Sie substituirt nur d. Realitäten d. Theologie abstrakte Wesenheiten.
zusammenhangs den Imperativ für die Gesellschaft abzuleiten unternahm.
Der deutsche Individualismus war gezwungen eine andere Wendung des Gedankens zu versuchen: auch sie führte ihn auf Metaphysik. Die unendliche Entwicklung des Individuums, in ihrem Verhältniß zur Entwicklung des Menschengeschlechts, wurde ihm das Hilfsmittel einer Lösung des geschichts-philosophischen Problems. Aber die Metaphysik kämpft hier schon mit dem kritischen Bewußtsein der Grenzen geschichtlichen Erkennens, und dieser Kampf zieht sich durch die ganze Gedankenarbeit dieser Richtung.
Kant selber fand in dem Plan der Vorsehung den Zu- sammenhang der Geschichte. Denn "das Mittel dessen sich die Natur bedient, die Entwicklung aller ihrer Anlagen zu Stande zu bringen, ist der Antagonismus derselben in der Gesellschaft" -- die "ungesellige Geselligkeit" 1) des Menschen. Seine Hypothese schränkt sich auf die Untersuchung ein, wie in der Geschichte das Problem der Erreichung einer allgemein das Recht verwaltenden bürgerlichen Gesellschaft aufgelöst wird. "Befremdend bleibt es aber immer hierbei: daß die älteren Generationen nur scheinen um der späteren willen ihr mühseliges Geschäft zu treiben, um nämlich diesen eine Stufe zu bereiten, von der diese das Bau- werk, welches die Natur zur Absicht hat, höher bringen könnten; und daß doch nur die spätesten das Glück haben sollen, in dem Gebäude zu wohnen, woran eine lange Reihe ihrer Vorfahren (freilich ohne ihre Absicht) gearbeitet hatten, ohne doch selbst an dem Glück, das sie vorbereiteten, Antheil nehmen zu können. Allein so räthselhaft dieses auch ist, so nothwendig ist es doch zu- gleich, wenn man einmal annimmt: eine Thiergattung soll Ver- nunft haben, und als Classe vernünftiger Wesen, die insgesammt sterben, deren Gattung aber unsterblich ist, dennoch zu einer Vollständigkeit der Entwicklung dieser Anlagen gelangen" 2).
Lessing hatte diese Schwierigkeit durch den Gedanken der Seelen- wanderung gelöst. "Wie? Wenn es nun gar so gut als ausgemacht
1) Kant Werke Rosenkr. Bd. 7, S. 321.
2) ebendas. 320 f.
Sie ſubſtituirt nur d. Realitäten d. Theologie abſtrakte Weſenheiten.
zuſammenhangs den Imperativ für die Geſellſchaft abzuleiten unternahm.
Der deutſche Individualismus war gezwungen eine andere Wendung des Gedankens zu verſuchen: auch ſie führte ihn auf Metaphyſik. Die unendliche Entwicklung des Individuums, in ihrem Verhältniß zur Entwicklung des Menſchengeſchlechts, wurde ihm das Hilfsmittel einer Löſung des geſchichts-philoſophiſchen Problems. Aber die Metaphyſik kämpft hier ſchon mit dem kritiſchen Bewußtſein der Grenzen geſchichtlichen Erkennens, und dieſer Kampf zieht ſich durch die ganze Gedankenarbeit dieſer Richtung.
Kant ſelber fand in dem Plan der Vorſehung den Zu- ſammenhang der Geſchichte. Denn „das Mittel deſſen ſich die Natur bedient, die Entwicklung aller ihrer Anlagen zu Stande zu bringen, iſt der Antagonismus derſelben in der Geſellſchaft“ — die „ungeſellige Geſelligkeit“ 1) des Menſchen. Seine Hypotheſe ſchränkt ſich auf die Unterſuchung ein, wie in der Geſchichte das Problem der Erreichung einer allgemein das Recht verwaltenden bürgerlichen Geſellſchaft aufgelöſt wird. „Befremdend bleibt es aber immer hierbei: daß die älteren Generationen nur ſcheinen um der ſpäteren willen ihr mühſeliges Geſchäft zu treiben, um nämlich dieſen eine Stufe zu bereiten, von der dieſe das Bau- werk, welches die Natur zur Abſicht hat, höher bringen könnten; und daß doch nur die ſpäteſten das Glück haben ſollen, in dem Gebäude zu wohnen, woran eine lange Reihe ihrer Vorfahren (freilich ohne ihre Abſicht) gearbeitet hatten, ohne doch ſelbſt an dem Glück, das ſie vorbereiteten, Antheil nehmen zu können. Allein ſo räthſelhaft dieſes auch iſt, ſo nothwendig iſt es doch zu- gleich, wenn man einmal annimmt: eine Thiergattung ſoll Ver- nunft haben, und als Claſſe vernünftiger Weſen, die insgeſammt ſterben, deren Gattung aber unſterblich iſt, dennoch zu einer Vollſtändigkeit der Entwicklung dieſer Anlagen gelangen“ 2).
Leſſing hatte dieſe Schwierigkeit durch den Gedanken der Seelen- wanderung gelöſt. „Wie? Wenn es nun gar ſo gut als ausgemacht
1) Kant Werke Roſenkr. Bd. 7, S. 321.
2) ebendaſ. 320 f.
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Sie ſubſtituirt nur d. Realitäten d. Theologie abſtrakte Weſenheiten.
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Der deutſche Individualismus war gezwungen eine
andere Wendung des Gedankens zu verſuchen: auch ſie führte ihn
auf Metaphyſik. Die unendliche Entwicklung des Individuums, in
ihrem Verhältniß zur Entwicklung des Menſchengeſchlechts, wurde
ihm das Hilfsmittel einer Löſung des geſchichts-philoſophiſchen
Problems. Aber die Metaphyſik kämpft hier ſchon mit dem kritiſchen
Bewußtſein der Grenzen geſchichtlichen Erkennens, und dieſer Kampf
zieht ſich durch die ganze Gedankenarbeit dieſer Richtung.
Kant ſelber fand in dem Plan der Vorſehung den Zu-
ſammenhang der Geſchichte. Denn „das Mittel deſſen ſich die
Natur bedient, die Entwicklung aller ihrer Anlagen zu Stande
zu bringen, iſt der Antagonismus derſelben in der Geſellſchaft“
— die „ungeſellige Geſelligkeit“ 1) des Menſchen. Seine Hypotheſe
ſchränkt ſich auf die Unterſuchung ein, wie in der Geſchichte das
Problem der Erreichung einer allgemein das Recht verwaltenden
bürgerlichen Geſellſchaft aufgelöſt wird. „Befremdend bleibt es
aber immer hierbei: daß die älteren Generationen nur ſcheinen
um der ſpäteren willen ihr mühſeliges Geſchäft zu treiben, um
nämlich dieſen eine Stufe zu bereiten, von der dieſe das Bau-
werk, welches die Natur zur Abſicht hat, höher bringen könnten;
und daß doch nur die ſpäteſten das Glück haben ſollen, in dem
Gebäude zu wohnen, woran eine lange Reihe ihrer Vorfahren
(freilich ohne ihre Abſicht) gearbeitet hatten, ohne doch ſelbſt an
dem Glück, das ſie vorbereiteten, Antheil nehmen zu können.
Allein ſo räthſelhaft dieſes auch iſt, ſo nothwendig iſt es doch zu-
gleich, wenn man einmal annimmt: eine Thiergattung ſoll Ver-
nunft haben, und als Claſſe vernünftiger Weſen, die insgeſammt
ſterben, deren Gattung aber unſterblich iſt, dennoch zu einer
Vollſtändigkeit der Entwicklung dieſer Anlagen gelangen“ 2).
Leſſing hatte dieſe Schwierigkeit durch den Gedanken der Seelen-
wanderung gelöſt. „Wie? Wenn es nun gar ſo gut als ausgemacht
1) Kant Werke Roſenkr. Bd. 7, S. 321.
2) ebendaſ. 320 f.
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/150>, abgerufen am 25.11.2024.
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