Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

Bild:
<< vorherige Seite

das Zweite darin als begründet nachgewiesen. Das
Dritte, das ich nun vorschlage, ist weniger wichtig,
weniger weit greifend, aber wichtig genug.

Es ist ein trauriges Geschäft, den Ankläger der
Zeit zu machen. Wie viel glücklicher sind diejenigen,
welche aus Ueberzeugung die Zeit, in der sie le-
ben, loben, die Personen, die als bewegende Factoren
dastehen, als die Heroen der Zeit preisen können! Der
Beifall der Welt entgeht ihnen nicht, und die Güter
derselben sammeln sich bei ihnen zu Hauf. Nach die-
sem Glücke kann ich nicht streben; meine Ueberzeugung
läßt es nicht zu. Mir färbt sich Vieles, was Andern
schneeweiß leuchtet, grau in grau oder grau in schwarz.
Das Alles zu nennen und zu bezeichnen, verbieten
Umstände und Verhältnisse. Aber was man sagt, es
sei wahr, d. h. der subjectiven Ueberzeugung gemäß:
für mehr kann der irrende Sterbliche nicht einstehen.

Es ist ein reales Unglück für jeden Menschen,
wenn sein Interesse ihn auf Gegenstände hinlenkt, de-
ren richtige Beurtheilung über (unter) seinem Hori-
zonte liegt. Denn Nicht-Wissen ist besser als Irr-
thum, und Schweigen besser als Reden des Schiefen
oder Falschen. Ob dieses Unglück mir begegnet ist,
es ist möglich. Ich würde es dem danken, der mich
davon überzeugte. Ich würde mein Nachdenken dann
andern Gegenständen, in denen ich glücklicher zu sein
hoffen dürfte, zuwenden.

das Zweite darin als begruͤndet nachgewieſen. Das
Dritte, das ich nun vorſchlage, iſt weniger wichtig,
weniger weit greifend, aber wichtig genug.

Es iſt ein trauriges Geſchaͤft, den Anklaͤger der
Zeit zu machen. Wie viel gluͤcklicher ſind diejenigen,
welche aus Ueberzeugung die Zeit, in der ſie le-
ben, loben, die Perſonen, die als bewegende Factoren
daſtehen, als die Heroen der Zeit preiſen koͤnnen! Der
Beifall der Welt entgeht ihnen nicht, und die Guͤter
derſelben ſammeln ſich bei ihnen zu Hauf. Nach die-
ſem Gluͤcke kann ich nicht ſtreben; meine Ueberzeugung
laͤßt es nicht zu. Mir faͤrbt ſich Vieles, was Andern
ſchneeweiß leuchtet, grau in grau oder grau in ſchwarz.
Das Alles zu nennen und zu bezeichnen, verbieten
Umſtaͤnde und Verhaͤltniſſe. Aber was man ſagt, es
ſei wahr, d. h. der ſubjectiven Ueberzeugung gemaͤß:
fuͤr mehr kann der irrende Sterbliche nicht einſtehen.

Es iſt ein reales Ungluͤck fuͤr jeden Menſchen,
wenn ſein Intereſſe ihn auf Gegenſtaͤnde hinlenkt, de-
ren richtige Beurtheilung uͤber (unter) ſeinem Hori-
zonte liegt. Denn Nicht-Wiſſen iſt beſſer als Irr-
thum, und Schweigen beſſer als Reden des Schiefen
oder Falſchen. Ob dieſes Ungluͤck mir begegnet iſt,
es iſt moͤglich. Ich wuͤrde es dem danken, der mich
davon uͤberzeugte. Ich wuͤrde mein Nachdenken dann
andern Gegenſtaͤnden, in denen ich gluͤcklicher zu ſein
hoffen duͤrfte, zuwenden.

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0012" n="VI"/>
das Zweite darin als begru&#x0364;ndet nachgewie&#x017F;en. Das<lb/><hi rendition="#g">Dritte</hi>, das ich nun vor&#x017F;chlage, i&#x017F;t weniger wichtig,<lb/>
weniger weit greifend, aber wichtig genug.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t ein trauriges Ge&#x017F;cha&#x0364;ft, den Ankla&#x0364;ger der<lb/>
Zeit zu machen. Wie viel glu&#x0364;cklicher &#x017F;ind diejenigen,<lb/>
welche aus <hi rendition="#g">Ueberzeugung</hi> die Zeit, in der &#x017F;ie le-<lb/>
ben, loben, die Per&#x017F;onen, die als bewegende Factoren<lb/>
da&#x017F;tehen, als die Heroen der Zeit prei&#x017F;en ko&#x0364;nnen! Der<lb/>
Beifall der Welt entgeht ihnen nicht, und die Gu&#x0364;ter<lb/>
der&#x017F;elben &#x017F;ammeln &#x017F;ich bei ihnen zu Hauf. Nach die-<lb/>
&#x017F;em Glu&#x0364;cke kann ich nicht &#x017F;treben; meine Ueberzeugung<lb/>
la&#x0364;ßt es nicht zu. Mir fa&#x0364;rbt &#x017F;ich Vieles, was Andern<lb/>
&#x017F;chneeweiß leuchtet, grau in grau oder grau in &#x017F;chwarz.<lb/>
Das Alles zu nennen und zu bezeichnen, verbieten<lb/>
Um&#x017F;ta&#x0364;nde und Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e. Aber was man &#x017F;agt, es<lb/>
&#x017F;ei wahr, d. h. der &#x017F;ubjectiven Ueberzeugung gema&#x0364;ß:<lb/>
fu&#x0364;r mehr kann der irrende Sterbliche nicht ein&#x017F;tehen.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t ein reales Unglu&#x0364;ck fu&#x0364;r jeden Men&#x017F;chen,<lb/>
wenn &#x017F;ein Intere&#x017F;&#x017F;e ihn auf Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde hinlenkt, de-<lb/>
ren richtige Beurtheilung u&#x0364;ber (unter) &#x017F;einem Hori-<lb/>
zonte liegt. Denn Nicht-Wi&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t be&#x017F;&#x017F;er als Irr-<lb/>
thum, und Schweigen be&#x017F;&#x017F;er als Reden des Schiefen<lb/>
oder Fal&#x017F;chen. Ob die&#x017F;es Unglu&#x0364;ck mir begegnet i&#x017F;t,<lb/>
es i&#x017F;t mo&#x0364;glich. Ich wu&#x0364;rde es dem danken, der mich<lb/>
davon u&#x0364;berzeugte. Ich wu&#x0364;rde mein Nachdenken dann<lb/>
andern Gegen&#x017F;ta&#x0364;nden, in denen ich glu&#x0364;cklicher zu &#x017F;ein<lb/>
hoffen du&#x0364;rfte, zuwenden.</p><lb/>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[VI/0012] das Zweite darin als begruͤndet nachgewieſen. Das Dritte, das ich nun vorſchlage, iſt weniger wichtig, weniger weit greifend, aber wichtig genug. Es iſt ein trauriges Geſchaͤft, den Anklaͤger der Zeit zu machen. Wie viel gluͤcklicher ſind diejenigen, welche aus Ueberzeugung die Zeit, in der ſie le- ben, loben, die Perſonen, die als bewegende Factoren daſtehen, als die Heroen der Zeit preiſen koͤnnen! Der Beifall der Welt entgeht ihnen nicht, und die Guͤter derſelben ſammeln ſich bei ihnen zu Hauf. Nach die- ſem Gluͤcke kann ich nicht ſtreben; meine Ueberzeugung laͤßt es nicht zu. Mir faͤrbt ſich Vieles, was Andern ſchneeweiß leuchtet, grau in grau oder grau in ſchwarz. Das Alles zu nennen und zu bezeichnen, verbieten Umſtaͤnde und Verhaͤltniſſe. Aber was man ſagt, es ſei wahr, d. h. der ſubjectiven Ueberzeugung gemaͤß: fuͤr mehr kann der irrende Sterbliche nicht einſtehen. Es iſt ein reales Ungluͤck fuͤr jeden Menſchen, wenn ſein Intereſſe ihn auf Gegenſtaͤnde hinlenkt, de- ren richtige Beurtheilung uͤber (unter) ſeinem Hori- zonte liegt. Denn Nicht-Wiſſen iſt beſſer als Irr- thum, und Schweigen beſſer als Reden des Schiefen oder Falſchen. Ob dieſes Ungluͤck mir begegnet iſt, es iſt moͤglich. Ich wuͤrde es dem danken, der mich davon uͤberzeugte. Ich wuͤrde mein Nachdenken dann andern Gegenſtaͤnden, in denen ich gluͤcklicher zu ſein hoffen duͤrfte, zuwenden.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/12
Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/12>, abgerufen am 23.11.2024.