Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915.Bruch, auf mein Angesicht legte und kuckete, wo es hinaus wollte. Da ging die völlige türkische Armee vorbei, über den Damm, weil sie unsere Leute repussieret und zurückgetrieben hatten. Da mag jedermann gedenken, wie mir zu Muthe gewesen, alle Augenblick des Todes, oder ewig gefangen zu sein! Da grauete mir vor meiner Thorheit und gedachte: Wärestu diesmal davon, willst dein Tage nicht wieder nach Beute gehen! Nach einer langen Zeit hörete ich groß Schießen und wie der Deutschen Heerpauken klingen, welche immer näher kamen. Endlich wurde ich gewahr, daß die Türken zurücke und die Unsern hinterher kamen. Da kroch ich wieder hervor, wie ein halbtoter Mensch, resolvierte auch gleich: zurück und nach dem Lager zu gehen, in welchem ich von unserm Obristleutnant übel empfangen wurde. Der Feind ward wohl vier- oder fünfmal hart geschlagen, ehe sie das Feld gänzlich verlassen und sich über die Esseker Brücke retirieren wollten, so aber noch von den Kaiserlichen verfolget und große Leute gemacht wurde. Wir mußten wieder in unser erstes Lager und sahen im Vorbeimarschieren, daß bei hellem Tage die Türken ausgefallen und wohl drei- bis vierhundert Weiber, so an der Donau, unten an der Wasserstadt, gewaschen und getreuget, von uns gefangen und, erschröcklich schreiend, in die Stadt geschleppet hatten. Es ging in die elfte Wochen, daß wir da lagen; und war an keine Übergabe gedacht. Ich hatte selbige Zeit viel zu thun, wenig Ruhe und brachte die Stiefeln nicht Tages als Nachtes von'n Füßen. Dahero ich auch Bruch, auf mein Angesicht legte und kuckete, wo es hinaus wollte. Da ging die völlige türkische Armee vorbei, über den Damm, weil sie unsere Leute repussieret und zurückgetrieben hatten. Da mag jedermann gedenken, wie mir zu Muthe gewesen, alle Augenblick des Todes, oder ewig gefangen zu sein! Da grauete mir vor meiner Thorheit und gedachte: Wärestu diesmal davon, willst dein Tage nicht wieder nach Beute gehen! Nach einer langen Zeit hörete ich groß Schießen und wie der Deutschen Heerpauken klingen, welche immer näher kamen. Endlich wurde ich gewahr, daß die Türken zurücke und die Unsern hinterher kamen. Da kroch ich wieder hervor, wie ein halbtoter Mensch, resolvierte auch gleich: zurück und nach dem Lager zu gehen, in welchem ich von unserm Obristleutnant übel empfangen wurde. Der Feind ward wohl vier- oder fünfmal hart geschlagen, ehe sie das Feld gänzlich verlassen und sich über die Esseker Brücke retirieren wollten, so aber noch von den Kaiserlichen verfolget und große Leute gemacht wurde. Wir mußten wieder in unser erstes Lager und sahen im Vorbeimarschieren, daß bei hellem Tage die Türken ausgefallen und wohl drei- bis vierhundert Weiber, so an der Donau, unten an der Wasserstadt, gewaschen und getreuget, von uns gefangen und, erschröcklich schreiend, in die Stadt geschleppet hatten. Es ging in die elfte Wochen, daß wir da lagen; und war an keine Übergabe gedacht. Ich hatte selbige Zeit viel zu thun, wenig Ruhe und brachte die Stiefeln nicht Tages als Nachtes von’n Füßen. Dahero ich auch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0074"/> Bruch, auf mein Angesicht legte und kuckete, wo es hinaus wollte. Da ging die völlige türkische Armee vorbei, über den Damm, weil sie unsere Leute repussieret und zurückgetrieben hatten.</p> <p>Da mag jedermann gedenken, wie mir zu Muthe gewesen, alle Augenblick des Todes, oder ewig gefangen zu sein! Da grauete mir vor meiner Thorheit und gedachte: Wärestu diesmal davon, willst dein Tage nicht wieder nach Beute gehen!</p> <p>Nach einer langen Zeit hörete ich groß Schießen und wie der Deutschen Heerpauken klingen, welche immer näher kamen. Endlich wurde ich gewahr, daß die Türken zurücke und die Unsern hinterher kamen. Da kroch ich wieder hervor, wie ein halbtoter Mensch, resolvierte auch gleich: zurück und nach dem Lager zu gehen, in welchem ich von unserm Obristleutnant übel empfangen wurde.</p> <p>Der Feind ward wohl vier- oder fünfmal hart geschlagen, ehe sie das Feld gänzlich verlassen und sich über die Esseker Brücke retirieren wollten, so aber noch von den Kaiserlichen verfolget und große Leute gemacht wurde.</p> <p><hi rendition="#in">W</hi>ir mußten wieder in unser erstes Lager und sahen im Vorbeimarschieren, daß bei hellem Tage die Türken ausgefallen und wohl drei- bis vierhundert Weiber, so an der Donau, unten an der Wasserstadt, gewaschen und getreuget, von uns gefangen und, erschröcklich schreiend, in die Stadt geschleppet hatten. </p> </div> <div n="1"> <p><hi rendition="#in">E</hi>s ging in die elfte Wochen, daß wir da lagen; und war an keine Übergabe gedacht. Ich hatte selbige Zeit viel zu thun, wenig Ruhe und brachte die Stiefeln nicht Tages als Nachtes von’n Füßen. Dahero ich auch </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0074]
Bruch, auf mein Angesicht legte und kuckete, wo es hinaus wollte. Da ging die völlige türkische Armee vorbei, über den Damm, weil sie unsere Leute repussieret und zurückgetrieben hatten.
Da mag jedermann gedenken, wie mir zu Muthe gewesen, alle Augenblick des Todes, oder ewig gefangen zu sein! Da grauete mir vor meiner Thorheit und gedachte: Wärestu diesmal davon, willst dein Tage nicht wieder nach Beute gehen!
Nach einer langen Zeit hörete ich groß Schießen und wie der Deutschen Heerpauken klingen, welche immer näher kamen. Endlich wurde ich gewahr, daß die Türken zurücke und die Unsern hinterher kamen. Da kroch ich wieder hervor, wie ein halbtoter Mensch, resolvierte auch gleich: zurück und nach dem Lager zu gehen, in welchem ich von unserm Obristleutnant übel empfangen wurde.
Der Feind ward wohl vier- oder fünfmal hart geschlagen, ehe sie das Feld gänzlich verlassen und sich über die Esseker Brücke retirieren wollten, so aber noch von den Kaiserlichen verfolget und große Leute gemacht wurde.
Wir mußten wieder in unser erstes Lager und sahen im Vorbeimarschieren, daß bei hellem Tage die Türken ausgefallen und wohl drei- bis vierhundert Weiber, so an der Donau, unten an der Wasserstadt, gewaschen und getreuget, von uns gefangen und, erschröcklich schreiend, in die Stadt geschleppet hatten.
Es ging in die elfte Wochen, daß wir da lagen; und war an keine Übergabe gedacht. Ich hatte selbige Zeit viel zu thun, wenig Ruhe und brachte die Stiefeln nicht Tages als Nachtes von’n Füßen. Dahero ich auch
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Zitationshilfe: | Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915/74>, abgerufen am 05.07.2024. |