Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.Zweites Buch. Zweiter Abschnitt. aber bis zu den im Erkenntnißvorgang nicht weiter bedingtenGründen. Sie ist die Wissenschaft der allgemeinen und unver- änderlichen Prinzipien 1). Und zwar geht Aristoteles von dem im Kosmos Gegebenen rückwärts zu den Prinzipien. Wenn auch die Rückverweisungen auf die physischen Schriften nichts beweisen, so wird dieser Zusammenhang doch daraus deutlich, daß die Metaphysik die Aufzeigung der ersten Ursachen von der Physik empfängt und selber zunächst nur durch eine historisch-kritische Musterung die Vollständigkeit der in der Physik gefundenen Prinzipien bestätigt 2). -- In erster Linie folgert dieser Zusammen- hang aus der Anerkennung und Betrachtung der Bewegung. "Uns aber stehe der Grundsatz fest, daß das von Natur Existirende, alles oder doch einiges in Bewegung ist; und zwar ist dies durch Schluß aus der Erfahrung klar 3)." Die eleatische Leugnung der Bewegung ist dem entsprechend für Aristoteles, welcher in der Aufgabe der Erklärung der Natur lebt, nur die unfruchtbare Negation aller Wissenschaft des Kosmos. Von den stätigen und vollkommenen Bewegungen der Gestirne, von dem Spiele der Veränderungen unter dem Monde geht die Erkennt- niß zu den ersten Ursachen zurück, welche zugleich die ersten Erklärungsgründe enthalten. So wird der reale Zusammenhang des Kosmos, welcher Gegenstand der strengen Wissenschaft ist, durch eine Analyse erkannt, die von ihm, als dem uns gegebenen Zusammengesetzten, auf die Prinzipien zurückschließt, als auf die wahren Subjekte des Naturzusammenhangs 4). Auf der selbständigen metaphysischen Wissenschaft beruhte, so 1) Vergl. S. 160 ff. 2) Metaph. I, 3 und 10, womit die schrittweise Ableitung der Prinzi- pien in der Physik (bes. Buch I und II) zu vergleichen. 3) Arist. Phys. I, 2 p. 185 a 12. 4) Arist. Phys. I, 1 p. 184 a 21 esti demin proton dela kai saphe
ta sugkekhumena mallon usteron dek touton ginetai gnorima ta stoikheia. Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. aber bis zu den im Erkenntnißvorgang nicht weiter bedingtenGründen. Sie iſt die Wiſſenſchaft der allgemeinen und unver- änderlichen Prinzipien 1). Und zwar geht Ariſtoteles von dem im Kosmos Gegebenen rückwärts zu den Prinzipien. Wenn auch die Rückverweiſungen auf die phyſiſchen Schriften nichts beweiſen, ſo wird dieſer Zuſammenhang doch daraus deutlich, daß die Metaphyſik die Aufzeigung der erſten Urſachen von der Phyſik empfängt und ſelber zunächſt nur durch eine hiſtoriſch-kritiſche Muſterung die Vollſtändigkeit der in der Phyſik gefundenen Prinzipien beſtätigt 2). — In erſter Linie folgert dieſer Zuſammen- hang aus der Anerkennung und Betrachtung der Bewegung. „Uns aber ſtehe der Grundſatz feſt, daß das von Natur Exiſtirende, alles oder doch einiges in Bewegung iſt; und zwar iſt dies durch Schluß aus der Erfahrung klar 3).“ Die eleatiſche Leugnung der Bewegung iſt dem entſprechend für Ariſtoteles, welcher in der Aufgabe der Erklärung der Natur lebt, nur die unfruchtbare Negation aller Wiſſenſchaft des Kosmos. Von den ſtätigen und vollkommenen Bewegungen der Geſtirne, von dem Spiele der Veränderungen unter dem Monde geht die Erkennt- niß zu den erſten Urſachen zurück, welche zugleich die erſten Erklärungsgründe enthalten. So wird der reale Zuſammenhang des Kosmos, welcher Gegenſtand der ſtrengen Wiſſenſchaft iſt, durch eine Analyſe erkannt, die von ihm, als dem uns gegebenen Zuſammengeſetzten, auf die Prinzipien zurückſchließt, als auf die wahren Subjekte des Naturzuſammenhangs 4). Auf der ſelbſtändigen metaphyſiſchen Wiſſenſchaft beruhte, ſo 1) Vergl. S. 160 ff. 2) Metaph. I, 3 und 10, womit die ſchrittweiſe Ableitung der Prinzi- pien in der Phyſik (beſ. Buch I und II) zu vergleichen. 3) Ariſt. Phys. I, 2 p. 185 a 12. 4) Ariſt. Phys. I, 1 p. 184 a 21 ἔστι δ̛ἡμῖν πϱῶτον δῆλα καὶ σαφῆ
τὰ συγκεχυμένα μᾶλλον ὕστεϱον δ̛ἐκ τούτων γίνεται γνώϱιμα τὰ στοιχεῖα. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0275" n="252"/><fw place="top" type="header">Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.</fw><lb/> aber bis zu den im Erkenntnißvorgang nicht weiter bedingten<lb/> Gründen. Sie iſt die Wiſſenſchaft der allgemeinen und unver-<lb/> änderlichen <hi rendition="#g">Prinzipien</hi> <note place="foot" n="1)">Vergl. S. 160 ff.</note>. Und zwar geht Ariſtoteles von dem<lb/> im Kosmos Gegebenen <hi rendition="#g">rückwärts</hi> zu den Prinzipien. Wenn auch<lb/> die Rückverweiſungen auf die phyſiſchen Schriften nichts beweiſen,<lb/> ſo wird dieſer Zuſammenhang doch daraus deutlich, daß die<lb/> Metaphyſik die Aufzeigung der erſten Urſachen von der Phyſik<lb/> empfängt und ſelber zunächſt nur durch eine hiſtoriſch-kritiſche<lb/> Muſterung die Vollſtändigkeit der in der Phyſik gefundenen<lb/> Prinzipien beſtätigt <note place="foot" n="2)"><hi rendition="#aq">Metaph. I</hi>, 3 und 10, womit die ſchrittweiſe Ableitung der Prinzi-<lb/> pien in der Phyſik (beſ. Buch <hi rendition="#aq">I</hi> und <hi rendition="#aq">II</hi>) zu vergleichen.</note>. — In erſter Linie folgert dieſer Zuſammen-<lb/> hang aus der Anerkennung und Betrachtung der Bewegung.<lb/> „Uns aber ſtehe der Grundſatz feſt, daß das von Natur<lb/> Exiſtirende, alles oder doch einiges in Bewegung iſt; und zwar<lb/> iſt dies durch Schluß aus der Erfahrung klar <note place="foot" n="3)">Ariſt. <hi rendition="#aq">Phys. I, 2 p. 185 <hi rendition="#sup">a</hi></hi> 12.</note>.“ Die eleatiſche<lb/> Leugnung der Bewegung iſt dem entſprechend für Ariſtoteles,<lb/> welcher in der Aufgabe der Erklärung der Natur lebt, nur die<lb/> unfruchtbare Negation aller Wiſſenſchaft des Kosmos. Von den<lb/> ſtätigen und vollkommenen Bewegungen der Geſtirne, von dem<lb/> Spiele der Veränderungen unter dem Monde geht die Erkennt-<lb/> niß zu den erſten Urſachen zurück, welche zugleich die erſten<lb/> Erklärungsgründe enthalten. So wird der reale Zuſammenhang<lb/> des Kosmos, welcher Gegenſtand der ſtrengen Wiſſenſchaft iſt,<lb/> durch eine Analyſe erkannt, die von ihm, als dem uns gegebenen<lb/> Zuſammengeſetzten, auf die Prinzipien zurückſchließt, als auf die<lb/> wahren Subjekte des Naturzuſammenhangs <note place="foot" n="4)">Ariſt. <hi rendition="#aq">Phys. I, 1 p. 184 <hi rendition="#sup">a</hi></hi> 21 ἔστι δ̛ἡμῖν πϱῶτον δῆλα καὶ σαφῆ<lb/> τὰ συγκεχυμένα μᾶλλον ὕστεϱον δ̛ἐκ τούτων γίνεται γνώϱιμα τὰ<lb/> στοιχεῖα.</note>.</p><lb/> <p>Auf der ſelbſtändigen metaphyſiſchen Wiſſenſchaft beruhte, ſo<lb/> lange eine erkenntnißtheoretiſche Grundlegung nicht beſtand, zur<lb/> einen Hälfte die Möglichkeit, die poſitiven Wiſſenſchaften einer<lb/> formalen Vollendung entgegenzuführen, wie ſie zur anderen in<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [252/0275]
Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.
aber bis zu den im Erkenntnißvorgang nicht weiter bedingten
Gründen. Sie iſt die Wiſſenſchaft der allgemeinen und unver-
änderlichen Prinzipien 1). Und zwar geht Ariſtoteles von dem
im Kosmos Gegebenen rückwärts zu den Prinzipien. Wenn auch
die Rückverweiſungen auf die phyſiſchen Schriften nichts beweiſen,
ſo wird dieſer Zuſammenhang doch daraus deutlich, daß die
Metaphyſik die Aufzeigung der erſten Urſachen von der Phyſik
empfängt und ſelber zunächſt nur durch eine hiſtoriſch-kritiſche
Muſterung die Vollſtändigkeit der in der Phyſik gefundenen
Prinzipien beſtätigt 2). — In erſter Linie folgert dieſer Zuſammen-
hang aus der Anerkennung und Betrachtung der Bewegung.
„Uns aber ſtehe der Grundſatz feſt, daß das von Natur
Exiſtirende, alles oder doch einiges in Bewegung iſt; und zwar
iſt dies durch Schluß aus der Erfahrung klar 3).“ Die eleatiſche
Leugnung der Bewegung iſt dem entſprechend für Ariſtoteles,
welcher in der Aufgabe der Erklärung der Natur lebt, nur die
unfruchtbare Negation aller Wiſſenſchaft des Kosmos. Von den
ſtätigen und vollkommenen Bewegungen der Geſtirne, von dem
Spiele der Veränderungen unter dem Monde geht die Erkennt-
niß zu den erſten Urſachen zurück, welche zugleich die erſten
Erklärungsgründe enthalten. So wird der reale Zuſammenhang
des Kosmos, welcher Gegenſtand der ſtrengen Wiſſenſchaft iſt,
durch eine Analyſe erkannt, die von ihm, als dem uns gegebenen
Zuſammengeſetzten, auf die Prinzipien zurückſchließt, als auf die
wahren Subjekte des Naturzuſammenhangs 4).
Auf der ſelbſtändigen metaphyſiſchen Wiſſenſchaft beruhte, ſo
lange eine erkenntnißtheoretiſche Grundlegung nicht beſtand, zur
einen Hälfte die Möglichkeit, die poſitiven Wiſſenſchaften einer
formalen Vollendung entgegenzuführen, wie ſie zur anderen in
1) Vergl. S. 160 ff.
2) Metaph. I, 3 und 10, womit die ſchrittweiſe Ableitung der Prinzi-
pien in der Phyſik (beſ. Buch I und II) zu vergleichen.
3) Ariſt. Phys. I, 2 p. 185 a 12.
4) Ariſt. Phys. I, 1 p. 184 a 21 ἔστι δ̛ἡμῖν πϱῶτον δῆλα καὶ σαφῆ
τὰ συγκεχυμένα μᾶλλον ὕστεϱον δ̛ἐκ τούτων γίνεται γνώϱιμα τὰ
στοιχεῖα.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDarüber hinaus sind keine weiteren Bände erschien… [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |