Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.Ständen der bürgerlichen Gesellschaft überwogen werden. Was Ehemals kannte man an der Kleidung und den Manieren Es giebt zwei Principien, nach denen man die Studen- Staͤnden der buͤrgerlichen Geſellſchaft uͤberwogen werden. Was Ehemals kannte man an der Kleidung und den Manieren Es giebt zwei Principien, nach denen man die Studen- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0043" n="25"/> Staͤnden der buͤrgerlichen Geſellſchaft uͤberwogen werden. Was<lb/> iſt natuͤrlicher, als daß ſich in fremder Stadt die Heimaths-<lb/> genoſſen zuſammenſchaaren, die ſich durch daſſelbe Gefuͤhl,<lb/> dieſelbe Sitte, dieſelben Erinnerungen angezogen fuͤhlen? Man<lb/> will nicht einmal die Verbindung der Commilitonen derſelben<lb/> Facultaͤt. Man will ein reines Nichts, Iſolirung des Ein-<lb/> zelnen von allen Andern. Die Feindſchaft gegen das Cor-<lb/> porative erſtreckt ſich ſogar auf die Kleidung und die Farben.<lb/> Alles ſei eine Maſſe, Jeder gleiche dem Andern, Nichts ſteche<lb/> hervor. So wird das Leben eine Wuͤſte, die Langweiligkeit<lb/> fuͤhrt das Scepter. Denn was iſt langweiliger als die Unter-<lb/> ſchiedsloſigkeit!</p><lb/> <p>Ehemals kannte man an der Kleidung und den Manieren<lb/> den Handarbeiter, den Handwerker, den Kaufmann, den Ge-<lb/> lehrten, den Studenten. Und warum ſoll der Student ſich<lb/> nicht anders tragen, geberden als der Philiſter? Oder ſoll er<lb/> auch nur ein Philiſter ſein? — Liebt man ja bei den Solda-<lb/> ten die Verſchiedenheit der Jacken und Treſſen. Die Solda-<lb/> ten ſind aber die Menſchenwelt nicht allein. Auch wir ſind<lb/> Menſchen, auch wir haben Launen, auch in uns leben Eigen-<lb/> thuͤmlichkeiten. Der hollaͤndiſche Geſchmack der Gartenkunſt,<lb/> der allen Gewaͤchſen unter der Scheere dieſelbe Geſtalt gab,<lb/> iſt laͤngſt in ſeiner Unnatur anerkannt. In der Erziehung der<lb/> Menſchen iſt man ſo weit noch nicht vorgeruͤckt. Wenn die<lb/> Burſchenſchaft die Burſchenſchaft iſt, ſo iſt und bleibt auch<lb/> der Student ein Student. Man laſſe ihm ſeine unſchaͤdlichen<lb/> Eigenthuͤmlichkeiten, man leite und regle ſie. Nur der Schlechte<lb/> ſondert ſich ab; der Gute ſchaart ſich mit Gleichgeſinnten zu-<lb/> ſammen. Ohne dieß keine Freude, kein Gluͤck.</p><lb/> <p>Es giebt zwei Principien, nach denen man die Studen-<lb/> ten vereinigen kann: das <hi rendition="#g">fachmaͤßige</hi> und das <hi rendition="#g">lands-<lb/></hi></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [25/0043]
Staͤnden der buͤrgerlichen Geſellſchaft uͤberwogen werden. Was
iſt natuͤrlicher, als daß ſich in fremder Stadt die Heimaths-
genoſſen zuſammenſchaaren, die ſich durch daſſelbe Gefuͤhl,
dieſelbe Sitte, dieſelben Erinnerungen angezogen fuͤhlen? Man
will nicht einmal die Verbindung der Commilitonen derſelben
Facultaͤt. Man will ein reines Nichts, Iſolirung des Ein-
zelnen von allen Andern. Die Feindſchaft gegen das Cor-
porative erſtreckt ſich ſogar auf die Kleidung und die Farben.
Alles ſei eine Maſſe, Jeder gleiche dem Andern, Nichts ſteche
hervor. So wird das Leben eine Wuͤſte, die Langweiligkeit
fuͤhrt das Scepter. Denn was iſt langweiliger als die Unter-
ſchiedsloſigkeit!
Ehemals kannte man an der Kleidung und den Manieren
den Handarbeiter, den Handwerker, den Kaufmann, den Ge-
lehrten, den Studenten. Und warum ſoll der Student ſich
nicht anders tragen, geberden als der Philiſter? Oder ſoll er
auch nur ein Philiſter ſein? — Liebt man ja bei den Solda-
ten die Verſchiedenheit der Jacken und Treſſen. Die Solda-
ten ſind aber die Menſchenwelt nicht allein. Auch wir ſind
Menſchen, auch wir haben Launen, auch in uns leben Eigen-
thuͤmlichkeiten. Der hollaͤndiſche Geſchmack der Gartenkunſt,
der allen Gewaͤchſen unter der Scheere dieſelbe Geſtalt gab,
iſt laͤngſt in ſeiner Unnatur anerkannt. In der Erziehung der
Menſchen iſt man ſo weit noch nicht vorgeruͤckt. Wenn die
Burſchenſchaft die Burſchenſchaft iſt, ſo iſt und bleibt auch
der Student ein Student. Man laſſe ihm ſeine unſchaͤdlichen
Eigenthuͤmlichkeiten, man leite und regle ſie. Nur der Schlechte
ſondert ſich ab; der Gute ſchaart ſich mit Gleichgeſinnten zu-
ſammen. Ohne dieß keine Freude, kein Gluͤck.
Es giebt zwei Principien, nach denen man die Studen-
ten vereinigen kann: das fachmaͤßige und das lands-
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Zitationshilfe: | Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. 25. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/43>, abgerufen am 08.07.2024. |