die Grenzen niederzureißen, welche ein eingeschränkter Fachbetrieb zwischen der Philosophie und den Einzelwissenschaften errichtet hat.
Den Anforderungen des kritischen Bewußtseins vermag aber die Logik nur zu entsprechen, indem sie ihr Gebiet über die Ana- lysis des diskursiven Denkens hinaus erweitert. Die formale Logik schränkt sich auf die Gesetze des diskursiven Denkens ein, welche aus dem Ueberzeugungsgefühl abstrahirt werden konnten, das unser im Bewußtsein verlaufendes Urtheilen und Schließen begleitet. Diese Logik dagegen, welche die Konsequenz des kritischen Stand- punktes zieht, nimmt die von Kant als transcendentale Aesthetik und Analytik bezeichneten Untersuchungen in sich auf, d. h. den Zusammenhang der dem diskursiven Denken zu Grunde liegenden Vorgänge; sie dringt also rückwärts in die Natur und den Er- kenntnißwerth von Prozessen ein, deren Ergebnisse unsere früheste Erinnerung schon vorfindet. Und zwar kann sie dem so ent- stehenden, den inneren und äußeren Wahrnehmungsvorgang sowie das diskursive Denken umfassenden Zusammenhang ein Prinzip der Aequivalenz zu Grunde legen, welchem gemäß die Leistung, durch welche der Wahrnehmungsvorgang über das ihm Gegebene hinausgeht, dem diskursiven Denken gleichwerthig ist. In der Richtung einer solchen Erweiterung der Logik liegt der von Helm- holtz entworfene tiefe Begriff der unbewußten Schlüsse1). Diese Er- weiterung muß alsdann auf die Formeln zurückwirken, in welchen die Bestandtheile und Normen des diskursiven Denkens dargestellt werden. Das logische Ideal selber ändert sich. Sigwart hat von diesem Standpunkt aus die Formeln der Logik umge- bildet und so eine Methodenlehre unter kritischem Gesichtspunkt begründet2). Nachdem einmal das kritische Bewußtsein da ist, kann es unmöglich eine Evidenz erster und zweiter Klasse oder Wissende erster und zweiter Rangordnung geben; nur derjenige Begriff ist nunmehr vollkommen in logischer Rücksicht, welcher ein
1) Vgl. die letzte Fassung, Thatsachen in der Wahrnehmung (1879) S. 27.
2) 1873 im ersten Band seiner Logik, dem dann 1878 im zweiten die Methodenlehre folgte.
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Sie ſoll Erkenntnißtheorie und Logik verknüpfen.
die Grenzen niederzureißen, welche ein eingeſchränkter Fachbetrieb zwiſchen der Philoſophie und den Einzelwiſſenſchaften errichtet hat.
Den Anforderungen des kritiſchen Bewußtſeins vermag aber die Logik nur zu entſprechen, indem ſie ihr Gebiet über die Ana- lyſis des diskurſiven Denkens hinaus erweitert. Die formale Logik ſchränkt ſich auf die Geſetze des diskurſiven Denkens ein, welche aus dem Ueberzeugungsgefühl abſtrahirt werden konnten, das unſer im Bewußtſein verlaufendes Urtheilen und Schließen begleitet. Dieſe Logik dagegen, welche die Konſequenz des kritiſchen Stand- punktes zieht, nimmt die von Kant als transcendentale Aeſthetik und Analytik bezeichneten Unterſuchungen in ſich auf, d. h. den Zuſammenhang der dem diskurſiven Denken zu Grunde liegenden Vorgänge; ſie dringt alſo rückwärts in die Natur und den Er- kenntnißwerth von Prozeſſen ein, deren Ergebniſſe unſere früheſte Erinnerung ſchon vorfindet. Und zwar kann ſie dem ſo ent- ſtehenden, den inneren und äußeren Wahrnehmungsvorgang ſowie das diskurſive Denken umfaſſenden Zuſammenhang ein Prinzip der Aequivalenz zu Grunde legen, welchem gemäß die Leiſtung, durch welche der Wahrnehmungsvorgang über das ihm Gegebene hinausgeht, dem diskurſiven Denken gleichwerthig iſt. In der Richtung einer ſolchen Erweiterung der Logik liegt der von Helm- holtz entworfene tiefe Begriff der unbewußten Schlüſſe1). Dieſe Er- weiterung muß alsdann auf die Formeln zurückwirken, in welchen die Beſtandtheile und Normen des diskurſiven Denkens dargeſtellt werden. Das logiſche Ideal ſelber ändert ſich. Sigwart hat von dieſem Standpunkt aus die Formeln der Logik umge- bildet und ſo eine Methodenlehre unter kritiſchem Geſichtspunkt begründet2). Nachdem einmal das kritiſche Bewußtſein da iſt, kann es unmöglich eine Evidenz erſter und zweiter Klaſſe oder Wiſſende erſter und zweiter Rangordnung geben; nur derjenige Begriff iſt nunmehr vollkommen in logiſcher Rückſicht, welcher ein
1) Vgl. die letzte Faſſung, Thatſachen in der Wahrnehmung (1879) S. 27.
2) 1873 im erſten Band ſeiner Logik, dem dann 1878 im zweiten die Methodenlehre folgte.
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Sie ſoll Erkenntnißtheorie und Logik verknüpfen.
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Den Anforderungen des kritiſchen Bewußtſeins vermag aber
die Logik nur zu entſprechen, indem ſie ihr Gebiet über die Ana-
lyſis des diskurſiven Denkens hinaus erweitert. Die formale Logik
ſchränkt ſich auf die Geſetze des diskurſiven Denkens ein, welche
aus dem Ueberzeugungsgefühl abſtrahirt werden konnten, das unſer
im Bewußtſein verlaufendes Urtheilen und Schließen begleitet.
Dieſe Logik dagegen, welche die Konſequenz des kritiſchen Stand-
punktes zieht, nimmt die von Kant als transcendentale Aeſthetik
und Analytik bezeichneten Unterſuchungen in ſich auf, d. h. den
Zuſammenhang der dem diskurſiven Denken zu Grunde liegenden
Vorgänge; ſie dringt alſo rückwärts in die Natur und den Er-
kenntnißwerth von Prozeſſen ein, deren Ergebniſſe unſere früheſte
Erinnerung ſchon vorfindet. Und zwar kann ſie dem ſo ent-
ſtehenden, den inneren und äußeren Wahrnehmungsvorgang ſowie
das diskurſive Denken umfaſſenden Zuſammenhang ein Prinzip
der Aequivalenz zu Grunde legen, welchem gemäß die Leiſtung,
durch welche der Wahrnehmungsvorgang über das ihm Gegebene
hinausgeht, dem diskurſiven Denken gleichwerthig iſt. In der
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holtz entworfene tiefe Begriff der unbewußten Schlüſſe 1). Dieſe Er-
weiterung muß alsdann auf die Formeln zurückwirken, in welchen
die Beſtandtheile und Normen des diskurſiven Denkens dargeſtellt
werden. Das logiſche Ideal ſelber ändert ſich. Sigwart
hat von dieſem Standpunkt aus die Formeln der Logik umge-
bildet und ſo eine Methodenlehre unter kritiſchem Geſichtspunkt
begründet 2). Nachdem einmal das kritiſche Bewußtſein da iſt,
kann es unmöglich eine Evidenz erſter und zweiter Klaſſe oder
Wiſſende erſter und zweiter Rangordnung geben; nur derjenige
Begriff iſt nunmehr vollkommen in logiſcher Rückſicht, welcher ein
1) Vgl. die letzte Faſſung, Thatſachen in der Wahrnehmung (1879) S. 27.
2) 1873 im erſten Band ſeiner Logik, dem dann 1878 im zweiten die
Methodenlehre folgte.
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/170>, abgerufen am 25.11.2024.
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