äußeren Objekte, durch irgend ein Sinnesorgan unseres Körpers, wie die Farben durch den Gesichtssinn, die Töne durch das Gehör etc., sondern unabhängig von täuschenden Phantasievorstellungen oder Einbildungen ist es mir ganz gewiß, daß ich bin, davon weiß und das im Gefühl der Liebe umfasse. Auch fürchte ich in Bezug auf diese Wahrheiten die Gründe der akademischen Skeptiker nicht, welche die Möglichkeit aussprechen, daß ich mich täusche. Denn wenn ich mich täusche, so bin. ich. Wer nicht ist, kann sich nicht täuschen 1)."
Die Selbstbesinnung, welche hier, nach verwandten An- sätzen der Neuplatoniker, in Augustinus auftritt, ist von der des Socrates und der Sokratiker durchaus verschieden. Hier endlich geht im Selbstbewußtsein eine mächtige Realität auf, und diese Erkenntniß verschlingt alles Interesse an dem Studium des Kosmos. Diese Selbstbesinnung ist daher nicht Rückgang auf den Erkenntnißgrund des Wissens allein, und aus ihr entspringt somit nicht nur Wissenschaftslehre 2). In dieser Besinnung geht dem Menschen das Wesen seiner Selbst auf, der Ueberzeugung von der Realität der Welt wird wenigstens ihre Stelle bestimmt, vor Allem wird in ihr das Wesen Gottes aufgefaßt, wie denn sogar das Geheimniß der Dreieinigkeit durch sie halb entschleiert zu werden scheint. Die drei Fragen der alten Logik, Physik und Ethik: was ist der Grund der Gewißheit im Denken, was die Ursache der Welt und worin besteht das höchste Gut 3)? führen auf Eine gemeinsame Bedingung, unter welcher das Wissen, die Natur und das prak- tische Leben stehen, auf die Idee Gottes 4); zwei von diesen Fragen entstehen aber in der Selbstbesinnung und finden in ihr Beant- wortung. Und zwar gelangt diese Selbstbesinnung erst zu ihrem vollen Ergebniß, wo der religiös-sittliche Vorgang des Glaubens alle Tiefen der Seele aufgeschlossen hat. Das berühmte crede ut
1) Augustinus de civ. Dei XI c. 26.
2) Vgl. S. 224. 321.
3) Diese Eintheilung der philosophischen Probleme benutzt Augustinus de civ. Dei XI c. 25 vgl. VIII c. 6--8.
4) Ebds. XI c. 25.
Zweites Buch. Dritter Abſchnitt.
äußeren Objekte, durch irgend ein Sinnesorgan unſeres Körpers, wie die Farben durch den Geſichtsſinn, die Töne durch das Gehör etc., ſondern unabhängig von täuſchenden Phantaſievorſtellungen oder Einbildungen iſt es mir ganz gewiß, daß ich bin, davon weiß und das im Gefühl der Liebe umfaſſe. Auch fürchte ich in Bezug auf dieſe Wahrheiten die Gründe der akademiſchen Skeptiker nicht, welche die Möglichkeit ausſprechen, daß ich mich täuſche. Denn wenn ich mich täuſche, ſo bin. ich. Wer nicht iſt, kann ſich nicht täuſchen 1).“
Die Selbſtbeſinnung, welche hier, nach verwandten An- ſätzen der Neuplatoniker, in Auguſtinus auftritt, iſt von der des Socrates und der Sokratiker durchaus verſchieden. Hier endlich geht im Selbſtbewußtſein eine mächtige Realität auf, und dieſe Erkenntniß verſchlingt alles Intereſſe an dem Studium des Kosmos. Dieſe Selbſtbeſinnung iſt daher nicht Rückgang auf den Erkenntnißgrund des Wiſſens allein, und aus ihr entſpringt ſomit nicht nur Wiſſenſchaftslehre 2). In dieſer Beſinnung geht dem Menſchen das Weſen ſeiner Selbſt auf, der Ueberzeugung von der Realität der Welt wird wenigſtens ihre Stelle beſtimmt, vor Allem wird in ihr das Weſen Gottes aufgefaßt, wie denn ſogar das Geheimniß der Dreieinigkeit durch ſie halb entſchleiert zu werden ſcheint. Die drei Fragen der alten Logik, Phyſik und Ethik: was iſt der Grund der Gewißheit im Denken, was die Urſache der Welt und worin beſteht das höchſte Gut 3)? führen auf Eine gemeinſame Bedingung, unter welcher das Wiſſen, die Natur und das prak- tiſche Leben ſtehen, auf die Idee Gottes 4); zwei von dieſen Fragen entſtehen aber in der Selbſtbeſinnung und finden in ihr Beant- wortung. Und zwar gelangt dieſe Selbſtbeſinnung erſt zu ihrem vollen Ergebniß, wo der religiös-ſittliche Vorgang des Glaubens alle Tiefen der Seele aufgeſchloſſen hat. Das berühmte crede ut
1) Auguſtinus de civ. Dei XI c. 26.
2) Vgl. S. 224. 321.
3) Dieſe Eintheilung der philoſophiſchen Probleme benutzt Auguſtinus de civ. Dei XI c. 25 vgl. VIII c. 6—8.
4) Ebdſ. XI c. 25.
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Zweites Buch. Dritter Abſchnitt.
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wie die Farben durch den Geſichtsſinn, die Töne durch das Gehör etc.,
ſondern unabhängig von täuſchenden Phantaſievorſtellungen oder
Einbildungen iſt es mir ganz gewiß, daß ich bin, davon weiß
und das im Gefühl der Liebe umfaſſe. Auch fürchte ich in Bezug
auf dieſe Wahrheiten die Gründe der akademiſchen Skeptiker nicht,
welche die Möglichkeit ausſprechen, daß ich mich täuſche. Denn
wenn ich mich täuſche, ſo bin. ich. Wer nicht iſt, kann ſich nicht
täuſchen 1).“
Die Selbſtbeſinnung, welche hier, nach verwandten An-
ſätzen der Neuplatoniker, in Auguſtinus auftritt, iſt von der des
Socrates und der Sokratiker durchaus verſchieden. Hier endlich
geht im Selbſtbewußtſein eine mächtige Realität auf, und dieſe
Erkenntniß verſchlingt alles Intereſſe an dem Studium des
Kosmos. Dieſe Selbſtbeſinnung iſt daher nicht Rückgang auf
den Erkenntnißgrund des Wiſſens allein, und aus ihr entſpringt
ſomit nicht nur Wiſſenſchaftslehre 2). In dieſer Beſinnung geht dem
Menſchen das Weſen ſeiner Selbſt auf, der Ueberzeugung von
der Realität der Welt wird wenigſtens ihre Stelle beſtimmt, vor
Allem wird in ihr das Weſen Gottes aufgefaßt, wie denn ſogar
das Geheimniß der Dreieinigkeit durch ſie halb entſchleiert zu werden
ſcheint. Die drei Fragen der alten Logik, Phyſik und Ethik: was iſt
der Grund der Gewißheit im Denken, was die Urſache der Welt
und worin beſteht das höchſte Gut 3)? führen auf Eine gemeinſame
Bedingung, unter welcher das Wiſſen, die Natur und das prak-
tiſche Leben ſtehen, auf die Idee Gottes 4); zwei von dieſen Fragen
entſtehen aber in der Selbſtbeſinnung und finden in ihr Beant-
wortung. Und zwar gelangt dieſe Selbſtbeſinnung erſt zu ihrem
vollen Ergebniß, wo der religiös-ſittliche Vorgang des Glaubens
alle Tiefen der Seele aufgeſchloſſen hat. Das berühmte crede ut
1) Auguſtinus de civ. Dei XI c. 26.
2) Vgl. S. 224. 321.
3) Dieſe Eintheilung der philoſophiſchen Probleme benutzt Auguſtinus
de civ. Dei XI c. 25 vgl. VIII c. 6—8.
4) Ebdſ. XI c. 25.
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/351>, abgerufen am 16.02.2025.
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