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Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836.

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terialismus und verfeinerten Epikuräismus alle ver-
nünftige Besinnung den Zeitgenossen geraubt, so ren-
nen sie, die ich meine, in Leichtsinn, Besinnungslo-
sigkeit und Hast den kommenden Zeiten entgegen, daß
man fürchten muß, die Besinnung wird erst kommen,
darüber, was man hätte thun sollen, wenn es zu
spät ist. Dieses furchtbare Wort: "es ist zu spät!"
wird es ertönen? Gott wolle uns davor bewahren.
Ungeachtet des Leichtsinnes der Zeit, dieser so weit
verbreiteten Pest, wähnet man, ihm zu entgehen oder
es auf ewig hinauszuschieben, gleich Carl X., der am
Whisttische saß, während des Ablaufes der letzten 24
Stunden seiner Herrschaft. Als diese verflossen waren
und er sich besinnen wollte, mußte er von seinen Un-
tergebenen das gewichtige Wort hören: "Sire, es ist
zu spät!" Sire -- es ist zu spät! kann eine grö-
ßere Ironie des Schicksals gedacht werden? Möchte
es für uns nie zu spät werden! Darum thue man
bei Zeiten, was die Zeit fordert, man bessere an sich,
man gestalte um, was schlecht ist. Ich erinnere
darum hier nochmals an zwei der -- nach meinem
Ermessen -- dringendsten Zeitbedürfnisse: Bildung
corporativer Institutionen durch alle Stände des Vol-
kes hindurch, und geregelte, gesetzliche Sorge für die
unteren Klassen, in physisch-ökonomischer, wie in
moralisch-intellectueller Hinsicht. Das Erste habe ich
in den beiden vorhergehenden Broschüren angedeutet,

terialismus und verfeinerten Epikuraͤismus alle ver-
nuͤnftige Beſinnung den Zeitgenoſſen geraubt, ſo ren-
nen ſie, die ich meine, in Leichtſinn, Beſinnungslo-
ſigkeit und Haſt den kommenden Zeiten entgegen, daß
man fuͤrchten muß, die Beſinnung wird erſt kommen,
daruͤber, was man haͤtte thun ſollen, wenn es zu
ſpaͤt iſt. Dieſes furchtbare Wort: „es iſt zu ſpaͤt!“
wird es ertoͤnen? Gott wolle uns davor bewahren.
Ungeachtet des Leichtſinnes der Zeit, dieſer ſo weit
verbreiteten Peſt, waͤhnet man, ihm zu entgehen oder
es auf ewig hinauszuſchieben, gleich Carl X., der am
Whiſttiſche ſaß, waͤhrend des Ablaufes der letzten 24
Stunden ſeiner Herrſchaft. Als dieſe verfloſſen waren
und er ſich beſinnen wollte, mußte er von ſeinen Un-
tergebenen das gewichtige Wort hoͤren: „Sire, es iſt
zu ſpaͤt!“ Sire — es iſt zu ſpaͤt! kann eine groͤ-
ßere Ironie des Schickſals gedacht werden? Moͤchte
es fuͤr uns nie zu ſpaͤt werden! Darum thue man
bei Zeiten, was die Zeit fordert, man beſſere an ſich,
man geſtalte um, was ſchlecht iſt. Ich erinnere
darum hier nochmals an zwei der — nach meinem
Ermeſſen — dringendſten Zeitbeduͤrfniſſe: Bildung
corporativer Inſtitutionen durch alle Staͤnde des Vol-
kes hindurch, und geregelte, geſetzliche Sorge fuͤr die
unteren Klaſſen, in phyſiſch-oͤkonomiſcher, wie in
moraliſch-intellectueller Hinſicht. Das Erſte habe ich
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[V/0011] terialismus und verfeinerten Epikuraͤismus alle ver- nuͤnftige Beſinnung den Zeitgenoſſen geraubt, ſo ren- nen ſie, die ich meine, in Leichtſinn, Beſinnungslo- ſigkeit und Haſt den kommenden Zeiten entgegen, daß man fuͤrchten muß, die Beſinnung wird erſt kommen, daruͤber, was man haͤtte thun ſollen, wenn es zu ſpaͤt iſt. Dieſes furchtbare Wort: „es iſt zu ſpaͤt!“ wird es ertoͤnen? Gott wolle uns davor bewahren. Ungeachtet des Leichtſinnes der Zeit, dieſer ſo weit verbreiteten Peſt, waͤhnet man, ihm zu entgehen oder es auf ewig hinauszuſchieben, gleich Carl X., der am Whiſttiſche ſaß, waͤhrend des Ablaufes der letzten 24 Stunden ſeiner Herrſchaft. Als dieſe verfloſſen waren und er ſich beſinnen wollte, mußte er von ſeinen Un- tergebenen das gewichtige Wort hoͤren: „Sire, es iſt zu ſpaͤt!“ Sire — es iſt zu ſpaͤt! kann eine groͤ- ßere Ironie des Schickſals gedacht werden? Moͤchte es fuͤr uns nie zu ſpaͤt werden! Darum thue man bei Zeiten, was die Zeit fordert, man beſſere an ſich, man geſtalte um, was ſchlecht iſt. Ich erinnere darum hier nochmals an zwei der — nach meinem Ermeſſen — dringendſten Zeitbeduͤrfniſſe: Bildung corporativer Inſtitutionen durch alle Staͤnde des Vol- kes hindurch, und geregelte, geſetzliche Sorge fuͤr die unteren Klaſſen, in phyſiſch-oͤkonomiſcher, wie in moraliſch-intellectueller Hinſicht. Das Erſte habe ich in den beiden vorhergehenden Broſchuͤren angedeutet,

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Zitationshilfe: Diesterweg, Adolph: Über das Verderben auf den deutschen Universitäten. Essen, 1836, S. V. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diesterweg_universitaeten_1836/11>, abgerufen am 24.11.2024.