Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883.Der geschichtliche Thatbestand d. äuß. Organisation d. Gesellschaft. liche Freiheit und That in das Naturleben des Organismus ver-senkt, die Familie als "sociale Gewebezelle" 1) betrachtet: so wird in einem solchen Begriff gleich im Beginn der Wissenschaft von der Gesellschaft das freie Fürsichsein des Individuums schon im Familienverbande eliminirt, und wer mit dem zellenhaften Leben der Familie beginnt, kann nur mit der socialistischen Gestaltung der Gesellschaft endigen. Indem dann weiter Familien die Verbände der Geschlechter- 1) Schäffle, Bau und Leben des organischen Körpers I, 213 ff.
Der geſchichtliche Thatbeſtand d. äuß. Organiſation d. Geſellſchaft. liche Freiheit und That in das Naturleben des Organismus ver-ſenkt, die Familie als „ſociale Gewebezelle“ 1) betrachtet: ſo wird in einem ſolchen Begriff gleich im Beginn der Wiſſenſchaft von der Geſellſchaft das freie Fürſichſein des Individuums ſchon im Familienverbande eliminirt, und wer mit dem zellenhaften Leben der Familie beginnt, kann nur mit der ſocialiſtiſchen Geſtaltung der Geſellſchaft endigen. Indem dann weiter Familien die Verbände der Geſchlechter- 1) Schäffle, Bau und Leben des organiſchen Körpers I, 213 ff.
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Der geſchichtliche Thatbeſtand d. äuß. Organiſation d. Geſellſchaft.
liche Freiheit und That in das Naturleben des Organismus ver-
ſenkt, die Familie als „ſociale Gewebezelle“ 1) betrachtet: ſo wird
in einem ſolchen Begriff gleich im Beginn der Wiſſenſchaft von
der Geſellſchaft das freie Fürſichſein des Individuums ſchon im
Familienverbande eliminirt, und wer mit dem zellenhaften Leben
der Familie beginnt, kann nur mit der ſocialiſtiſchen Geſtaltung
der Geſellſchaft endigen.
Indem dann weiter Familien die Verbände der Geſchlechter-
ordnung bilden, dieſe in Verbände anderer Struktur, wie die von
Niederlaſſung ſind, eintreten, oder von einem weiteren Verbande
umfaßt werden, muß, gemäß der Grundfunktion des Staates,
Macht zu ſein, welche die Souveränität zu ſeinem ſpecifiſchen
Merkmal macht, die Staatsfunktion jedesmal in dem weiteſten
Verbande ihren Sitz haben; ſo ſondern ſich Familienverband und
Staatsverband von einander. Wo die Germanen in die Geſchichte
eintreten, finden wir dieſe Trennung lange vollzogen, den deut-
ſchen Hausverband für ſich geſtaltet, von der Zeit, in welcher die
Sippe einſt die Familien zu einem ſelbſtändigen Verbande ver-
knüpft haben mag, nur noch Reſte, und Volksgemeinden als ſelb-
ſtändige ſtaatliche Gemeinweſen. Die Stadien, welche hier von
keinem Beobachter wahrgenommen durchlaufen worden ſind, ehe
ein Cäſar oder Tacitus aufzeichneten, was in der nördlichen Wild-
niß geſchah, ſind nur theilweiſe zugänglich in den Berichten der
Reiſenden von dem Verbandsleben der Naturvölker. Aber während
die Reſte des älteſten germaniſchen Verbandslebens darauf deuten,
daß die patriarchaliſche Gewalt (mundium), die im Hausverbande
waltete, nicht conſtitutiv für den Geſchlechtsverband wurde, be-
gegnen wir nun hier bei vielen Stämmen einer aus der patriar-
chaliſchen Hausordnung erwachſenden Häuptlingsverfaſſung. So
iſt der Vorgang der Differenzirung, welcher die äußere geſellſchaft-
liche Organiſation bei den verſchiedenen Völkerfamilien und Völkern
hervorbringt, gleich in ſeinem Anſatz verſchieden. Dies zieht einem
vergleichenden Verfahren, welches ſich der Zuſtände von Natur-
1) Schäffle, Bau und Leben des organiſchen Körpers I, 213 ff.
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