Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915.

Bild:
<< vorherige Seite

Unter Gran gingen wir über eine Schiffbrücke, unter Donnern der Kanonen von der hohen Festung. Da gab es wieder guten Wein und Meth.

Sonst haben wir wohl hernach dreißig und mehr Meiln marschieret,kein Dorf oder Stadt angetroffen, oft aber Horden, da Familien in der Erde, wie wilde Leute, wohneten, welche sich vom Jagen und Fischen, wie die Tartern, erhalten; roh und geschunden, ersturbnes Fleisch essen; wie die Zigeuner auch thun. Deren wir etliche tausend unter Leopoldstadt in einem Wall verschanzet angetroffen, so dem Kaiser vor Sold wider den Türken, bald auch dem Türken dienen. Sie lassen sich aber von niemand kommandieren, sondern führen ihr eigen Kommando. Wie sie denn eigene General, Obristen und Gerichte halten und keinen Eingriff leiden. Haben ihre eigenen Priester, lassen sich taufen, wann sie erwachsen, und zwar in denen Flüssen, da sie dreimal niedergetauchet werden. Ihre Trauung ist ebenfalls sonderlich, maßen Vater und Mutter, oder die nächsten Freunde, die Braut dem Bräutigam zuführen, wann sie vorher in einem Fluß ganz nackend gebadet und mit Zweigen oder Blumen bestreuet und beschenket ist. Sie halten unter sich ein streng Gericht und fackeln nicht lange, den Kopf herunter zu hauen, oder totzuschießen, wie ich denn selbst gesehen, daß sie einsmals unter sich uneins worden, Feuer in ihrer Schanze angezündet und bei großem Zetergeschrei einander totgemacht, daß die Köpfe und Körper zu ihrem Wall heruntergekollert. Denn unser Lager stunde dicht dabei. Sobald ein Pferd von uns sturbe, welches gar oft geschahe, maßen wir gar keines behielten, tranchiereten sie es gleich und machten sich lustig dabei.

Sonsten lag zur selbigen Zeit das sonst schöne Ungern gar wüste. Und war, wie oben gedacht, über dreißig und mehr Meiln kein Stadt noch Dorf, und manneshoch Gras,

Unter Gran gingen wir über eine Schiffbrücke, unter Donnern der Kanonen von der hohen Festung. Da gab es wieder guten Wein und Meth.

Sonst haben wir wohl hernach dreißig und mehr Meiln marschieret,kein Dorf oder Stadt angetroffen, oft aber Horden, da Familien in der Erde, wie wilde Leute, wohneten, welche sich vom Jagen und Fischen, wie die Tartern, erhalten; roh und geschunden, ersturbnes Fleisch essen; wie die Zigeuner auch thun. Deren wir etliche tausend unter Leopoldstadt in einem Wall verschanzet angetroffen, so dem Kaiser vor Sold wider den Türken, bald auch dem Türken dienen. Sie lassen sich aber von niemand kommandieren, sondern führen ihr eigen Kommando. Wie sie denn eigene General, Obristen und Gerichte halten und keinen Eingriff leiden. Haben ihre eigenen Priester, lassen sich taufen, wann sie erwachsen, und zwar in denen Flüssen, da sie dreimal niedergetauchet werden. Ihre Trauung ist ebenfalls sonderlich, maßen Vater und Mutter, oder die nächsten Freunde, die Braut dem Bräutigam zuführen, wann sie vorher in einem Fluß ganz nackend gebadet und mit Zweigen oder Blumen bestreuet und beschenket ist. Sie halten unter sich ein streng Gericht und fackeln nicht lange, den Kopf herunter zu hauen, oder totzuschießen, wie ich denn selbst gesehen, daß sie einsmals unter sich uneins worden, Feuer in ihrer Schanze angezündet und bei großem Zetergeschrei einander totgemacht, daß die Köpfe und Körper zu ihrem Wall heruntergekollert. Denn unser Lager stunde dicht dabei. Sobald ein Pferd von uns sturbe, welches gar oft geschahe, maßen wir gar keines behielten, tranchiereten sie es gleich und machten sich lustig dabei.

Sonsten lag zur selbigen Zeit das sonst schöne Ungern gar wüste. Und war, wie oben gedacht, über dreißig und mehr Meiln kein Stadt noch Dorf, und manneshoch Gras,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <pb facs="#f0052"/>
          <p><hi rendition="#in">U</hi>nter Gran gingen wir über eine Schiffbrücke, unter Donnern der Kanonen von der hohen Festung. Da gab es wieder guten Wein und Meth.</p>
          <p>Sonst haben wir wohl hernach dreißig und mehr Meiln marschieret,kein Dorf oder Stadt angetroffen, oft aber Horden, da Familien in der Erde, wie wilde Leute, wohneten, welche sich vom Jagen und Fischen, wie die Tartern, erhalten; roh und geschunden, ersturbnes Fleisch essen; wie die Zigeuner auch thun. Deren wir etliche tausend unter Leopoldstadt in einem Wall verschanzet angetroffen, so dem Kaiser vor Sold wider den Türken, bald auch dem Türken dienen. Sie lassen sich aber von niemand kommandieren, sondern führen ihr eigen Kommando. Wie sie denn eigene General, Obristen und Gerichte halten und keinen Eingriff leiden. Haben ihre eigenen Priester, lassen sich taufen, wann sie erwachsen, und zwar in denen Flüssen, da sie dreimal niedergetauchet werden. Ihre Trauung ist ebenfalls sonderlich, maßen Vater und Mutter, oder die nächsten Freunde, die Braut dem Bräutigam zuführen, wann sie vorher in einem Fluß ganz nackend gebadet und mit Zweigen oder Blumen bestreuet und beschenket ist. Sie halten unter sich ein streng Gericht und fackeln nicht lange, den Kopf herunter zu hauen, oder totzuschießen, wie ich denn selbst gesehen, daß sie einsmals unter sich uneins worden, Feuer in ihrer Schanze angezündet und bei großem Zetergeschrei einander totgemacht, daß die Köpfe und Körper zu ihrem Wall heruntergekollert. Denn unser Lager stunde dicht dabei. Sobald ein Pferd von uns sturbe, welches gar oft geschahe, maßen wir gar keines behielten, tranchiereten sie es gleich und machten sich lustig dabei.</p>
          <p>Sonsten lag zur selbigen Zeit das sonst schöne Ungern gar wüste. Und war, wie oben gedacht, über dreißig und mehr Meiln kein Stadt noch Dorf, und manneshoch Gras,
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0052] Unter Gran gingen wir über eine Schiffbrücke, unter Donnern der Kanonen von der hohen Festung. Da gab es wieder guten Wein und Meth. Sonst haben wir wohl hernach dreißig und mehr Meiln marschieret,kein Dorf oder Stadt angetroffen, oft aber Horden, da Familien in der Erde, wie wilde Leute, wohneten, welche sich vom Jagen und Fischen, wie die Tartern, erhalten; roh und geschunden, ersturbnes Fleisch essen; wie die Zigeuner auch thun. Deren wir etliche tausend unter Leopoldstadt in einem Wall verschanzet angetroffen, so dem Kaiser vor Sold wider den Türken, bald auch dem Türken dienen. Sie lassen sich aber von niemand kommandieren, sondern führen ihr eigen Kommando. Wie sie denn eigene General, Obristen und Gerichte halten und keinen Eingriff leiden. Haben ihre eigenen Priester, lassen sich taufen, wann sie erwachsen, und zwar in denen Flüssen, da sie dreimal niedergetauchet werden. Ihre Trauung ist ebenfalls sonderlich, maßen Vater und Mutter, oder die nächsten Freunde, die Braut dem Bräutigam zuführen, wann sie vorher in einem Fluß ganz nackend gebadet und mit Zweigen oder Blumen bestreuet und beschenket ist. Sie halten unter sich ein streng Gericht und fackeln nicht lange, den Kopf herunter zu hauen, oder totzuschießen, wie ich denn selbst gesehen, daß sie einsmals unter sich uneins worden, Feuer in ihrer Schanze angezündet und bei großem Zetergeschrei einander totgemacht, daß die Köpfe und Körper zu ihrem Wall heruntergekollert. Denn unser Lager stunde dicht dabei. Sobald ein Pferd von uns sturbe, welches gar oft geschahe, maßen wir gar keines behielten, tranchiereten sie es gleich und machten sich lustig dabei. Sonsten lag zur selbigen Zeit das sonst schöne Ungern gar wüste. Und war, wie oben gedacht, über dreißig und mehr Meiln kein Stadt noch Dorf, und manneshoch Gras,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Projekt Gutenberg-DE: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-06-28T07:11:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frank Wiegand: Bearbeitung der digitalen Edition (2012-09-04T07:11:29Z)
Frederike Neuber: Überarbeitung der digitalen Edition (2014-01-10T14:11:29Z)
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-06-28T07:11:29Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Rundes r (ꝛ) wird als normales r (r) wiedergegeben bzw. in der Kombination ꝛc. als et (etc.) aufgelöst.
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915/52
Zitationshilfe: Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915/52>, abgerufen am 28.11.2024.