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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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D. Bild d. Kosmos, welch. Ergebn. d. Einzelwissensch. d. alt. Völker ist.
Eratosthenes, Hipparch, Ptolemäus umfassen die kreisenden Massen
der Gestirne und die Erdkugel. Ein erster Versuch der Gradmessung
ist bemüht, den Umfang der Erde annähernd zu bestimmen;
Eratosthenes begründet die Geographie als Wissenschaft. Die
Uebersicht über die Pflanzenbedeckung der Erde und die Thierwelt
auf ihr, wie sie Aristoteles und Theophrast erreicht hatten, wird
nun durch Fortschritte in der Zergliederung des thierischen und
menschlichen Körpers ergänzt, welche besonders tief in die Erkenntniß
der Gefäße eindringen.

Die Kenntniß von der Vertheilung des Menschengeschlechts
auf der Erde sowie den Verschiedenheiten desselben war durch den
Eroberungszug Alexander's und die Ausbreitung des römischen
Imperium nunmehr außerordentlich erweitert. In Folge hiervon
wird der Einfluß von Boden und Klima auf die geistigen und
sittlichen Verschiedenheiten der Menschheit in den Kreis der Unter-
suchung gezogen. Das Material der Geisteswissenschaften wird
in den Grenzen des nun der Geschichte anheimgefallenen griechischen
Lebens mit kritischem Bewußtsein untersucht und gesammelt.
Einzelne Systeme der Kultur, vor Allem die Sprache, werden
einer Zergliederung unterworfen. Die vergleichende Betrachtung
der Staaten ist zum festen Besitz der Wissenschaft geworden. Auf
sie gestützt, unternimmt Polybius, das große weltgeschichtliche
Phänomen, welches den Horizont seiner Zeit erfüllt, Rom's Auf-
steigen zur Weltherrschaft, der Erklärung zu unterwerfen. In seinem
Werke liegt ein Versuch vor, die politische Wissenschaft,
wie wir sie an Aristoteles in ihrer Stärke und ihren Grenzen
charakterisirt haben, zur Grundlage einer erklärenden
Geschichtswissenschaft
zu machen. Seine vergleichende Zer-
gliederung der Verfassungen (wie sie in den Fragmenten des
6. Buches erhalten ist) findet in der gemischten römischen Ver-
fassung ein Gleichgewicht der Gewalten verwirklicht, vermöge dessen
jede einzelne dieser Gewalten unter der Kontrole der anderen
steht und so in ihren Ueberschreitungen gehemmt wird. Hierzu
treten ihm als erklärende Gründe der römischen Machtentfaltung
eine glückliche Organisation des Staates in Bezug auf materielle

D. Bild d. Kosmos, welch. Ergebn. d. Einzelwiſſenſch. d. alt. Völker iſt.
Eratoſthenes, Hipparch, Ptolemäus umfaſſen die kreiſenden Maſſen
der Geſtirne und die Erdkugel. Ein erſter Verſuch der Gradmeſſung
iſt bemüht, den Umfang der Erde annähernd zu beſtimmen;
Eratoſthenes begründet die Geographie als Wiſſenſchaft. Die
Ueberſicht über die Pflanzenbedeckung der Erde und die Thierwelt
auf ihr, wie ſie Ariſtoteles und Theophraſt erreicht hatten, wird
nun durch Fortſchritte in der Zergliederung des thieriſchen und
menſchlichen Körpers ergänzt, welche beſonders tief in die Erkenntniß
der Gefäße eindringen.

Die Kenntniß von der Vertheilung des Menſchengeſchlechts
auf der Erde ſowie den Verſchiedenheiten deſſelben war durch den
Eroberungszug Alexander’s und die Ausbreitung des römiſchen
Imperium nunmehr außerordentlich erweitert. In Folge hiervon
wird der Einfluß von Boden und Klima auf die geiſtigen und
ſittlichen Verſchiedenheiten der Menſchheit in den Kreis der Unter-
ſuchung gezogen. Das Material der Geiſteswiſſenſchaften wird
in den Grenzen des nun der Geſchichte anheimgefallenen griechiſchen
Lebens mit kritiſchem Bewußtſein unterſucht und geſammelt.
Einzelne Syſteme der Kultur, vor Allem die Sprache, werden
einer Zergliederung unterworfen. Die vergleichende Betrachtung
der Staaten iſt zum feſten Beſitz der Wiſſenſchaft geworden. Auf
ſie geſtützt, unternimmt Polybius, das große weltgeſchichtliche
Phänomen, welches den Horizont ſeiner Zeit erfüllt, Rom’s Auf-
ſteigen zur Weltherrſchaft, der Erklärung zu unterwerfen. In ſeinem
Werke liegt ein Verſuch vor, die politiſche Wiſſenſchaft,
wie wir ſie an Ariſtoteles in ihrer Stärke und ihren Grenzen
charakteriſirt haben, zur Grundlage einer erklärenden
Geſchichtswiſſenſchaft
zu machen. Seine vergleichende Zer-
gliederung der Verfaſſungen (wie ſie in den Fragmenten des
6. Buches erhalten iſt) findet in der gemiſchten römiſchen Ver-
faſſung ein Gleichgewicht der Gewalten verwirklicht, vermöge deſſen
jede einzelne dieſer Gewalten unter der Kontrole der anderen
ſteht und ſo in ihren Ueberſchreitungen gehemmt wird. Hierzu
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[313/0336] D. Bild d. Kosmos, welch. Ergebn. d. Einzelwiſſenſch. d. alt. Völker iſt. Eratoſthenes, Hipparch, Ptolemäus umfaſſen die kreiſenden Maſſen der Geſtirne und die Erdkugel. Ein erſter Verſuch der Gradmeſſung iſt bemüht, den Umfang der Erde annähernd zu beſtimmen; Eratoſthenes begründet die Geographie als Wiſſenſchaft. Die Ueberſicht über die Pflanzenbedeckung der Erde und die Thierwelt auf ihr, wie ſie Ariſtoteles und Theophraſt erreicht hatten, wird nun durch Fortſchritte in der Zergliederung des thieriſchen und menſchlichen Körpers ergänzt, welche beſonders tief in die Erkenntniß der Gefäße eindringen. Die Kenntniß von der Vertheilung des Menſchengeſchlechts auf der Erde ſowie den Verſchiedenheiten deſſelben war durch den Eroberungszug Alexander’s und die Ausbreitung des römiſchen Imperium nunmehr außerordentlich erweitert. In Folge hiervon wird der Einfluß von Boden und Klima auf die geiſtigen und ſittlichen Verſchiedenheiten der Menſchheit in den Kreis der Unter- ſuchung gezogen. Das Material der Geiſteswiſſenſchaften wird in den Grenzen des nun der Geſchichte anheimgefallenen griechiſchen Lebens mit kritiſchem Bewußtſein unterſucht und geſammelt. Einzelne Syſteme der Kultur, vor Allem die Sprache, werden einer Zergliederung unterworfen. Die vergleichende Betrachtung der Staaten iſt zum feſten Beſitz der Wiſſenſchaft geworden. Auf ſie geſtützt, unternimmt Polybius, das große weltgeſchichtliche Phänomen, welches den Horizont ſeiner Zeit erfüllt, Rom’s Auf- ſteigen zur Weltherrſchaft, der Erklärung zu unterwerfen. In ſeinem Werke liegt ein Verſuch vor, die politiſche Wiſſenſchaft, wie wir ſie an Ariſtoteles in ihrer Stärke und ihren Grenzen charakteriſirt haben, zur Grundlage einer erklärenden Geſchichtswiſſenſchaft zu machen. Seine vergleichende Zer- gliederung der Verfaſſungen (wie ſie in den Fragmenten des 6. Buches erhalten iſt) findet in der gemiſchten römiſchen Ver- faſſung ein Gleichgewicht der Gewalten verwirklicht, vermöge deſſen jede einzelne dieſer Gewalten unter der Kontrole der anderen ſteht und ſo in ihren Ueberſchreitungen gehemmt wird. Hierzu treten ihm als erklärende Gründe der römiſchen Machtentfaltung eine glückliche Organiſation des Staates in Bezug auf materielle

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/336>, abgerufen am 22.11.2024.