D. Lehre v. d. substantial. Formen e. nothw. Stadium d. Metaphysik.
Diese Metaphysik der substantialen Formen drückte aus, was das unbewaffnete Auge der Erkenntniß erblickt. Das, was das Spiel der Kräfte im Kosmos stets neu hervorbringt, bildet einen erkennbaren, immer gleichen Inhalt der Welt. Das, was im Wechsel der Orte, Bedingungen und Zeiten stets wiederkehrt, nein vielmehr immer da ist und niemals schwindet, bildet einen Zusammenhang der Ideen, dem Unvergänglichkeit zukommt. Während der einzelne Mensch an einer einzelnen Stelle in Raum und Zeit auftritt und verschwindet: verharrt doch, was in dem Begriff des Menschen ausgedrückt ist. Auch denken wir an nichts anderes zunächst, wenn wir den Gehalt der Welt uns vorzustellen bemüht sind. Wir denken an die Gattungen und Arten, Eigenschaften und Thätigkeiten, welche die Buchstaben der Schrift dieser Welt bilden. Diese sind, in ihren Beziehungen zu einander aufgefaßt, für das natürliche Vorstellen der unveränderliche Bestand der Welt, welchen dies Vorstellen fertig vorfindet, an dem es gar nichts zu ändern vermag und der ihm daher als objektiver zeitloser Bestand gegenübersteht. Wie sie dann zu Begriffen in der Wissenschaft geprägt worden sind, enthielten sie so lange unsere Erkenntniß des Weltinhaltes, als wir nicht die Erscheinungen aufzulösen und durch Zergliederung auf Zusammenwirken von Gesetzen zurückzuführen vermochten. Während dieser ganzen Zeit war die Metaphysik der substantialen Formen das letzte Wort der europäischen Erkenntniß. Und auch nachher fand das metaphysische Denken in der Beziehung des Naturmechanismus zu diesem ideellen und in Zusammenhang hiermit teleologisch aufgefaßten Gehalt des Weltlaufs ein neues Problem.
Jedoch konnte auf dem Standpunkt des natürlichen Systems unserer Vorstellungen, welchen die Metaphysik einnimmt, das Verhältniß dieser Ideen, wie sie den konstanten Inhalt des Weltlaufs bilden, zu diesem selber, zu der Wirklichkeit, nicht auf angemessene Weise bestimmt werden. Einerseits hat erst die Erkenntnißtheorie, indem sie das, was im Denken als Erklärungs- grund gegeben ist, nach seinem Ursprung und seiner durch den-
D. Lehre v. d. ſubſtantial. Formen e. nothw. Stadium d. Metaphyſik.
Dieſe Metaphyſik der ſubſtantialen Formen drückte aus, was das unbewaffnete Auge der Erkenntniß erblickt. Das, was das Spiel der Kräfte im Kosmos ſtets neu hervorbringt, bildet einen erkennbaren, immer gleichen Inhalt der Welt. Das, was im Wechſel der Orte, Bedingungen und Zeiten ſtets wiederkehrt, nein vielmehr immer da iſt und niemals ſchwindet, bildet einen Zuſammenhang der Ideen, dem Unvergänglichkeit zukommt. Während der einzelne Menſch an einer einzelnen Stelle in Raum und Zeit auftritt und verſchwindet: verharrt doch, was in dem Begriff des Menſchen ausgedrückt iſt. Auch denken wir an nichts anderes zunächſt, wenn wir den Gehalt der Welt uns vorzuſtellen bemüht ſind. Wir denken an die Gattungen und Arten, Eigenſchaften und Thätigkeiten, welche die Buchſtaben der Schrift dieſer Welt bilden. Dieſe ſind, in ihren Beziehungen zu einander aufgefaßt, für das natürliche Vorſtellen der unveränderliche Beſtand der Welt, welchen dies Vorſtellen fertig vorfindet, an dem es gar nichts zu ändern vermag und der ihm daher als objektiver zeitloſer Beſtand gegenüberſteht. Wie ſie dann zu Begriffen in der Wiſſenſchaft geprägt worden ſind, enthielten ſie ſo lange unſere Erkenntniß des Weltinhaltes, als wir nicht die Erſcheinungen aufzulöſen und durch Zergliederung auf Zuſammenwirken von Geſetzen zurückzuführen vermochten. Während dieſer ganzen Zeit war die Metaphyſik der ſubſtantialen Formen das letzte Wort der europäiſchen Erkenntniß. Und auch nachher fand das metaphyſiſche Denken in der Beziehung des Naturmechanismus zu dieſem ideellen und in Zuſammenhang hiermit teleologiſch aufgefaßten Gehalt des Weltlaufs ein neues Problem.
Jedoch konnte auf dem Standpunkt des natürlichen Syſtems unſerer Vorſtellungen, welchen die Metaphyſik einnimmt, das Verhältniß dieſer Ideen, wie ſie den konſtanten Inhalt des Weltlaufs bilden, zu dieſem ſelber, zu der Wirklichkeit, nicht auf angemeſſene Weiſe beſtimmt werden. Einerſeits hat erſt die Erkenntnißtheorie, indem ſie das, was im Denken als Erklärungs- grund gegeben iſt, nach ſeinem Urſprung und ſeiner durch den-
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D. Lehre v. d. ſubſtantial. Formen e. nothw. Stadium d. Metaphyſik.
Dieſe Metaphyſik der ſubſtantialen Formen drückte
aus, was das unbewaffnete Auge der Erkenntniß erblickt. Das,
was das Spiel der Kräfte im Kosmos ſtets neu hervorbringt,
bildet einen erkennbaren, immer gleichen Inhalt der Welt.
Das, was im Wechſel der Orte, Bedingungen und Zeiten ſtets
wiederkehrt, nein vielmehr immer da iſt und niemals ſchwindet,
bildet einen Zuſammenhang der Ideen, dem Unvergänglichkeit
zukommt. Während der einzelne Menſch an einer einzelnen
Stelle in Raum und Zeit auftritt und verſchwindet: verharrt
doch, was in dem Begriff des Menſchen ausgedrückt iſt. Auch
denken wir an nichts anderes zunächſt, wenn wir den Gehalt
der Welt uns vorzuſtellen bemüht ſind. Wir denken an die
Gattungen und Arten, Eigenſchaften und Thätigkeiten, welche die
Buchſtaben der Schrift dieſer Welt bilden. Dieſe ſind, in ihren
Beziehungen zu einander aufgefaßt, für das natürliche Vorſtellen
der unveränderliche Beſtand der Welt, welchen dies Vorſtellen
fertig vorfindet, an dem es gar nichts zu ändern vermag
und der ihm daher als objektiver zeitloſer Beſtand gegenüberſteht.
Wie ſie dann zu Begriffen in der Wiſſenſchaft geprägt worden ſind,
enthielten ſie ſo lange unſere Erkenntniß des Weltinhaltes, als
wir nicht die Erſcheinungen aufzulöſen und durch Zergliederung
auf Zuſammenwirken von Geſetzen zurückzuführen vermochten.
Während dieſer ganzen Zeit war die Metaphyſik der ſubſtantialen
Formen das letzte Wort der europäiſchen Erkenntniß. Und auch
nachher fand das metaphyſiſche Denken in der Beziehung des
Naturmechanismus zu dieſem ideellen und in Zuſammenhang
hiermit teleologiſch aufgefaßten Gehalt des Weltlaufs ein neues
Problem.
Jedoch konnte auf dem Standpunkt des natürlichen Syſtems
unſerer Vorſtellungen, welchen die Metaphyſik einnimmt, das
Verhältniß dieſer Ideen, wie ſie den konſtanten Inhalt des
Weltlaufs bilden, zu dieſem ſelber, zu der Wirklichkeit, nicht
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/254>, abgerufen am 23.11.2024.
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