Intereſſen der großen kirchlichen und dogma-
tiſchen Kämpfe Tag für Tag ihn in Anſpruch; als entſcheidend
wird ſich uns aber die in ſeiner Natur ſelber liegende Grenze
ergeben.
So entſpringt aus ſeiner Selbſtbeſinnung zunächſt ver-
mittelſt des platoniſirenden Begriffs der veritates
aeternae wieder Metaphyſik.
In jener Stelle des Gottesſtaates ſagt er weiterhin: „Ich, der
ſich täuſchte, würde doch exiſtiren, auch wenn ich mich täuſchte;
darum täuſche ich mich ohne Zweifel darin nicht, daß ich erkenne:
ich bin. Hieraus folgt aber, daß ich mich auch darin nicht täuſche:
ich weiß, daß ich weiß. Denn ganz ſo wie ich weiß, daß ich
bin, weiß ich auch, daß ich weiß 2).“ An dieſe Idee des Wiſſens
ſchließt ſich in dem Syſtem des Auguſtinus unmittelbar die Lehre
1) Auguſtinus ep. 118 c. 3, de civ. Dei II c. 7.
2) De civ. Dei XI c. 26.
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/352>, abgerufen am 16.02.2025.
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