gemeinen Bestimmungen eines jeden aufstellbaren Weltzusammen- hangs ableitet, ein metaphysisches.
Dies metaphysische Nachdenken zergliederte an der Außenwelt den Zusammenhang der Wirklichkeit. Wol war dieser Zusammen- hang in letzter Instanz im Bewußtsein begründet, er bildete mit der geschichtlichen Welt erst das Ganze der Wirklichkeit, jedoch hat das metaphysische Denken der Griechen diesen Zusammenhang an dem Studium der Außenwelt aufgefaßt. Dies hatte zur Folge, daß die metaphysischen Begriffe an die räumliche Anschauung gebunden blieben. Das vernunftmäßig bildende Prinzip war schon den Pythagoreern ein Begrenzendes, es hat bei den Eleaten und Plato einen analogen Charakter. Die Erklärung des Kosmos löste Alles, bis in den höchsten Begriff, zu welchem der griechische Geist gelangte, den des unbewegten Bewegers, in Bewegungen und Erscheinungen im Raume auf.
Vermögen wir nun das innere Gesetz auszudrücken, welches in diesem Stadium von Erkenntniß der Zergliederung des Zusammenhangs von Wirklichkeit die Richtung gab? -- Die Welt zeigte zunächst dem beginnenden wissenschaftlichen Denken eine Vielheit einzelner Dinge, in Thun und Leiden veränderlich verbunden, im Raume beweglich, wachsend und abnehmend, ja entstehend und vergehend. Die Hellenen, dies bemerkte einer der neu auftretenden Metaphysiker, sprachen irrthümlich von Entstehen und Vergehen. In der That beweist schon die Sprache, daß diese Vorstellungen die einfache Naturauffassung be- herrschten. Wolken scheinen sich zu bilden und in der Luft zu zergehen, so die einzelnen Dinge. Selbst die Götter des griechischen Mythos waren in der Zeit entstanden. -- Das abgelaufene Jahr- hundert griechischer Wissenschaft hatte nun durch die Vorstellung eines ersten bildungskräftigen Stoffes und seiner Umwandlungen, in Unteritalien durch den Gegensatz der begrenzenden, bildenden Kraft und des Unbegrenzten, einen Zusammenhang unter diesen Anschauungen hergestellt. Wir können die intellektuelle Verfassung eines gebildeten Griechen jener Tage, welcher an den Göttern zu zweifeln begann und sich nun in diesem Wirbel der Stoffumwand-
Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.
gemeinen Beſtimmungen eines jeden aufſtellbaren Weltzuſammen- hangs ableitet, ein metaphyſiſches.
Dies metaphyſiſche Nachdenken zergliederte an der Außenwelt den Zuſammenhang der Wirklichkeit. Wol war dieſer Zuſammen- hang in letzter Inſtanz im Bewußtſein begründet, er bildete mit der geſchichtlichen Welt erſt das Ganze der Wirklichkeit, jedoch hat das metaphyſiſche Denken der Griechen dieſen Zuſammenhang an dem Studium der Außenwelt aufgefaßt. Dies hatte zur Folge, daß die metaphyſiſchen Begriffe an die räumliche Anſchauung gebunden blieben. Das vernunftmäßig bildende Prinzip war ſchon den Pythagoreern ein Begrenzendes, es hat bei den Eleaten und Plato einen analogen Charakter. Die Erklärung des Kosmos löſte Alles, bis in den höchſten Begriff, zu welchem der griechiſche Geiſt gelangte, den des unbewegten Bewegers, in Bewegungen und Erſcheinungen im Raume auf.
Vermögen wir nun das innere Geſetz auszudrücken, welches in dieſem Stadium von Erkenntniß der Zergliederung des Zuſammenhangs von Wirklichkeit die Richtung gab? — Die Welt zeigte zunächſt dem beginnenden wiſſenſchaftlichen Denken eine Vielheit einzelner Dinge, in Thun und Leiden veränderlich verbunden, im Raume beweglich, wachſend und abnehmend, ja entſtehend und vergehend. Die Hellenen, dies bemerkte einer der neu auftretenden Metaphyſiker, ſprachen irrthümlich von Entſtehen und Vergehen. In der That beweiſt ſchon die Sprache, daß dieſe Vorſtellungen die einfache Naturauffaſſung be- herrſchten. Wolken ſcheinen ſich zu bilden und in der Luft zu zergehen, ſo die einzelnen Dinge. Selbſt die Götter des griechiſchen Mythos waren in der Zeit entſtanden. — Das abgelaufene Jahr- hundert griechiſcher Wiſſenſchaft hatte nun durch die Vorſtellung eines erſten bildungskräftigen Stoffes und ſeiner Umwandlungen, in Unteritalien durch den Gegenſatz der begrenzenden, bildenden Kraft und des Unbegrenzten, einen Zuſammenhang unter dieſen Anſchauungen hergeſtellt. Wir können die intellektuelle Verfaſſung eines gebildeten Griechen jener Tage, welcher an den Göttern zu zweifeln begann und ſich nun in dieſem Wirbel der Stoffumwand-
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Zweites Buch. Zweiter Abſchnitt.
gemeinen Beſtimmungen eines jeden aufſtellbaren Weltzuſammen-
hangs ableitet, ein metaphyſiſches.
Dies metaphyſiſche Nachdenken zergliederte an der Außenwelt den
Zuſammenhang der Wirklichkeit. Wol war dieſer Zuſammen-
hang in letzter Inſtanz im Bewußtſein begründet, er bildete mit
der geſchichtlichen Welt erſt das Ganze der Wirklichkeit, jedoch hat
das metaphyſiſche Denken der Griechen dieſen Zuſammenhang
an dem Studium der Außenwelt aufgefaßt. Dies hatte zur
Folge, daß die metaphyſiſchen Begriffe an die räumliche Anſchauung
gebunden blieben. Das vernunftmäßig bildende Prinzip war ſchon
den Pythagoreern ein Begrenzendes, es hat bei den Eleaten und
Plato einen analogen Charakter. Die Erklärung des Kosmos
löſte Alles, bis in den höchſten Begriff, zu welchem der griechiſche
Geiſt gelangte, den des unbewegten Bewegers, in Bewegungen
und Erſcheinungen im Raume auf.
Vermögen wir nun das innere Geſetz auszudrücken, welches
in dieſem Stadium von Erkenntniß der Zergliederung des
Zuſammenhangs von Wirklichkeit die Richtung gab? — Die
Welt zeigte zunächſt dem beginnenden wiſſenſchaftlichen Denken
eine Vielheit einzelner Dinge, in Thun und Leiden veränderlich
verbunden, im Raume beweglich, wachſend und abnehmend,
ja entſtehend und vergehend. Die Hellenen, dies bemerkte
einer der neu auftretenden Metaphyſiker, ſprachen irrthümlich
von Entſtehen und Vergehen. In der That beweiſt ſchon die
Sprache, daß dieſe Vorſtellungen die einfache Naturauffaſſung be-
herrſchten. Wolken ſcheinen ſich zu bilden und in der Luft zu
zergehen, ſo die einzelnen Dinge. Selbſt die Götter des griechiſchen
Mythos waren in der Zeit entſtanden. — Das abgelaufene Jahr-
hundert griechiſcher Wiſſenſchaft hatte nun durch die Vorſtellung
eines erſten bildungskräftigen Stoffes und ſeiner Umwandlungen,
in Unteritalien durch den Gegenſatz der begrenzenden, bildenden
Kraft und des Unbegrenzten, einen Zuſammenhang unter dieſen
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/211>, abgerufen am 24.11.2024.
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