kann der Deutlichkeit wegen hervorgehoben werden: gänzlich ver- schieden von all diesen äußeren Willensverhältnissen ist der aus den Tiefen der menschlichen Freiheit entspringende Vorgang, in welchem ein Wille sich selber theilweise oder ganz aufopfert, nicht sich als Willen mit einem anderen Willen vereinigt, sondern sich als Willen theilweise dahin giebt. Diese Seite in einer Handlung oder einem Verhältniß macht sie zu einem sittlichen.
Die äußere Organisation der Gesellschaft als geschichtlicher Thatbestand.
Unter einem Verband verstehen wir eine dauernde auf einen Zweckzusammenhang gegründete Willenseinheit mehrerer Personen. Wie vielfach auch die Formen von Verbänden sich gestaltet haben, ihnen allen ist eigen: die Einheit in ihnen geht über das formlose Bewußtsein von Zusammengehörigkeit und Gemeinschaft, über die dem Einzelvorgang überlassene intimere Wechselwirkung innerhalb einer Gruppe hinaus: eine solche Willenseinheit hat eine Struktur: die Willen sind in einer bestimmten Form zum Zusammenwirken verbunden. Zwischen diesen Merkmalen eines jeden Verbands be- steht aber eine sehr einfache Beziehung. Schon das kann als tautologisch angesprochen werden, daß die Willenseinheit zwischen mehreren Personen auf einen Zweckzusammenhang gegründet sei. Denn welchen Einfluß auch die Gewalt auf die Gestaltung einer solchen Willenseinheit habe: Gewalt ist doch nur eine Art und Weise, in welcher die Zusammenordnung des Gefüges sich voll- ziehen kann: den Arm der Gewalt setzt ein Wille in Bewegung, der von einem Zweck geleitet wird, und er hält den Unterworfenen fest, weil derselbe ein Mittel für einen von ihm herzustellenden Zweckzusammenhang ist. Daher behält Aristoteles Recht, der am Be- ginn seiner Politik dem Sinne nach sagt: pasa koinonia agathou tinos eneka sunesteken. Die Gewalt unterwarf, auch geschichtlich ange- sehen, nur, um die Geknechteten in den Zweckzusammenhang des eignen Thuns einzuordnen. Ein dauernder Zweckzusammenhang aber bringt in der Anordnung der Individuen, die ihm unterworfen sind, alsdann der Güter, deren er bedarf, eine Struktur hervor:
Erſtes einleitendes Buch.
kann der Deutlichkeit wegen hervorgehoben werden: gänzlich ver- ſchieden von all dieſen äußeren Willensverhältniſſen iſt der aus den Tiefen der menſchlichen Freiheit entſpringende Vorgang, in welchem ein Wille ſich ſelber theilweiſe oder ganz aufopfert, nicht ſich als Willen mit einem anderen Willen vereinigt, ſondern ſich als Willen theilweiſe dahin giebt. Dieſe Seite in einer Handlung oder einem Verhältniß macht ſie zu einem ſittlichen.
Die äußere Organiſation der Geſellſchaft als geſchichtlicher Thatbeſtand.
Unter einem Verband verſtehen wir eine dauernde auf einen Zweckzuſammenhang gegründete Willenseinheit mehrerer Perſonen. Wie vielfach auch die Formen von Verbänden ſich geſtaltet haben, ihnen allen iſt eigen: die Einheit in ihnen geht über das formloſe Bewußtſein von Zuſammengehörigkeit und Gemeinſchaft, über die dem Einzelvorgang überlaſſene intimere Wechſelwirkung innerhalb einer Gruppe hinaus: eine ſolche Willenseinheit hat eine Struktur: die Willen ſind in einer beſtimmten Form zum Zuſammenwirken verbunden. Zwiſchen dieſen Merkmalen eines jeden Verbands be- ſteht aber eine ſehr einfache Beziehung. Schon das kann als tautologiſch angeſprochen werden, daß die Willenseinheit zwiſchen mehreren Perſonen auf einen Zweckzuſammenhang gegründet ſei. Denn welchen Einfluß auch die Gewalt auf die Geſtaltung einer ſolchen Willenseinheit habe: Gewalt iſt doch nur eine Art und Weiſe, in welcher die Zuſammenordnung des Gefüges ſich voll- ziehen kann: den Arm der Gewalt ſetzt ein Wille in Bewegung, der von einem Zweck geleitet wird, und er hält den Unterworfenen feſt, weil derſelbe ein Mittel für einen von ihm herzuſtellenden Zweckzuſammenhang iſt. Daher behält Ariſtoteles Recht, der am Be- ginn ſeiner Politik dem Sinne nach ſagt: πᾶσα κοινωνία ἀγαϑοῦ τινός ἕνεκα συνέστηκεν. Die Gewalt unterwarf, auch geſchichtlich ange- ſehen, nur, um die Geknechteten in den Zweckzuſammenhang des eignen Thuns einzuordnen. Ein dauernder Zweckzuſammenhang aber bringt in der Anordnung der Individuen, die ihm unterworfen ſind, alsdann der Güter, deren er bedarf, eine Struktur hervor:
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[88/0111]
Erſtes einleitendes Buch.
kann der Deutlichkeit wegen hervorgehoben werden: gänzlich ver-
ſchieden von all dieſen äußeren Willensverhältniſſen iſt der aus
den Tiefen der menſchlichen Freiheit entſpringende Vorgang, in
welchem ein Wille ſich ſelber theilweiſe oder ganz aufopfert, nicht
ſich als Willen mit einem anderen Willen vereinigt, ſondern ſich
als Willen theilweiſe dahin giebt. Dieſe Seite in einer Handlung
oder einem Verhältniß macht ſie zu einem ſittlichen.
Die äußere Organiſation der Geſellſchaft als geſchichtlicher
Thatbeſtand.
Unter einem Verband verſtehen wir eine dauernde auf einen
Zweckzuſammenhang gegründete Willenseinheit mehrerer Perſonen.
Wie vielfach auch die Formen von Verbänden ſich geſtaltet haben,
ihnen allen iſt eigen: die Einheit in ihnen geht über das formloſe
Bewußtſein von Zuſammengehörigkeit und Gemeinſchaft, über die
dem Einzelvorgang überlaſſene intimere Wechſelwirkung innerhalb
einer Gruppe hinaus: eine ſolche Willenseinheit hat eine Struktur:
die Willen ſind in einer beſtimmten Form zum Zuſammenwirken
verbunden. Zwiſchen dieſen Merkmalen eines jeden Verbands be-
ſteht aber eine ſehr einfache Beziehung. Schon das kann als
tautologiſch angeſprochen werden, daß die Willenseinheit zwiſchen
mehreren Perſonen auf einen Zweckzuſammenhang gegründet ſei.
Denn welchen Einfluß auch die Gewalt auf die Geſtaltung einer
ſolchen Willenseinheit habe: Gewalt iſt doch nur eine Art und
Weiſe, in welcher die Zuſammenordnung des Gefüges ſich voll-
ziehen kann: den Arm der Gewalt ſetzt ein Wille in Bewegung,
der von einem Zweck geleitet wird, und er hält den Unterworfenen
feſt, weil derſelbe ein Mittel für einen von ihm herzuſtellenden
Zweckzuſammenhang iſt. Daher behält Ariſtoteles Recht, der am Be-
ginn ſeiner Politik dem Sinne nach ſagt: πᾶσα κοινωνία ἀγαϑοῦ τινός
ἕνεκα συνέστηκεν. Die Gewalt unterwarf, auch geſchichtlich ange-
ſehen, nur, um die Geknechteten in den Zweckzuſammenhang des
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Dilthey, Wilhelm: Einleitung in die Geisteswissenschaften. Versuch einer Grundlegung für das Studium der Gesellschaft und der Geschichte. Bd. 1. Leipzig, 1883, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dilthey_geisteswissenschaften_1883/111>, abgerufen am 22.02.2025.
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