Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

Speisen, und der Wechsel überhaupt angenehm. Darum ge-
hen Viele in die Restauration, wo a la carte gespeist wird,
heute in diese, morgen in jene. Die Gesellschaft, die hier
zusammenkommt, ist sich fremd, bleibt sich fremd. Sie ist
gemischt. Keine eigentliche Gesellschaft, kein erheiterndes Ge-
spräch. Natürlich am wenigsten in großen Städten. Eine
dritte Quelle des Libertinismus.

Alles geschieht nach Laune und Gefallen: Wahl des
Quartiers, Wechsel desselben, wenn es sein muß, allmonat-
lich; Veränderung des Speisewirthes täglich, der Speisezeit,
wie es kommt -- Alles ad libitum -- libertin -- libertinage.

Nun ist es Zeit, sich die Matrikel zu verschaffen. Er
meldet sich bei dem Quästor, dann beim Rector. Die Uni-
versität ist groß, zahlreich besucht; der sich Meldenden sind
viele; Persönlichkeiten verschwinden, die Immatriculanden wer-
den nach Stücken gezählt, wie in dem Schnellwagen: "Drei-
zehn Stück, Schwager fahr' zu! In 2 Stunden 49 Minu-
ten mußt du auf der Station sein." Rector magnificus ist
ein viel beschäftigter, geplagter Mann. Die Herren Commili-
tonen werden en masse citirt, en masse eingeschrieben, en
masse
aufgefordert, zugesprochen, die akademischen strengen
Gesetze nun auch wirklich zu halten. Sie thun es. In
2 Stunden sind ihrer 70--80 abgefertigt.

Es geht, merkt der Neuling, Alles sehr leicht und schnell.
Sein Gesichtskreis erweitert sich; er merkt mit freudigem Ge-
fühl, er ist ein freier Mann, er ist in einem Grade frei, wie
er sich Solches nicht hätte träumen lassen; die guten Eltern,
Papa und Mama, sind weit; der Hausphilister bekümmert
sich nicht um ihn und versorgt ihn mit einem Hausschlüssel;
der Restaurateur ist immer bereit; die gefüllte Börse gewährt

Speiſen, und der Wechſel uͤberhaupt angenehm. Darum ge-
hen Viele in die Reſtauration, wo à la carte geſpeiſt wird,
heute in dieſe, morgen in jene. Die Geſellſchaft, die hier
zuſammenkommt, iſt ſich fremd, bleibt ſich fremd. Sie iſt
gemiſcht. Keine eigentliche Geſellſchaft, kein erheiterndes Ge-
ſpraͤch. Natuͤrlich am wenigſten in großen Staͤdten. Eine
dritte Quelle des Libertinismus.

Alles geſchieht nach Laune und Gefallen: Wahl des
Quartiers, Wechſel deſſelben, wenn es ſein muß, allmonat-
lich; Veraͤnderung des Speiſewirthes taͤglich, der Speiſezeit,
wie es kommt — Alles ad libitum — libertin — libertinage.

Nun iſt es Zeit, ſich die Matrikel zu verſchaffen. Er
meldet ſich bei dem Quaͤſtor, dann beim Rector. Die Uni-
verſitaͤt iſt groß, zahlreich beſucht; der ſich Meldenden ſind
viele; Perſoͤnlichkeiten verſchwinden, die Immatriculanden wer-
den nach Stuͤcken gezaͤhlt, wie in dem Schnellwagen: „Drei-
zehn Stuͤck, Schwager fahr’ zu! In 2 Stunden 49 Minu-
ten mußt du auf der Station ſein.“ Rector magnificus iſt
ein viel beſchaͤftigter, geplagter Mann. Die Herren Commili-
tonen werden en masse citirt, en masse eingeſchrieben, en
masse
aufgefordert, zugeſprochen, die akademiſchen ſtrengen
Geſetze nun auch wirklich zu halten. Sie thun es. In
2 Stunden ſind ihrer 70—80 abgefertigt.

Es geht, merkt der Neuling, Alles ſehr leicht und ſchnell.
Sein Geſichtskreis erweitert ſich; er merkt mit freudigem Ge-
fuͤhl, er iſt ein freier Mann, er iſt in einem Grade frei, wie
er ſich Solches nicht haͤtte traͤumen laſſen; die guten Eltern,
Papa und Mama, ſind weit; der Hausphiliſter bekuͤmmert
ſich nicht um ihn und verſorgt ihn mit einem Hausſchluͤſſel;
der Reſtaurateur iſt immer bereit; die gefuͤllte Boͤrſe gewaͤhrt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0082" n="64"/>
Spei&#x017F;en, und der Wech&#x017F;el u&#x0364;berhaupt angenehm. Darum ge-<lb/>
hen Viele in die Re&#x017F;tauration, wo <hi rendition="#aq">à la carte</hi> ge&#x017F;pei&#x017F;t wird,<lb/>
heute in die&#x017F;e, morgen in jene. Die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, die hier<lb/>
zu&#x017F;ammenkommt, i&#x017F;t &#x017F;ich fremd, bleibt &#x017F;ich fremd. Sie i&#x017F;t<lb/>
gemi&#x017F;cht. Keine eigentliche Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft, kein erheiterndes Ge-<lb/>
&#x017F;pra&#x0364;ch. Natu&#x0364;rlich am wenig&#x017F;ten in großen Sta&#x0364;dten. Eine<lb/>
dritte Quelle des Libertinismus.</p><lb/>
          <p>Alles ge&#x017F;chieht nach Laune und Gefallen: Wahl des<lb/>
Quartiers, Wech&#x017F;el de&#x017F;&#x017F;elben, wenn es &#x017F;ein muß, allmonat-<lb/>
lich; Vera&#x0364;nderung des Spei&#x017F;ewirthes ta&#x0364;glich, der Spei&#x017F;ezeit,<lb/>
wie es kommt &#x2014; Alles <hi rendition="#aq">ad libitum &#x2014; libertin &#x2014; libertinage.</hi></p><lb/>
          <p>Nun i&#x017F;t es Zeit, &#x017F;ich die Matrikel zu ver&#x017F;chaffen. Er<lb/>
meldet &#x017F;ich bei dem Qua&#x0364;&#x017F;tor, dann beim Rector. Die Uni-<lb/>
ver&#x017F;ita&#x0364;t i&#x017F;t groß, zahlreich be&#x017F;ucht; der &#x017F;ich Meldenden &#x017F;ind<lb/>
viele; Per&#x017F;o&#x0364;nlichkeiten ver&#x017F;chwinden, die Immatriculanden wer-<lb/>
den nach Stu&#x0364;cken geza&#x0364;hlt, wie in dem Schnellwagen: &#x201E;Drei-<lb/>
zehn Stu&#x0364;ck, Schwager fahr&#x2019; zu! In 2 Stunden 49 Minu-<lb/>
ten mußt du auf der Station &#x017F;ein.&#x201C; <hi rendition="#aq">Rector magnificus</hi> i&#x017F;t<lb/>
ein viel be&#x017F;cha&#x0364;ftigter, geplagter Mann. Die Herren Commili-<lb/>
tonen werden <hi rendition="#aq">en masse</hi> citirt, <hi rendition="#aq">en masse</hi> einge&#x017F;chrieben, <hi rendition="#aq">en<lb/>
masse</hi> aufgefordert, zuge&#x017F;prochen, die akademi&#x017F;chen &#x017F;trengen<lb/>
Ge&#x017F;etze <hi rendition="#g">nun auch wirklich</hi> zu halten. Sie thun es. In<lb/>
2 Stunden &#x017F;ind ihrer 70&#x2014;80 abgefertigt.</p><lb/>
          <p>Es geht, merkt der Neuling, Alles &#x017F;ehr leicht und &#x017F;chnell.<lb/>
Sein Ge&#x017F;ichtskreis erweitert &#x017F;ich; er merkt mit freudigem Ge-<lb/>
fu&#x0364;hl, er i&#x017F;t ein freier Mann, er i&#x017F;t in einem Grade frei, wie<lb/>
er &#x017F;ich Solches nicht ha&#x0364;tte tra&#x0364;umen la&#x017F;&#x017F;en; die guten Eltern,<lb/>
Papa und Mama, &#x017F;ind weit; der Hausphili&#x017F;ter beku&#x0364;mmert<lb/>
&#x017F;ich nicht um ihn und ver&#x017F;orgt ihn mit einem Haus&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;el;<lb/>
der Re&#x017F;taurateur i&#x017F;t immer bereit; die gefu&#x0364;llte Bo&#x0364;r&#x017F;e gewa&#x0364;hrt<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[64/0082] Speiſen, und der Wechſel uͤberhaupt angenehm. Darum ge- hen Viele in die Reſtauration, wo à la carte geſpeiſt wird, heute in dieſe, morgen in jene. Die Geſellſchaft, die hier zuſammenkommt, iſt ſich fremd, bleibt ſich fremd. Sie iſt gemiſcht. Keine eigentliche Geſellſchaft, kein erheiterndes Ge- ſpraͤch. Natuͤrlich am wenigſten in großen Staͤdten. Eine dritte Quelle des Libertinismus. Alles geſchieht nach Laune und Gefallen: Wahl des Quartiers, Wechſel deſſelben, wenn es ſein muß, allmonat- lich; Veraͤnderung des Speiſewirthes taͤglich, der Speiſezeit, wie es kommt — Alles ad libitum — libertin — libertinage. Nun iſt es Zeit, ſich die Matrikel zu verſchaffen. Er meldet ſich bei dem Quaͤſtor, dann beim Rector. Die Uni- verſitaͤt iſt groß, zahlreich beſucht; der ſich Meldenden ſind viele; Perſoͤnlichkeiten verſchwinden, die Immatriculanden wer- den nach Stuͤcken gezaͤhlt, wie in dem Schnellwagen: „Drei- zehn Stuͤck, Schwager fahr’ zu! In 2 Stunden 49 Minu- ten mußt du auf der Station ſein.“ Rector magnificus iſt ein viel beſchaͤftigter, geplagter Mann. Die Herren Commili- tonen werden en masse citirt, en masse eingeſchrieben, en masse aufgefordert, zugeſprochen, die akademiſchen ſtrengen Geſetze nun auch wirklich zu halten. Sie thun es. In 2 Stunden ſind ihrer 70—80 abgefertigt. Es geht, merkt der Neuling, Alles ſehr leicht und ſchnell. Sein Geſichtskreis erweitert ſich; er merkt mit freudigem Ge- fuͤhl, er iſt ein freier Mann, er iſt in einem Grade frei, wie er ſich Solches nicht haͤtte traͤumen laſſen; die guten Eltern, Papa und Mama, ſind weit; der Hausphiliſter bekuͤmmert ſich nicht um ihn und verſorgt ihn mit einem Hausſchluͤſſel; der Reſtaurateur iſt immer bereit; die gefuͤllte Boͤrſe gewaͤhrt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/82
Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/82>, abgerufen am 28.11.2024.