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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.

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Zweites Buch. Zweiter Abschnitt.
danken ist es, was das menschliche Erkennen zuerst sucht. Diese
Festigkeit des Aussagens ist sozusagen die subjektive, logische Seite
der objektiven Festigkeit des Zweckes in uns selber, der Substanz
außer uns. Dies zeigt sich geschichtlich darin, daß erst die Un-
sicherheit und der Zweifel, welche die Denkgewißheit stören, die
Frage nach dem logischen Zusammenhang von Grund und Folge,
nach dem Grunde, der in sich fest ist, hervorgetrieben haben.

Und zwar ringt sich in dem Vorgang, den wir nunmehr
darzustellen haben, das Erkennen der Weltsubstanz auch jetzt noch
nicht los von dem Zusammenhang
, welcher vordem in der
Totalität der menschlichen Gemüthskräfte das Erkennen
gleichsam gebunden hielt. Die Götter hatten in der Welt der jonischen
Physiker sowie der Pythagoreer noch Platz gefunden. Indem nun
der Zusammenhang des Kosmos nach seinen allgemeinsten Eigen-
schaften bestimmt wurde, fand sich in demselben für sie im Grunde
keine Stelle mehr. Xenophanes, Heraklit, Parmenides, Anaxagoras,
die leitenden Geister der neuen Zeit, entwickelten einen Welt-
zusammenhang, welcher durch das klare Bewußtsein seines all-
gemeinen Charakters, seines alle Phänomene einschließenden Um-
fangs gleichsam das ganze Terrain der Wirklichkeit occupirte. Das
war in der Welt des Anaximander oder Pythagoras noch nicht
der Fall gewesen. Auch war es für die so eintretende Ver-
änderung gleichgiltig, daß die Götter in dem persönlichen Be-
dürfniß des einen oder anderen dieser Männer noch fortbestanden,
wie dies z. B. augenscheinlich bei Xenophanes der Fall war.
Aber was war nun die Folge dieser Veränderung für die meta-
physische Conception der Weltordnung? Der ganze Inbegriff der
höheren Gefühle, das religiöse Leben, das sittliche Bewußtsein,
das Gefühl der Schönheit und des unendlichen Werthes der Welt
waren nun in diesem Weltzusammenhang selber gegenwärtig. Alle
Eigenschaften, welche das religiöse und sittliche Leben den Göttern
zugeschrieben hatte, fielen nun in diese kosmische Ordnung. Das
höchste Gut selber, der Zweck, der kein Mittel mehr ist, wurden auf
ihn zurückgeführt. So lag in diesem die Erscheinungen Zu-
sammenhaltenden das Vollkommne, Gute, Schöne, dem Unzu-

Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.
danken iſt es, was das menſchliche Erkennen zuerſt ſucht. Dieſe
Feſtigkeit des Ausſagens iſt ſozuſagen die ſubjektive, logiſche Seite
der objektiven Feſtigkeit des Zweckes in uns ſelber, der Subſtanz
außer uns. Dies zeigt ſich geſchichtlich darin, daß erſt die Un-
ſicherheit und der Zweifel, welche die Denkgewißheit ſtören, die
Frage nach dem logiſchen Zuſammenhang von Grund und Folge,
nach dem Grunde, der in ſich feſt iſt, hervorgetrieben haben.

Und zwar ringt ſich in dem Vorgang, den wir nunmehr
darzuſtellen haben, das Erkennen der Weltſubſtanz auch jetzt noch
nicht los von dem Zuſammenhang
, welcher vordem in der
Totalität der menſchlichen Gemüthskräfte das Erkennen
gleichſam gebunden hielt. Die Götter hatten in der Welt der joniſchen
Phyſiker ſowie der Pythagoreer noch Platz gefunden. Indem nun
der Zuſammenhang des Kosmos nach ſeinen allgemeinſten Eigen-
ſchaften beſtimmt wurde, fand ſich in demſelben für ſie im Grunde
keine Stelle mehr. Xenophanes, Heraklit, Parmenides, Anaxagoras,
die leitenden Geiſter der neuen Zeit, entwickelten einen Welt-
zuſammenhang, welcher durch das klare Bewußtſein ſeines all-
gemeinen Charakters, ſeines alle Phänomene einſchließenden Um-
fangs gleichſam das ganze Terrain der Wirklichkeit occupirte. Das
war in der Welt des Anaximander oder Pythagoras noch nicht
der Fall geweſen. Auch war es für die ſo eintretende Ver-
änderung gleichgiltig, daß die Götter in dem perſönlichen Be-
dürfniß des einen oder anderen dieſer Männer noch fortbeſtanden,
wie dies z. B. augenſcheinlich bei Xenophanes der Fall war.
Aber was war nun die Folge dieſer Veränderung für die meta-
phyſiſche Conception der Weltordnung? Der ganze Inbegriff der
höheren Gefühle, das religiöſe Leben, das ſittliche Bewußtſein,
das Gefühl der Schönheit und des unendlichen Werthes der Welt
waren nun in dieſem Weltzuſammenhang ſelber gegenwärtig. Alle
Eigenſchaften, welche das religiöſe und ſittliche Leben den Göttern
zugeſchrieben hatte, fielen nun in dieſe kosmiſche Ordnung. Das
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[190/0213] Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt. danken iſt es, was das menſchliche Erkennen zuerſt ſucht. Dieſe Feſtigkeit des Ausſagens iſt ſozuſagen die ſubjektive, logiſche Seite der objektiven Feſtigkeit des Zweckes in uns ſelber, der Subſtanz außer uns. Dies zeigt ſich geſchichtlich darin, daß erſt die Un- ſicherheit und der Zweifel, welche die Denkgewißheit ſtören, die Frage nach dem logiſchen Zuſammenhang von Grund und Folge, nach dem Grunde, der in ſich feſt iſt, hervorgetrieben haben. Und zwar ringt ſich in dem Vorgang, den wir nunmehr darzuſtellen haben, das Erkennen der Weltſubſtanz auch jetzt noch nicht los von dem Zuſammenhang, welcher vordem in der Totalität der menſchlichen Gemüthskräfte das Erkennen gleichſam gebunden hielt. Die Götter hatten in der Welt der joniſchen Phyſiker ſowie der Pythagoreer noch Platz gefunden. Indem nun der Zuſammenhang des Kosmos nach ſeinen allgemeinſten Eigen- ſchaften beſtimmt wurde, fand ſich in demſelben für ſie im Grunde keine Stelle mehr. Xenophanes, Heraklit, Parmenides, Anaxagoras, die leitenden Geiſter der neuen Zeit, entwickelten einen Welt- zuſammenhang, welcher durch das klare Bewußtſein ſeines all- gemeinen Charakters, ſeines alle Phänomene einſchließenden Um- fangs gleichſam das ganze Terrain der Wirklichkeit occupirte. Das war in der Welt des Anaximander oder Pythagoras noch nicht der Fall geweſen. Auch war es für die ſo eintretende Ver- änderung gleichgiltig, daß die Götter in dem perſönlichen Be- dürfniß des einen oder anderen dieſer Männer noch fortbeſtanden, wie dies z. B. augenſcheinlich bei Xenophanes der Fall war. Aber was war nun die Folge dieſer Veränderung für die meta- phyſiſche Conception der Weltordnung? Der ganze Inbegriff der höheren Gefühle, das religiöſe Leben, das ſittliche Bewußtſein, das Gefühl der Schönheit und des unendlichen Werthes der Welt waren nun in dieſem Weltzuſammenhang ſelber gegenwärtig. Alle Eigenſchaften, welche das religiöſe und ſittliche Leben den Göttern zugeſchrieben hatte, fielen nun in dieſe kosmiſche Ordnung. Das höchſte Gut ſelber, der Zweck, der kein Mittel mehr iſt, wurden auf ihn zurückgeführt. So lag in dieſem die Erſcheinungen Zu- ſammenhaltenden das Vollkommne, Gute, Schöne, dem Unzu-

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Zitationshilfe: Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/213>, abgerufen am 24.11.2024.