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Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

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geisternden, in mancher Hinsicht einzigen Universitätsstadt,
durch das dortige Museum. Es geht Alles, wenn man nur
will. Nur auf das deutsche Theater weise man nicht hin als
auf eine Schule der Höflichkeit und der Gesittung. Ja da-
mals, als man noch den großen Gedanken eines deutschen
Nationaltheaters verfolgte, damals hoffte man, es würde
werden und es hätte werden können. Bei der jetzigen Entar-
tung der Bühne aber muß man eher den Wunsch aussprechen,
daß die Jünglinge es nicht kennen lernen. Oder sollte wirklich
in den gewöhnlichen Lustspielen, in den Opern und Balleten
eine geheim bildende Kraft liegen? Ja wohl, wir vermuthen
und -- fürchten es. Denn es bedarf des Beweises nicht,
daß das Theater gesunken ist. Diese Wahrheit liegt klar vor
Jedermanns Augen da. Verloren gegangen ist seine hohe
Bestimmung, darin bestehend, den Sinn für ideale Schönheit
und Kunst in den Zuhörern zu wecken, und die ideale Größe
menschlicher Charactere mit lebendigeren Farben in die Einbil-
dungskraft hinein zu legen, als die Geschichte es vermag.
Dieses für ächte, höhere Cultur unendlich wichtige Institut
ist zu einer Anstalt für Unterhaltung und Amüsement hinab-
gesunken, und nicht bloß den Puritanern, sondern selbst frei-
sinnigen Menschen drängt sich die Frage auf, ob das heutige
Theater nicht mehr schade als nütze, und ob es nicht an der
Zeit sei, ein so zweideutiges Institut ganz aufzuheben. Je-
denfalls aber wird der häufige Besuch des Theaters einem
Studenten kein günstiges Vorurtheil erwecken.

Wie jeder Mensch in der Achtung von Personen, die ihm
achtungswürdig erscheinen, einen Talisman besitzt, der ihn
von dem Schlechten und Gemeinen abhält, so zumal der
Jüngling, der ja noch nicht, wie der gereifte Mann, auf der
festen Basis thatenreich zurückgelegter Jahre oder öffentlichen

geiſternden, in mancher Hinſicht einzigen Univerſitaͤtsſtadt,
durch das dortige Muſeum. Es geht Alles, wenn man nur
will. Nur auf das deutſche Theater weiſe man nicht hin als
auf eine Schule der Hoͤflichkeit und der Geſittung. Ja da-
mals, als man noch den großen Gedanken eines deutſchen
Nationaltheaters verfolgte, damals hoffte man, es wuͤrde
werden und es haͤtte werden koͤnnen. Bei der jetzigen Entar-
tung der Buͤhne aber muß man eher den Wunſch ausſprechen,
daß die Juͤnglinge es nicht kennen lernen. Oder ſollte wirklich
in den gewoͤhnlichen Luſtſpielen, in den Opern und Balleten
eine geheim bildende Kraft liegen? Ja wohl, wir vermuthen
und — fuͤrchten es. Denn es bedarf des Beweiſes nicht,
daß das Theater geſunken iſt. Dieſe Wahrheit liegt klar vor
Jedermanns Augen da. Verloren gegangen iſt ſeine hohe
Beſtimmung, darin beſtehend, den Sinn fuͤr ideale Schoͤnheit
und Kunſt in den Zuhoͤrern zu wecken, und die ideale Groͤße
menſchlicher Charactere mit lebendigeren Farben in die Einbil-
dungskraft hinein zu legen, als die Geſchichte es vermag.
Dieſes fuͤr aͤchte, hoͤhere Cultur unendlich wichtige Inſtitut
iſt zu einer Anſtalt fuͤr Unterhaltung und Amuͤſement hinab-
geſunken, und nicht bloß den Puritanern, ſondern ſelbſt frei-
ſinnigen Menſchen draͤngt ſich die Frage auf, ob das heutige
Theater nicht mehr ſchade als nuͤtze, und ob es nicht an der
Zeit ſei, ein ſo zweideutiges Inſtitut ganz aufzuheben. Je-
denfalls aber wird der haͤufige Beſuch des Theaters einem
Studenten kein guͤnſtiges Vorurtheil erwecken.

Wie jeder Menſch in der Achtung von Perſonen, die ihm
achtungswuͤrdig erſcheinen, einen Talisman beſitzt, der ihn
von dem Schlechten und Gemeinen abhaͤlt, ſo zumal der
Juͤngling, der ja noch nicht, wie der gereifte Mann, auf der
feſten Baſis thatenreich zuruͤckgelegter Jahre oder oͤffentlichen

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[22/0040] geiſternden, in mancher Hinſicht einzigen Univerſitaͤtsſtadt, durch das dortige Muſeum. Es geht Alles, wenn man nur will. Nur auf das deutſche Theater weiſe man nicht hin als auf eine Schule der Hoͤflichkeit und der Geſittung. Ja da- mals, als man noch den großen Gedanken eines deutſchen Nationaltheaters verfolgte, damals hoffte man, es wuͤrde werden und es haͤtte werden koͤnnen. Bei der jetzigen Entar- tung der Buͤhne aber muß man eher den Wunſch ausſprechen, daß die Juͤnglinge es nicht kennen lernen. Oder ſollte wirklich in den gewoͤhnlichen Luſtſpielen, in den Opern und Balleten eine geheim bildende Kraft liegen? Ja wohl, wir vermuthen und — fuͤrchten es. Denn es bedarf des Beweiſes nicht, daß das Theater geſunken iſt. Dieſe Wahrheit liegt klar vor Jedermanns Augen da. Verloren gegangen iſt ſeine hohe Beſtimmung, darin beſtehend, den Sinn fuͤr ideale Schoͤnheit und Kunſt in den Zuhoͤrern zu wecken, und die ideale Groͤße menſchlicher Charactere mit lebendigeren Farben in die Einbil- dungskraft hinein zu legen, als die Geſchichte es vermag. Dieſes fuͤr aͤchte, hoͤhere Cultur unendlich wichtige Inſtitut iſt zu einer Anſtalt fuͤr Unterhaltung und Amuͤſement hinab- geſunken, und nicht bloß den Puritanern, ſondern ſelbſt frei- ſinnigen Menſchen draͤngt ſich die Frage auf, ob das heutige Theater nicht mehr ſchade als nuͤtze, und ob es nicht an der Zeit ſei, ein ſo zweideutiges Inſtitut ganz aufzuheben. Je- denfalls aber wird der haͤufige Beſuch des Theaters einem Studenten kein guͤnſtiges Vorurtheil erwecken. Wie jeder Menſch in der Achtung von Perſonen, die ihm achtungswuͤrdig erſcheinen, einen Talisman beſitzt, der ihn von dem Schlechten und Gemeinen abhaͤlt, ſo zumal der Juͤngling, der ja noch nicht, wie der gereifte Mann, auf der feſten Baſis thatenreich zuruͤckgelegter Jahre oder oͤffentlichen

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Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/40>, abgerufen am 28.11.2024.