Die monotheistische Metaphysik ist auch von der skeptischen Be- wegung nicht gestört worden; sie war unabhängig von den ein- zelnen metaphysischen Positionen in der Anschauung des gedanken- mäßigen Zusammenhangs des Kosmos begründet; zudem war sie getragen von einer inneren Entwicklung des religiösen Lebens; so wird sie auf der neuen von den Sophisten und Socrates ge- schaffenen Grundlage durch Plato und Aristoteles vollendet werden. Es entsteht der höchste Ausdruck, den der griechische Geist für den Zusammenhang der Welt gefunden hat, welcher in der Anschauung als schön, vor dem Erkennen als gedankenmäßig sich darstellt.
Das wird geschehen, indem sich der monotheistische Grundge- danke mit einer neuen Bestimmung über das Wesenhafte ver- bindet, in welchem der Zusammenhang des Kosmos gefunden werden kann. Sucht man das wahrhaft Seiende, so bietet sich ein doppelter Weg. Die veränderliche Welt kann einerseits in konstante Bestandtheile zerlegt werden, deren Relationen sich ändern, andrerseits kann die Konstanz in der Gleichförmigkeit gesucht werden, welche das Denken in dem Wechsel selber auffaßt. Und zwar wird zunächst diese Gleichförmigkeit in den Inhalten ge- funden, wie sie in der Wirklichkeit wiederkehren. Lange Zeiten werden vergehen, in welchen die menschliche Intelligenz vorwiegend auf dieser Stufe des Erkennens verharrt. Dann erst, in Folge einer tiefer greifenden Zerlegung der Erscheinungen, findet sie die Regel der Veränderungen in dem Gesetz, und damit ist die Möglichkeit gegeben, für dieses Gesetz in den konstanten Bestandtheilen Angriffs- punkte zu finden.
Aber was auch geschieht, jeder Gestalt des europäischen Denkens folgt das skeptische Bewußtsein der Schwierigkeiten und Wider- sprüche in den grundlegenden Voraussetzungen. Immer wieder beginnt die Metaphysik, unermüdlich, an einem tiefer gelegenen Punkte der Abstraktion von Neuem die Arbeit des Aufbaus. Werden nicht auch da jedesmal die Schwierigkeiten und Wider- sprüche, welche die Metaphysik begleiten, nur in einer noch ver- wickelteren Weise wiederkehren?
Sieg der monotheiſtiſchen Metaphyſik.
Die monotheiſtiſche Metaphyſik iſt auch von der ſkeptiſchen Be- wegung nicht geſtört worden; ſie war unabhängig von den ein- zelnen metaphyſiſchen Poſitionen in der Anſchauung des gedanken- mäßigen Zuſammenhangs des Kosmos begründet; zudem war ſie getragen von einer inneren Entwicklung des religiöſen Lebens; ſo wird ſie auf der neuen von den Sophiſten und Socrates ge- ſchaffenen Grundlage durch Plato und Ariſtoteles vollendet werden. Es entſteht der höchſte Ausdruck, den der griechiſche Geiſt für den Zuſammenhang der Welt gefunden hat, welcher in der Anſchauung als ſchön, vor dem Erkennen als gedankenmäßig ſich darſtellt.
Das wird geſchehen, indem ſich der monotheiſtiſche Grundge- danke mit einer neuen Beſtimmung über das Weſenhafte ver- bindet, in welchem der Zuſammenhang des Kosmos gefunden werden kann. Sucht man das wahrhaft Seiende, ſo bietet ſich ein doppelter Weg. Die veränderliche Welt kann einerſeits in konſtante Beſtandtheile zerlegt werden, deren Relationen ſich ändern, andrerſeits kann die Konſtanz in der Gleichförmigkeit geſucht werden, welche das Denken in dem Wechſel ſelber auffaßt. Und zwar wird zunächſt dieſe Gleichförmigkeit in den Inhalten ge- funden, wie ſie in der Wirklichkeit wiederkehren. Lange Zeiten werden vergehen, in welchen die menſchliche Intelligenz vorwiegend auf dieſer Stufe des Erkennens verharrt. Dann erſt, in Folge einer tiefer greifenden Zerlegung der Erſcheinungen, findet ſie die Regel der Veränderungen in dem Geſetz, und damit iſt die Möglichkeit gegeben, für dieſes Geſetz in den konſtanten Beſtandtheilen Angriffs- punkte zu finden.
Aber was auch geſchieht, jeder Geſtalt des europäiſchen Denkens folgt das ſkeptiſche Bewußtſein der Schwierigkeiten und Wider- ſprüche in den grundlegenden Vorausſetzungen. Immer wieder beginnt die Metaphyſik, unermüdlich, an einem tiefer gelegenen Punkte der Abſtraktion von Neuem die Arbeit des Aufbaus. Werden nicht auch da jedesmal die Schwierigkeiten und Wider- ſprüche, welche die Metaphyſik begleiten, nur in einer noch ver- wickelteren Weiſe wiederkehren?
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Sieg der monotheiſtiſchen Metaphyſik.
Die monotheiſtiſche Metaphyſik iſt auch von der ſkeptiſchen Be-
wegung nicht geſtört worden; ſie war unabhängig von den ein-
zelnen metaphyſiſchen Poſitionen in der Anſchauung des gedanken-
mäßigen Zuſammenhangs des Kosmos begründet; zudem war ſie
getragen von einer inneren Entwicklung des religiöſen Lebens; ſo
wird ſie auf der neuen von den Sophiſten und Socrates ge-
ſchaffenen Grundlage durch Plato und Ariſtoteles vollendet werden.
Es entſteht der höchſte Ausdruck, den der griechiſche Geiſt für den
Zuſammenhang der Welt gefunden hat, welcher in der Anſchauung
als ſchön, vor dem Erkennen als gedankenmäßig ſich darſtellt.
Das wird geſchehen, indem ſich der monotheiſtiſche Grundge-
danke mit einer neuen Beſtimmung über das Weſenhafte ver-
bindet, in welchem der Zuſammenhang des Kosmos gefunden
werden kann. Sucht man das wahrhaft Seiende, ſo bietet ſich
ein doppelter Weg. Die veränderliche Welt kann einerſeits in
konſtante Beſtandtheile zerlegt werden, deren Relationen ſich ändern,
andrerſeits kann die Konſtanz in der Gleichförmigkeit geſucht
werden, welche das Denken in dem Wechſel ſelber auffaßt. Und
zwar wird zunächſt dieſe Gleichförmigkeit in den Inhalten ge-
funden, wie ſie in der Wirklichkeit wiederkehren. Lange Zeiten
werden vergehen, in welchen die menſchliche Intelligenz vorwiegend
auf dieſer Stufe des Erkennens verharrt. Dann erſt, in Folge einer
tiefer greifenden Zerlegung der Erſcheinungen, findet ſie die Regel
der Veränderungen in dem Geſetz, und damit iſt die Möglichkeit
gegeben, für dieſes Geſetz in den konſtanten Beſtandtheilen Angriffs-
punkte zu finden.
Aber was auch geſchieht, jeder Geſtalt des europäiſchen Denkens
folgt das ſkeptiſche Bewußtſein der Schwierigkeiten und Wider-
ſprüche in den grundlegenden Vorausſetzungen. Immer wieder
beginnt die Metaphyſik, unermüdlich, an einem tiefer gelegenen
Punkte der Abſtraktion von Neuem die Arbeit des Aufbaus.
Werden nicht auch da jedesmal die Schwierigkeiten und Wider-
ſprüche, welche die Metaphyſik begleiten, nur in einer noch ver-
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/240>, abgerufen am 16.02.2025.
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