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Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

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Tüchtigkeit der akademischen Lehrer in gei-
stiger, sittlicher und patriotischer Hinsicht
.

Von einem Lehrer der Hochschule, der eins der ersten
Ehrenämter des Staats bekleidet, daher seine Löhnung auch
nicht Biergeld, sondern mit Recht Ehrensold (Honorar)
genannt wird, verlange ich drei Eigenschaften: Geist (Lehr-
talent), ethische Gesinnung und Patriotismus, da-
mit er als Lehrer, als Mensch, als Glied der Nation den
Jünglingen, die ihn umgeben, als strahlendes Muster vor-
leuchte. Denn das lebendige Beispiel wirkt mächtiger als
Lehre und Unterricht.

Die erste Eigenschaft des akademischen Lehrers ist das
Lehrtalent, welches in einem durchgebildeten Verstand, in hel-
len Einsichten, in der Kenntniß der menschlichen Natur und
ihrer Entwicklungsgesetze und in der Fähigkeit, Andere zu
geistiger Thätigkeit machtvoll und energisch anzuregen, besteht.
Das eigentliche Lehrgeschäft ist ein stilles, innerliches, unhör-
bares und unsichtbares Geschäft. Die Worte sind es nicht,
die gesprochen werden, die Sätze nicht, die mitgetheilt wer-
den, die Mienen und Geberden auch nicht; es ist vergleichbar
dem Lichte des Himmels und dem Thau der Erde, und das
Lernen ist das Wurzeln der Pflanze in die Tiefe und ihr stilles
Wachsthum. Wie der Odem Gottes weht über den Wassern,
so haucht der Geist eines wahren Lehrers die schlummernden
Geister der Schüler an, und sie erwachen und freuen sich.
Es ist belebend und erheiternd, wenn zuweilen von des Leh-
rers Geist Raketen in die Luft steigen und Leuchtkugeln die
schwarze Nacht recht sichtbar machen; aber nöthig ist es nicht;
wenn er nur, gleich dem Diamanten, mit eignem Lichte leuch-
tet. In geheimer Anziehung berühren sich die Geister, und
es sind selige, geheimnißvolle Augenblicke, wo die Flügelschläge

Tuͤchtigkeit der akademiſchen Lehrer in gei-
ſtiger, ſittlicher und patriotiſcher Hinſicht
.

Von einem Lehrer der Hochſchule, der eins der erſten
Ehrenaͤmter des Staats bekleidet, daher ſeine Loͤhnung auch
nicht Biergeld, ſondern mit Recht Ehrenſold (Honorar)
genannt wird, verlange ich drei Eigenſchaften: Geiſt (Lehr-
talent), ethiſche Geſinnung und Patriotismus, da-
mit er als Lehrer, als Menſch, als Glied der Nation den
Juͤnglingen, die ihn umgeben, als ſtrahlendes Muſter vor-
leuchte. Denn das lebendige Beiſpiel wirkt maͤchtiger als
Lehre und Unterricht.

Die erſte Eigenſchaft des akademiſchen Lehrers iſt das
Lehrtalent, welches in einem durchgebildeten Verſtand, in hel-
len Einſichten, in der Kenntniß der menſchlichen Natur und
ihrer Entwicklungsgeſetze und in der Faͤhigkeit, Andere zu
geiſtiger Thaͤtigkeit machtvoll und energiſch anzuregen, beſteht.
Das eigentliche Lehrgeſchaͤft iſt ein ſtilles, innerliches, unhoͤr-
bares und unſichtbares Geſchaͤft. Die Worte ſind es nicht,
die geſprochen werden, die Saͤtze nicht, die mitgetheilt wer-
den, die Mienen und Geberden auch nicht; es iſt vergleichbar
dem Lichte des Himmels und dem Thau der Erde, und das
Lernen iſt das Wurzeln der Pflanze in die Tiefe und ihr ſtilles
Wachsthum. Wie der Odem Gottes weht uͤber den Waſſern,
ſo haucht der Geiſt eines wahren Lehrers die ſchlummernden
Geiſter der Schuͤler an, und ſie erwachen und freuen ſich.
Es iſt belebend und erheiternd, wenn zuweilen von des Leh-
rers Geiſt Raketen in die Luft ſteigen und Leuchtkugeln die
ſchwarze Nacht recht ſichtbar machen; aber noͤthig iſt es nicht;
wenn er nur, gleich dem Diamanten, mit eignem Lichte leuch-
tet. In geheimer Anziehung beruͤhren ſich die Geiſter, und
es ſind ſelige, geheimnißvolle Augenblicke, wo die Fluͤgelſchlaͤge

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[30/0048] Tuͤchtigkeit der akademiſchen Lehrer in gei- ſtiger, ſittlicher und patriotiſcher Hinſicht. Von einem Lehrer der Hochſchule, der eins der erſten Ehrenaͤmter des Staats bekleidet, daher ſeine Loͤhnung auch nicht Biergeld, ſondern mit Recht Ehrenſold (Honorar) genannt wird, verlange ich drei Eigenſchaften: Geiſt (Lehr- talent), ethiſche Geſinnung und Patriotismus, da- mit er als Lehrer, als Menſch, als Glied der Nation den Juͤnglingen, die ihn umgeben, als ſtrahlendes Muſter vor- leuchte. Denn das lebendige Beiſpiel wirkt maͤchtiger als Lehre und Unterricht. Die erſte Eigenſchaft des akademiſchen Lehrers iſt das Lehrtalent, welches in einem durchgebildeten Verſtand, in hel- len Einſichten, in der Kenntniß der menſchlichen Natur und ihrer Entwicklungsgeſetze und in der Faͤhigkeit, Andere zu geiſtiger Thaͤtigkeit machtvoll und energiſch anzuregen, beſteht. Das eigentliche Lehrgeſchaͤft iſt ein ſtilles, innerliches, unhoͤr- bares und unſichtbares Geſchaͤft. Die Worte ſind es nicht, die geſprochen werden, die Saͤtze nicht, die mitgetheilt wer- den, die Mienen und Geberden auch nicht; es iſt vergleichbar dem Lichte des Himmels und dem Thau der Erde, und das Lernen iſt das Wurzeln der Pflanze in die Tiefe und ihr ſtilles Wachsthum. Wie der Odem Gottes weht uͤber den Waſſern, ſo haucht der Geiſt eines wahren Lehrers die ſchlummernden Geiſter der Schuͤler an, und ſie erwachen und freuen ſich. Es iſt belebend und erheiternd, wenn zuweilen von des Leh- rers Geiſt Raketen in die Luft ſteigen und Leuchtkugeln die ſchwarze Nacht recht ſichtbar machen; aber noͤthig iſt es nicht; wenn er nur, gleich dem Diamanten, mit eignem Lichte leuch- tet. In geheimer Anziehung beruͤhren ſich die Geiſter, und es ſind ſelige, geheimnißvolle Augenblicke, wo die Fluͤgelſchlaͤge

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Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/48>, abgerufen am 24.11.2024.