Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.wie wohl sonst: die Antwort war früher da als die Frage, Ich verlange zweierlei von einer Hochschule: 1) ächte Wissenschaftlichkeit; 2) pädagogische Bildung oder Erziehung. 1. Unsre Universitäten sind nicht Kunst-, sondern wissenschaft- 1) Der wissenschaftliche Geist, das wahre Wissen, die Gründlichkeit der Erforschung des Lehrens und Lernens ist nicht zu suchen in der Masse des Wissens, nicht in historischer Erschöpfung, nicht in so- genannter Gelehrsamkeit. Zur eigentlichen Gelehrsamkeit gehört nicht bloß die Wis- wie wohl ſonſt: die Antwort war fruͤher da als die Frage, Ich verlange zweierlei von einer Hochſchule: 1) aͤchte Wiſſenſchaftlichkeit; 2) paͤdagogiſche Bildung oder Erziehung. 1. Unſre Univerſitaͤten ſind nicht Kunſt-, ſondern wiſſenſchaft- 1) Der wiſſenſchaftliche Geiſt, das wahre Wiſſen, die Gruͤndlichkeit der Erforſchung des Lehrens und Lernens iſt nicht zu ſuchen in der Maſſe des Wiſſens, nicht in hiſtoriſcher Erſchoͤpfung, nicht in ſo- genannter Gelehrſamkeit. Zur eigentlichen Gelehrſamkeit gehoͤrt nicht bloß die Wiſ- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb n="2" facs="#f0020"/> wie wohl ſonſt: die Antwort war fruͤher da als die Frage,<lb/> die nur zur Einkleidung dient.</p><lb/> <p>Ich verlange <hi rendition="#g">zweierlei</hi> von einer Hochſchule:</p><lb/> <list> <item>1) <hi rendition="#g">aͤchte Wiſſenſchaftlichkeit</hi>;</item><lb/> <item>2) <hi rendition="#g">paͤdagogiſche Bildung oder Erziehung</hi>.</item> </list><lb/> <div n="2"> <head>1.</head><lb/> <p>Unſre Univerſitaͤten ſind nicht Kunſt-, ſondern wiſſenſchaft-<lb/> liche Anſtalten, und ſelbſt wenn ſie uͤber Kunſt handeln, ſo<lb/> verbreiten ſie das Wiſſen uͤber die Kunſt, die Theorie, nicht<lb/> das Koͤnnen. Darum ſchließe ich die Kunſt von ihrer prakti-<lb/> ſchen Seite von den Zwecken einer Univerſitaͤt aus, und be-<lb/> zeichne ihren erſten, wenn auch nicht hoͤchſten, Zweck durch<lb/> das Wort: Wiſſenſchaftlichkeit, hier einerlei mit Gruͤndlichkeit<lb/> des Lehrens und Lernens. Der Zuſatz „<hi rendition="#g">aͤchte</hi>“, deutet ſo-<lb/> wohl auf den Mißbrauch des Wortes <hi rendition="#g">Wiſſenſchaftlich-<lb/> keit</hi>, als auch auf die falſche Richtung, in welcher die<lb/> Gruͤndlichkeit faͤlſchlich geſucht worden iſt und geſucht wird,<lb/> hin. Ich muß mich daher naͤher uͤber dieſen Gegenſtand er-<lb/> klaͤren. Zuerſt ſage ich in <hi rendition="#g">negativer</hi> Hinſicht:</p><lb/> <list> <item>1) Der wiſſenſchaftliche Geiſt, das wahre Wiſſen, die<lb/> Gruͤndlichkeit der Erforſchung des Lehrens und Lernens<lb/> iſt <hi rendition="#g">nicht zu ſuchen in der Maſſe des Wiſſens,<lb/> nicht in hiſtoriſcher Erſchoͤpfung, nicht in ſo-<lb/> genannter Gelehrſamkeit</hi>.</item> </list><lb/> <p>Zur eigentlichen Gelehrſamkeit gehoͤrt nicht bloß die Wiſ-<lb/> ſenſchaft, ſondern auch eine gruͤndliche Kenntniß der <hi rendition="#g">geſchicht-<lb/> lichen</hi> Entwicklung derſelben; je genauer und tiefer, deſto<lb/> gelehrter. Je weniger einem Gelehrten irgend eine Notiz, ir-<lb/> gend eine literariſche Erſcheinung der Geſchichte ſeiner Wiſſen-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [2/0020]
wie wohl ſonſt: die Antwort war fruͤher da als die Frage,
die nur zur Einkleidung dient.
Ich verlange zweierlei von einer Hochſchule:
1) aͤchte Wiſſenſchaftlichkeit;
2) paͤdagogiſche Bildung oder Erziehung.
1.
Unſre Univerſitaͤten ſind nicht Kunſt-, ſondern wiſſenſchaft-
liche Anſtalten, und ſelbſt wenn ſie uͤber Kunſt handeln, ſo
verbreiten ſie das Wiſſen uͤber die Kunſt, die Theorie, nicht
das Koͤnnen. Darum ſchließe ich die Kunſt von ihrer prakti-
ſchen Seite von den Zwecken einer Univerſitaͤt aus, und be-
zeichne ihren erſten, wenn auch nicht hoͤchſten, Zweck durch
das Wort: Wiſſenſchaftlichkeit, hier einerlei mit Gruͤndlichkeit
des Lehrens und Lernens. Der Zuſatz „aͤchte“, deutet ſo-
wohl auf den Mißbrauch des Wortes Wiſſenſchaftlich-
keit, als auch auf die falſche Richtung, in welcher die
Gruͤndlichkeit faͤlſchlich geſucht worden iſt und geſucht wird,
hin. Ich muß mich daher naͤher uͤber dieſen Gegenſtand er-
klaͤren. Zuerſt ſage ich in negativer Hinſicht:
1) Der wiſſenſchaftliche Geiſt, das wahre Wiſſen, die
Gruͤndlichkeit der Erforſchung des Lehrens und Lernens
iſt nicht zu ſuchen in der Maſſe des Wiſſens,
nicht in hiſtoriſcher Erſchoͤpfung, nicht in ſo-
genannter Gelehrſamkeit.
Zur eigentlichen Gelehrſamkeit gehoͤrt nicht bloß die Wiſ-
ſenſchaft, ſondern auch eine gruͤndliche Kenntniß der geſchicht-
lichen Entwicklung derſelben; je genauer und tiefer, deſto
gelehrter. Je weniger einem Gelehrten irgend eine Notiz, ir-
gend eine literariſche Erſcheinung der Geſchichte ſeiner Wiſſen-
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Zitationshilfe: | Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/20>, abgerufen am 03.03.2025. |