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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Voraussetzung dieses Beweises in der Auffassung des Wissens.
und Handeln als Arten der Beziehung dieses Subjektes zu einem
Sein. Der Skepticismus behauptet nur die Unfähigkeit des auf-
fassenden Vermögens, das Objekt zu erfassen, wie es ist; er lehrt daher
nur die theoretische wie praktische Zurückziehung des Subjekts auf
sich selber, die Enthaltung, seine Einsamkeit inmitten des Seienden.
Dagegen geht das dogmatische Verhalten der griechischen Denker
von dem sicheren Gefühl der Verwandtschaft mit dem Naturganzen
aus; so ist es schließlich in der griechischen Naturreligion be-
gründet; so drückt es sich in dem Satze aus, der den älteren dog-
matischen Theorien der Wahrnehmung wie des Denkens zu Grunde
liegt: Gleiches wird durch Gleiches erkannt. Aus dieser griechischen
Denkweise entspringt Platos Schluß: der Inhalt, welchen die Seele
in sich findet, jedoch nicht in der Erfahrung während ihres dies-
seitigen Lebens erworben hat, muß vor demselben erworben sein;
unser Wissen ist Erinnerung, die Ideen, welche wir in uns finden,
haben wir geschaut. Selbst unsere sittlichen Ideen sind nach Plato
vermöge einer solchen Anschauung für uns da. Geht man von
der frühen Entstehung des Phädrus aus, so liegt hier die fundamen-
tale Begründung der Lehre von der Transscendenz der Ideen 1).

Alle anderen einigermaßen strengen Schlüsse Platos aus dem
Wissen auf die Ideenlehre als seine Bedingung beruhen auf den-
selben Grundlagen. Das Wissen ist nicht aus Wahrnehmen
und Vorstellen ableitbar, sondern von ihm gesondert und ihm
gegenüber selbständig; dem so gesonderten Wissen muß auch
ein für sich bestehender Gegenstand entsprechen. -- So
schließt Plato: dem unveränderlichen Wissen muß nach seinem
Unterschied von der veränderlichen Wahrnehmung ein unveränder-

1) Die Grenze des Mythischen und Scientifischen in dieser Beweis-
führung Platos kann allerdings der Natur der Sache nach nicht genau
festgestellt werden. Schleiermacher, Geschichte der Philos. S. 101 hat die-
selbe daher dahin umgedeutet: "Plato nannte dieses zeitlose, vom ursprüng-
lichen Schauen abgeleitete Einwohnen eine mneme". Die Voraussetzung der
Ideenlehre bleibt aber auch in der Region der Zeitlosigkeit Beziehung
eines überall und immer sich selber gleichen Wissens auf ein sein reales
Objekt bildendes zeitloses und überall sich selber gleiches Sein. Im Uebrigen
vgl. Zeller, II, 1 3, S. 555 ff.

Vorausſetzung dieſes Beweiſes in der Auffaſſung des Wiſſens.
und Handeln als Arten der Beziehung dieſes Subjektes zu einem
Sein. Der Skepticismus behauptet nur die Unfähigkeit des auf-
faſſenden Vermögens, das Objekt zu erfaſſen, wie es iſt; er lehrt daher
nur die theoretiſche wie praktiſche Zurückziehung des Subjekts auf
ſich ſelber, die Enthaltung, ſeine Einſamkeit inmitten des Seienden.
Dagegen geht das dogmatiſche Verhalten der griechiſchen Denker
von dem ſicheren Gefühl der Verwandtſchaft mit dem Naturganzen
aus; ſo iſt es ſchließlich in der griechiſchen Naturreligion be-
gründet; ſo drückt es ſich in dem Satze aus, der den älteren dog-
matiſchen Theorien der Wahrnehmung wie des Denkens zu Grunde
liegt: Gleiches wird durch Gleiches erkannt. Aus dieſer griechiſchen
Denkweiſe entſpringt Platos Schluß: der Inhalt, welchen die Seele
in ſich findet, jedoch nicht in der Erfahrung während ihres dies-
ſeitigen Lebens erworben hat, muß vor demſelben erworben ſein;
unſer Wiſſen iſt Erinnerung, die Ideen, welche wir in uns finden,
haben wir geſchaut. Selbſt unſere ſittlichen Ideen ſind nach Plato
vermöge einer ſolchen Anſchauung für uns da. Geht man von
der frühen Entſtehung des Phädrus aus, ſo liegt hier die fundamen-
tale Begründung der Lehre von der Transſcendenz der Ideen 1).

Alle anderen einigermaßen ſtrengen Schlüſſe Platos aus dem
Wiſſen auf die Ideenlehre als ſeine Bedingung beruhen auf den-
ſelben Grundlagen. Das Wiſſen iſt nicht aus Wahrnehmen
und Vorſtellen ableitbar, ſondern von ihm geſondert und ihm
gegenüber ſelbſtändig; dem ſo geſonderten Wiſſen muß auch
ein für ſich beſtehender Gegenſtand entſprechen. — So
ſchließt Plato: dem unveränderlichen Wiſſen muß nach ſeinem
Unterſchied von der veränderlichen Wahrnehmung ein unveränder-

1) Die Grenze des Mythiſchen und Scientifiſchen in dieſer Beweis-
führung Platos kann allerdings der Natur der Sache nach nicht genau
feſtgeſtellt werden. Schleiermacher, Geſchichte der Philoſ. S. 101 hat die-
ſelbe daher dahin umgedeutet: „Plato nannte dieſes zeitloſe, vom urſprüng-
lichen Schauen abgeleitete Einwohnen eine μνήμη“. Die Vorausſetzung der
Ideenlehre bleibt aber auch in der Region der Zeitloſigkeit Beziehung
eines überall und immer ſich ſelber gleichen Wiſſens auf ein ſein reales
Objekt bildendes zeitloſes und überall ſich ſelber gleiches Sein. Im Uebrigen
vgl. Zeller, II, 1 3, S. 555 ff.
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[237/0260] Vorausſetzung dieſes Beweiſes in der Auffaſſung des Wiſſens. und Handeln als Arten der Beziehung dieſes Subjektes zu einem Sein. Der Skepticismus behauptet nur die Unfähigkeit des auf- faſſenden Vermögens, das Objekt zu erfaſſen, wie es iſt; er lehrt daher nur die theoretiſche wie praktiſche Zurückziehung des Subjekts auf ſich ſelber, die Enthaltung, ſeine Einſamkeit inmitten des Seienden. Dagegen geht das dogmatiſche Verhalten der griechiſchen Denker von dem ſicheren Gefühl der Verwandtſchaft mit dem Naturganzen aus; ſo iſt es ſchließlich in der griechiſchen Naturreligion be- gründet; ſo drückt es ſich in dem Satze aus, der den älteren dog- matiſchen Theorien der Wahrnehmung wie des Denkens zu Grunde liegt: Gleiches wird durch Gleiches erkannt. Aus dieſer griechiſchen Denkweiſe entſpringt Platos Schluß: der Inhalt, welchen die Seele in ſich findet, jedoch nicht in der Erfahrung während ihres dies- ſeitigen Lebens erworben hat, muß vor demſelben erworben ſein; unſer Wiſſen iſt Erinnerung, die Ideen, welche wir in uns finden, haben wir geſchaut. Selbſt unſere ſittlichen Ideen ſind nach Plato vermöge einer ſolchen Anſchauung für uns da. Geht man von der frühen Entſtehung des Phädrus aus, ſo liegt hier die fundamen- tale Begründung der Lehre von der Transſcendenz der Ideen 1). Alle anderen einigermaßen ſtrengen Schlüſſe Platos aus dem Wiſſen auf die Ideenlehre als ſeine Bedingung beruhen auf den- ſelben Grundlagen. Das Wiſſen iſt nicht aus Wahrnehmen und Vorſtellen ableitbar, ſondern von ihm geſondert und ihm gegenüber ſelbſtändig; dem ſo geſonderten Wiſſen muß auch ein für ſich beſtehender Gegenſtand entſprechen. — So ſchließt Plato: dem unveränderlichen Wiſſen muß nach ſeinem Unterſchied von der veränderlichen Wahrnehmung ein unveränder- 1) Die Grenze des Mythiſchen und Scientifiſchen in dieſer Beweis- führung Platos kann allerdings der Natur der Sache nach nicht genau feſtgeſtellt werden. Schleiermacher, Geſchichte der Philoſ. S. 101 hat die- ſelbe daher dahin umgedeutet: „Plato nannte dieſes zeitloſe, vom urſprüng- lichen Schauen abgeleitete Einwohnen eine μνήμη“. Die Vorausſetzung der Ideenlehre bleibt aber auch in der Region der Zeitloſigkeit Beziehung eines überall und immer ſich ſelber gleichen Wiſſens auf ein ſein reales Objekt bildendes zeitloſes und überall ſich ſelber gleiches Sein. Im Uebrigen vgl. Zeller, II, 1 3, S. 555 ff.

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/260>, abgerufen am 27.11.2024.