Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915.auf einem Stuhl hatte. Er sähe mich vor einen erfahrnen Advokaten an. Ich war aber nur ein schlechter Barbier. Doch wußte ich meine Wort so vorzubringen, daß er's glaubete: ich war ein Advokat. Sagte derohalb: "Die Sache läßt sich hören. Das Testament oder Vermächtnis kann nicht bestehen. Wann er Kaution auf so viel will machen, sollen die Leut alles rausgeben. Komm er morgen mit seinem Kaventen aufs Rathaus! Da soll ferner ergehen, was Recht ist." Ich vermochte meinen Herrn Schwager Schüren gleich zur Kaution; doch mußte ich ihm Gegenkaution machen und ihn schadlos halten. Damit kommen wir an aufs Rathaus. Wir mußten gleich neinkommen, und nicht so lange stehen, wie hie. Da brachte ich meine Wort mit dem Bauer nochmals vor. Das wurde alles aufgeschrieben und mußten hernach Abtritt nehmen. Beim Hereinkommen sagte der Präses, so hinter der Tafel auf einem erhabenen Thron mit einem güldenen Zepter saß, und die Rathsherrn umb ihn, zu beiden Seiten: "Wir haben die Sache erwogen, daß die Erbschaft soll gegen Kaution ausgehändiget werden, wo ist der Kavent?. Sieh da! Herr Schür! Will er kavieren?" - "Ja, sagte er, ist mein Schwager." - "Nun, so lege er die Finger auf den Zepter." - Da mußte er anloben: wann ein näherer Erbe oder Anspruch sich finden möchte, sollte alles restituieret werden. - Mein Bauer lachte heimlich und dachte: "Hinten umbs Dorf!" Damit wurde gleich bei der Execution anbefohlen: die Sachen auszuhändigen. Die Leute wollten erst nicht. Aber der Bauer verstund das Handwerk und spendierte den Knechten und Ausreutern brave und brauchte den güldenen und silbern Schlüssel. Daß also die Sachen durch die Execution bald rausgebracht und alles dem Bauer gegeben wurde. auf einem Stuhl hatte. Er sähe mich vor einen erfahrnen Advokaten an. Ich war aber nur ein schlechter Barbier. Doch wußte ich meine Wort so vorzubringen, daß er’s glaubete: ich war ein Advokat. Sagte derohalb: „Die Sache läßt sich hören. Das Testament oder Vermächtnis kann nicht bestehen. Wann er Kaution auf so viel will machen, sollen die Leut alles rausgeben. Komm er morgen mit seinem Kaventen aufs Rathaus! Da soll ferner ergehen, was Recht ist.“ Ich vermochte meinen Herrn Schwager Schüren gleich zur Kaution; doch mußte ich ihm Gegenkaution machen und ihn schadlos halten. Damit kommen wir an aufs Rathaus. Wir mußten gleich neinkommen, und nicht so lange stehen, wie hie. Da brachte ich meine Wort mit dem Bauer nochmals vor. Das wurde alles aufgeschrieben und mußten hernach Abtritt nehmen. Beim Hereinkommen sagte der Präses, so hinter der Tafel auf einem erhabenen Thron mit einem güldenen Zepter saß, und die Rathsherrn umb ihn, zu beiden Seiten: „Wir haben die Sache erwogen, daß die Erbschaft soll gegen Kaution ausgehändiget werden, wo ist der Kavent?. Sieh da! Herr Schür! Will er kavieren?“ – „Ja, sagte er, ist mein Schwager.“ – „Nun, so lege er die Finger auf den Zepter.“ – Da mußte er anloben: wann ein näherer Erbe oder Anspruch sich finden möchte, sollte alles restituieret werden. – Mein Bauer lachte heimlich und dachte: „Hinten umbs Dorf!“ Damit wurde gleich bei der Execution anbefohlen: die Sachen auszuhändigen. Die Leute wollten erst nicht. Aber der Bauer verstund das Handwerk und spendierte den Knechten und Ausreutern brave und brauchte den güldenen und silbern Schlüssel. Daß also die Sachen durch die Execution bald rausgebracht und alles dem Bauer gegeben wurde. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0297"/> auf einem Stuhl hatte. Er sähe mich vor einen erfahrnen Advokaten an. Ich war aber nur ein schlechter Barbier. Doch wußte ich meine Wort so vorzubringen, daß er’s glaubete: ich war ein Advokat. Sagte derohalb: „Die Sache läßt sich hören. Das Testament oder Vermächtnis kann nicht bestehen. Wann er Kaution auf so viel will machen, sollen die Leut alles rausgeben. Komm er morgen mit seinem Kaventen aufs Rathaus! Da soll ferner ergehen, was Recht ist.“</p> <p>Ich vermochte meinen Herrn Schwager Schüren gleich zur Kaution; doch mußte ich ihm Gegenkaution machen und ihn schadlos halten.</p> <p>Damit kommen wir an aufs Rathaus. Wir mußten gleich neinkommen, und nicht so lange stehen, wie hie. Da brachte ich meine Wort mit dem Bauer nochmals vor. Das wurde alles aufgeschrieben und mußten hernach Abtritt nehmen. Beim Hereinkommen sagte der Präses, so hinter der Tafel auf einem erhabenen Thron mit einem güldenen Zepter saß, und die Rathsherrn umb ihn, zu beiden Seiten: „Wir haben die Sache erwogen, daß die Erbschaft soll gegen Kaution ausgehändiget werden, wo ist der Kavent?. Sieh da! Herr Schür! Will er kavieren?“ – „Ja, sagte er, ist mein Schwager.“ – „Nun, so lege er die Finger auf den Zepter.“ – Da mußte er anloben: wann ein näherer Erbe oder Anspruch sich finden möchte, sollte alles restituieret werden. – Mein Bauer lachte heimlich und dachte: „Hinten umbs Dorf!“</p> <p>Damit wurde gleich bei der Execution anbefohlen: die Sachen auszuhändigen. Die Leute wollten erst nicht. Aber der Bauer verstund das Handwerk und spendierte den Knechten und Ausreutern brave und brauchte den güldenen und silbern Schlüssel. Daß also die Sachen durch die Execution bald rausgebracht und alles dem Bauer gegeben wurde.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0297]
auf einem Stuhl hatte. Er sähe mich vor einen erfahrnen Advokaten an. Ich war aber nur ein schlechter Barbier. Doch wußte ich meine Wort so vorzubringen, daß er’s glaubete: ich war ein Advokat. Sagte derohalb: „Die Sache läßt sich hören. Das Testament oder Vermächtnis kann nicht bestehen. Wann er Kaution auf so viel will machen, sollen die Leut alles rausgeben. Komm er morgen mit seinem Kaventen aufs Rathaus! Da soll ferner ergehen, was Recht ist.“
Ich vermochte meinen Herrn Schwager Schüren gleich zur Kaution; doch mußte ich ihm Gegenkaution machen und ihn schadlos halten.
Damit kommen wir an aufs Rathaus. Wir mußten gleich neinkommen, und nicht so lange stehen, wie hie. Da brachte ich meine Wort mit dem Bauer nochmals vor. Das wurde alles aufgeschrieben und mußten hernach Abtritt nehmen. Beim Hereinkommen sagte der Präses, so hinter der Tafel auf einem erhabenen Thron mit einem güldenen Zepter saß, und die Rathsherrn umb ihn, zu beiden Seiten: „Wir haben die Sache erwogen, daß die Erbschaft soll gegen Kaution ausgehändiget werden, wo ist der Kavent?. Sieh da! Herr Schür! Will er kavieren?“ – „Ja, sagte er, ist mein Schwager.“ – „Nun, so lege er die Finger auf den Zepter.“ – Da mußte er anloben: wann ein näherer Erbe oder Anspruch sich finden möchte, sollte alles restituieret werden. – Mein Bauer lachte heimlich und dachte: „Hinten umbs Dorf!“
Damit wurde gleich bei der Execution anbefohlen: die Sachen auszuhändigen. Die Leute wollten erst nicht. Aber der Bauer verstund das Handwerk und spendierte den Knechten und Ausreutern brave und brauchte den güldenen und silbern Schlüssel. Daß also die Sachen durch die Execution bald rausgebracht und alles dem Bauer gegeben wurde.
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Zitationshilfe: | Consentius, Ernst: Meister Johann Dietz erzählt sein Leben. Nach der alten Handschrift in der Königlichen Bibliothek zu Berlin. Ebenhausen, 1915, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dietz_leben_1915/297>, abgerufen am 16.02.2025. |