Allgemeinvorstellungen als Gegenstand der Geschichtsphilosophie.
bei Schleiermacher, oder Hegels Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit. -- Und wie zu weite Definitionen als Sätze wahr sind und nur als Definitionen falsch, so pflegt auch das was in dem faltigen Gewand dieser Formeln sich birgt nicht unrichtig zu sein, nur ein ärmlicher und unzureichender Ausdruck der machtvollen Wirklichkeit, deren Gehalt auszudrücken es beansprucht.
Da nun Philosophie der Geschichte in ihrer Formel die ganze Wesenheit des Weltlaufs auszudrücken beansprucht, so will sie in der- selben zugleich mit dem Causalzusammenhang auch den Sinn des geschichtlichen Verlaufs d. h. seinen Werth und sein Ziel aus- sprechen, sofern sie einen solchen neben dem Causalzusammenhang anerkennt. Die Enden unseres Bewußtseins, Wissen von Wirk- lichkeit und Bewußtsein von Werth und Regel, sind in ihrer Allgemeinvorstellung in eins gebunden: sei es nun daß nach ihr in dem metaphysischen Weltgrunde diese Einheit angelegt ist, als eine Verwirklichung des Weltzweckes vermöge des Systems der wirken- den Ursachen, oder daß die Zwecke welche der Mensch sich setzt, die Werthe die er den Thatsachen der Wirklichkeit giebt, mit Spinoza und den Naturalisten als eine ephemere Form inneren Lebens in gewissen Erzeugnissen der Natur angesehen werden, welche nicht in deren blinde Macht zurückreichen. Sei also Geschichtsphilosophie teleologisch oder naturalistisch: ihr weiteres Merkmal ist, daß in ihrer Formel des Weltlaufs auch der Sinn, Zweck, Werth, welchen sie in der Welt verwirklicht sieht, vertreten ist. Negativ ausge- drückt, sie begnügt sich nicht mit der Erforschung des zugänglichen Causalzusammenhangs, indem sie das Gefühl vom Werthe des Weltlaufs, wie es in unserem Bewußtsein als Thatsache auftritt, walten läßt, ohne es weder zu verstümmeln noch vorwitzig in die Forschung zu mischen. Das thut der wahre Einzelforscher. Sie geht auch nicht von den Werthen und Regeln zurück zu dem Punkte im Selbstbewußtsein, an welchem diese mit dem Vorstellen und Denken verknüpft sind. Das thut der kritische Denker. Sonst würde sie erkennen, daß Werth und Regel nur in der Beziehung auf unser System der Energien da sind und daß sie ohne Be- ziehung auf ein solches System keinen vorstellbaren Sinn mehr
Allgemeinvorſtellungen als Gegenſtand der Geſchichtsphiloſophie.
bei Schleiermacher, oder Hegels Fortſchritt im Bewußtſein der Freiheit. — Und wie zu weite Definitionen als Sätze wahr ſind und nur als Definitionen falſch, ſo pflegt auch das was in dem faltigen Gewand dieſer Formeln ſich birgt nicht unrichtig zu ſein, nur ein ärmlicher und unzureichender Ausdruck der machtvollen Wirklichkeit, deren Gehalt auszudrücken es beanſprucht.
Da nun Philoſophie der Geſchichte in ihrer Formel die ganze Weſenheit des Weltlaufs auszudrücken beanſprucht, ſo will ſie in der- ſelben zugleich mit dem Cauſalzuſammenhang auch den Sinn des geſchichtlichen Verlaufs d. h. ſeinen Werth und ſein Ziel aus- ſprechen, ſofern ſie einen ſolchen neben dem Cauſalzuſammenhang anerkennt. Die Enden unſeres Bewußtſeins, Wiſſen von Wirk- lichkeit und Bewußtſein von Werth und Regel, ſind in ihrer Allgemeinvorſtellung in eins gebunden: ſei es nun daß nach ihr in dem metaphyſiſchen Weltgrunde dieſe Einheit angelegt iſt, als eine Verwirklichung des Weltzweckes vermöge des Syſtems der wirken- den Urſachen, oder daß die Zwecke welche der Menſch ſich ſetzt, die Werthe die er den Thatſachen der Wirklichkeit giebt, mit Spinoza und den Naturaliſten als eine ephemere Form inneren Lebens in gewiſſen Erzeugniſſen der Natur angeſehen werden, welche nicht in deren blinde Macht zurückreichen. Sei alſo Geſchichtsphiloſophie teleologiſch oder naturaliſtiſch: ihr weiteres Merkmal iſt, daß in ihrer Formel des Weltlaufs auch der Sinn, Zweck, Werth, welchen ſie in der Welt verwirklicht ſieht, vertreten iſt. Negativ ausge- drückt, ſie begnügt ſich nicht mit der Erforſchung des zugänglichen Cauſalzuſammenhangs, indem ſie das Gefühl vom Werthe des Weltlaufs, wie es in unſerem Bewußtſein als Thatſache auftritt, walten läßt, ohne es weder zu verſtümmeln noch vorwitzig in die Forſchung zu miſchen. Das thut der wahre Einzelforſcher. Sie geht auch nicht von den Werthen und Regeln zurück zu dem Punkte im Selbſtbewußtſein, an welchem dieſe mit dem Vorſtellen und Denken verknüpft ſind. Das thut der kritiſche Denker. Sonſt würde ſie erkennen, daß Werth und Regel nur in der Beziehung auf unſer Syſtem der Energien da ſind und daß ſie ohne Be- ziehung auf ein ſolches Syſtem keinen vorſtellbaren Sinn mehr
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Allgemeinvorſtellungen als Gegenſtand der Geſchichtsphiloſophie.
bei Schleiermacher, oder Hegels Fortſchritt im Bewußtſein der
Freiheit. — Und wie zu weite Definitionen als Sätze wahr
ſind und nur als Definitionen falſch, ſo pflegt auch das was
in dem faltigen Gewand dieſer Formeln ſich birgt nicht unrichtig
zu ſein, nur ein ärmlicher und unzureichender Ausdruck der
machtvollen Wirklichkeit, deren Gehalt auszudrücken es beanſprucht.
Da nun Philoſophie der Geſchichte in ihrer Formel die ganze
Weſenheit des Weltlaufs auszudrücken beanſprucht, ſo will ſie in der-
ſelben zugleich mit dem Cauſalzuſammenhang auch den Sinn des
geſchichtlichen Verlaufs d. h. ſeinen Werth und ſein Ziel aus-
ſprechen, ſofern ſie einen ſolchen neben dem Cauſalzuſammenhang
anerkennt. Die Enden unſeres Bewußtſeins, Wiſſen von Wirk-
lichkeit und Bewußtſein von Werth und Regel, ſind in ihrer
Allgemeinvorſtellung in eins gebunden: ſei es nun daß nach ihr in
dem metaphyſiſchen Weltgrunde dieſe Einheit angelegt iſt, als eine
Verwirklichung des Weltzweckes vermöge des Syſtems der wirken-
den Urſachen, oder daß die Zwecke welche der Menſch ſich ſetzt, die
Werthe die er den Thatſachen der Wirklichkeit giebt, mit Spinoza
und den Naturaliſten als eine ephemere Form inneren Lebens in
gewiſſen Erzeugniſſen der Natur angeſehen werden, welche nicht
in deren blinde Macht zurückreichen. Sei alſo Geſchichtsphiloſophie
teleologiſch oder naturaliſtiſch: ihr weiteres Merkmal iſt, daß in
ihrer Formel des Weltlaufs auch der Sinn, Zweck, Werth, welchen
ſie in der Welt verwirklicht ſieht, vertreten iſt. Negativ ausge-
drückt, ſie begnügt ſich nicht mit der Erforſchung des zugänglichen
Cauſalzuſammenhangs, indem ſie das Gefühl vom Werthe des
Weltlaufs, wie es in unſerem Bewußtſein als Thatſache auftritt,
walten läßt, ohne es weder zu verſtümmeln noch vorwitzig in die
Forſchung zu miſchen. Das thut der wahre Einzelforſcher. Sie
geht auch nicht von den Werthen und Regeln zurück zu dem Punkte
im Selbſtbewußtſein, an welchem dieſe mit dem Vorſtellen und
Denken verknüpft ſind. Das thut der kritiſche Denker. Sonſt
würde ſie erkennen, daß Werth und Regel nur in der Beziehung
auf unſer Syſtem der Energien da ſind und daß ſie ohne Be-
ziehung auf ein ſolches Syſtem keinen vorſtellbaren Sinn mehr
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/144>, abgerufen am 23.11.2024.
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