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Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

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heit, und diesen gegenüber -- lustige Kameraden, bemooste
Bursche, heiteres Wirthshausleben und Kneipen, Duellwuth
und liederliche Dirnen -- nein, wenn diese Verhältnisse die
Aufmerksamkeit der Staatsbehörden nicht schärfen, sie nicht
bis zur Gewissenhaftigkeit und Wachsamkeit steigern, es wäre
nicht zu verantworten. Nur die Gleichgültigkeit gegen alles
Reine und Edle kann hier von den strengsten Forderungen ab-
gehen. Der ungeprüfte Jüngling kommt an den Scheideweg,
er muß ihn betreten und sich entscheiden, sonst wird er kein
Mann; aber die Versuchungen des Lebens steigern durch ver-
suchende Häuser und Menschen, durch mittelalterliche Vorur-
theile von Ehre und Tüchtigkeit, durch eine Freiheit, wie sie
kein Mann genießet -- das ist vor Gott und Menschen nicht
zu verantworten. Der Staat richtet die Universitäten ein,
und es giebt keinen andern Weg, sich zum höheren geistigen
Leben emporzuschwingen -- dieß legt ihm die große Pflicht
auf, dafür zu sorgen, daß als Regel angenommen werden
muß: der seiner Anstalt vertrauensvoll übergebene Jüngling
werde nicht an Leib und Seele verdorben, sondern veredelt
zurückkehren. Darum ist die strenge Forderung, daß verlok-
kende und verführerische Dinge auf der Universität nicht ge-
duldet werden, das Minimum, was im Namen der Mensch-
heit gefordert werden muß.

Dieses ist schon sehr viel, aber es reicht nicht hin. Denn
auf dem Acker wächst noch kein Weizen, wenn man nichts
weiter thut, als daß man ihn von bösem Unkraut reinigt und
Sümpfe und Kloaken entfernt. Positive Einrichtungen müssen
hinzukommen. Nicht von selbst macht sich eine tüchtige Er-
ziehung. Es gehören Potenzen dazu, machtvoll erregende,
energisch ergreifende. Welches sind sie?

heit, und dieſen gegenuͤber — luſtige Kameraden, bemooſte
Burſche, heiteres Wirthshausleben und Kneipen, Duellwuth
und liederliche Dirnen — nein, wenn dieſe Verhaͤltniſſe die
Aufmerkſamkeit der Staatsbehoͤrden nicht ſchaͤrfen, ſie nicht
bis zur Gewiſſenhaftigkeit und Wachſamkeit ſteigern, es waͤre
nicht zu verantworten. Nur die Gleichguͤltigkeit gegen alles
Reine und Edle kann hier von den ſtrengſten Forderungen ab-
gehen. Der ungepruͤfte Juͤngling kommt an den Scheideweg,
er muß ihn betreten und ſich entſcheiden, ſonſt wird er kein
Mann; aber die Verſuchungen des Lebens ſteigern durch ver-
ſuchende Haͤuſer und Menſchen, durch mittelalterliche Vorur-
theile von Ehre und Tuͤchtigkeit, durch eine Freiheit, wie ſie
kein Mann genießet — das iſt vor Gott und Menſchen nicht
zu verantworten. Der Staat richtet die Univerſitaͤten ein,
und es giebt keinen andern Weg, ſich zum hoͤheren geiſtigen
Leben emporzuſchwingen — dieß legt ihm die große Pflicht
auf, dafuͤr zu ſorgen, daß als Regel angenommen werden
muß: der ſeiner Anſtalt vertrauensvoll uͤbergebene Juͤngling
werde nicht an Leib und Seele verdorben, ſondern veredelt
zuruͤckkehren. Darum iſt die ſtrenge Forderung, daß verlok-
kende und verfuͤhreriſche Dinge auf der Univerſitaͤt nicht ge-
duldet werden, das Minimum, was im Namen der Menſch-
heit gefordert werden muß.

Dieſes iſt ſchon ſehr viel, aber es reicht nicht hin. Denn
auf dem Acker waͤchſt noch kein Weizen, wenn man nichts
weiter thut, als daß man ihn von boͤſem Unkraut reinigt und
Suͤmpfe und Kloaken entfernt. Poſitive Einrichtungen muͤſſen
hinzukommen. Nicht von ſelbſt macht ſich eine tuͤchtige Er-
ziehung. Es gehoͤren Potenzen dazu, machtvoll erregende,
energiſch ergreifende. Welches ſind ſie?

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[15/0033] heit, und dieſen gegenuͤber — luſtige Kameraden, bemooſte Burſche, heiteres Wirthshausleben und Kneipen, Duellwuth und liederliche Dirnen — nein, wenn dieſe Verhaͤltniſſe die Aufmerkſamkeit der Staatsbehoͤrden nicht ſchaͤrfen, ſie nicht bis zur Gewiſſenhaftigkeit und Wachſamkeit ſteigern, es waͤre nicht zu verantworten. Nur die Gleichguͤltigkeit gegen alles Reine und Edle kann hier von den ſtrengſten Forderungen ab- gehen. Der ungepruͤfte Juͤngling kommt an den Scheideweg, er muß ihn betreten und ſich entſcheiden, ſonſt wird er kein Mann; aber die Verſuchungen des Lebens ſteigern durch ver- ſuchende Haͤuſer und Menſchen, durch mittelalterliche Vorur- theile von Ehre und Tuͤchtigkeit, durch eine Freiheit, wie ſie kein Mann genießet — das iſt vor Gott und Menſchen nicht zu verantworten. Der Staat richtet die Univerſitaͤten ein, und es giebt keinen andern Weg, ſich zum hoͤheren geiſtigen Leben emporzuſchwingen — dieß legt ihm die große Pflicht auf, dafuͤr zu ſorgen, daß als Regel angenommen werden muß: der ſeiner Anſtalt vertrauensvoll uͤbergebene Juͤngling werde nicht an Leib und Seele verdorben, ſondern veredelt zuruͤckkehren. Darum iſt die ſtrenge Forderung, daß verlok- kende und verfuͤhreriſche Dinge auf der Univerſitaͤt nicht ge- duldet werden, das Minimum, was im Namen der Menſch- heit gefordert werden muß. Dieſes iſt ſchon ſehr viel, aber es reicht nicht hin. Denn auf dem Acker waͤchſt noch kein Weizen, wenn man nichts weiter thut, als daß man ihn von boͤſem Unkraut reinigt und Suͤmpfe und Kloaken entfernt. Poſitive Einrichtungen muͤſſen hinzukommen. Nicht von ſelbſt macht ſich eine tuͤchtige Er- ziehung. Es gehoͤren Potenzen dazu, machtvoll erregende, energiſch ergreifende. Welches ſind ſie?

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Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/33>, abgerufen am 04.12.2024.