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Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897.

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vor der aufstrebenden Souveränität absolut regierender Landes-
herren nach und nach verschwand, hörten auch die Handwerks-
zünfte auf, im öffentlichen Leben ihre früher so bedeutende
Rolle zu spielen, bis ihnen dann schließlich nur noch die Aus-
übung des Gewerbebetriebes mit seinen Zwangs- und Bann-
rechten überlassen blieb1)."

Um ein kleines Bild zu dieser Schilderung beizufügen,
hören wir aus Beda Webers "Reformationsgeschichte der freien
Reichsstadt Frankfurt"2): "Die Gesellen der löblichen Schmiede-
zunft gingen so weit, daß sie die ihrer Bruderschaft gehörigen
Altargeräte, Fahnen, Bildnisse und Kostbarkeiten auf den
Plätzen der Stadt versteigerten und die daraus gewonnenen
Gelder verpraßten. Das nannte man die ,selige Frucht des
Wortes Gottes', den Beweis für die ,seligmachende lutherische
Lehre', während man unter tierischem Gebrüll mit fremdem
Wein auf den ,päpstlichen Götzendienst' das Pereat ausbrachte,
nach dem Vorgange der Studenten an den Thoren von
Wittenberg3)."

Als nach Beginn des 17. Jahrhunderts die Zeit
nahte, wo es möglich war, das erste Jubiläum der deutschen
Reformation 1617 zu begehen, da war die Gelegenheit und

1) Thilo, "Zunftmeisterbräuche im alten Deutschen Reiche", in der
"Zeitschrift für Handelsgewerbe" 1890.
2) Zur Reformationsgeschichte der freien Reichsstadt Frankfurt,
herausgegeben von J. Diefenbach. Auch Dr. J. Döllinger sprach 1861
den Satz aus: "Verkürzung, Zurücksetzung, Beraubung der ärmeren
Klassen ist allenthalben die Signatur der Reformation genannten Um-
wälzung; gerade auf dem sozialpolitischen und ökonomischen Gebiete
treten die verderblichen Folgen der sog. Reformation am grellsten zu Tage."
3) Nach der Darstellung des F. R. Ely in seinem Werke "Socialism"
wünschen die englischen Sozialisten die Anwendung katholischer Prin-
zipien auf die gegenwärtigen Verhältnisse, während sie die sozialen Übel
dem Protestantismus zuschreiben. Cf. Hist.-pol. Blätter Bd. 116, 627.
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vor der aufſtrebenden Souveränität abſolut regierender Landes-
herren nach und nach verſchwand, hörten auch die Handwerks-
zünfte auf, im öffentlichen Leben ihre früher ſo bedeutende
Rolle zu ſpielen, bis ihnen dann ſchließlich nur noch die Aus-
übung des Gewerbebetriebes mit ſeinen Zwangs- und Bann-
rechten überlaſſen blieb1).‟

Um ein kleines Bild zu dieſer Schilderung beizufügen,
hören wir aus Beda Webers „Reformationsgeſchichte der freien
Reichsſtadt Frankfurt‟2): „Die Geſellen der löblichen Schmiede-
zunft gingen ſo weit, daß ſie die ihrer Bruderſchaft gehörigen
Altargeräte, Fahnen, Bildniſſe und Koſtbarkeiten auf den
Plätzen der Stadt verſteigerten und die daraus gewonnenen
Gelder verpraßten. Das nannte man die ‚ſelige Frucht des
Wortes Gottes‛, den Beweis für die ‚ſeligmachende lutheriſche
Lehre‛, während man unter tieriſchem Gebrüll mit fremdem
Wein auf den ‚päpſtlichen Götzendienſt‛ das Pereat ausbrachte,
nach dem Vorgange der Studenten an den Thoren von
Wittenberg3).‟

Als nach Beginn des 17. Jahrhunderts die Zeit
nahte, wo es möglich war, das erſte Jubiläum der deutſchen
Reformation 1617 zu begehen, da war die Gelegenheit und

1) Thilo, „Zunftmeiſterbräuche im alten Deutſchen Reiche‟, in der
„Zeitſchrift für Handelsgewerbe‟ 1890.
2) Zur Reformationsgeſchichte der freien Reichsſtadt Frankfurt,
herausgegeben von J. Diefenbach. Auch Dr. J. Döllinger ſprach 1861
den Satz aus: „Verkürzung, Zurückſetzung, Beraubung der ärmeren
Klaſſen iſt allenthalben die Signatur der Reformation genannten Um-
wälzung; gerade auf dem ſozialpolitiſchen und ökonomiſchen Gebiete
treten die verderblichen Folgen der ſog. Reformation am grellſten zu Tage.‟
3) Nach der Darſtellung des F. R. Ely in ſeinem Werke „Socialism‟
wünſchen die engliſchen Sozialiſten die Anwendung katholiſcher Prin-
zipien auf die gegenwärtigen Verhältniſſe, während ſie die ſozialen Übel
dem Proteſtantismus zuſchreiben. Cf. Hiſt.-pol. Blätter Bd. 116, 627.
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[51/0063] vor der aufſtrebenden Souveränität abſolut regierender Landes- herren nach und nach verſchwand, hörten auch die Handwerks- zünfte auf, im öffentlichen Leben ihre früher ſo bedeutende Rolle zu ſpielen, bis ihnen dann ſchließlich nur noch die Aus- übung des Gewerbebetriebes mit ſeinen Zwangs- und Bann- rechten überlaſſen blieb 1).‟ Um ein kleines Bild zu dieſer Schilderung beizufügen, hören wir aus Beda Webers „Reformationsgeſchichte der freien Reichsſtadt Frankfurt‟ 2): „Die Geſellen der löblichen Schmiede- zunft gingen ſo weit, daß ſie die ihrer Bruderſchaft gehörigen Altargeräte, Fahnen, Bildniſſe und Koſtbarkeiten auf den Plätzen der Stadt verſteigerten und die daraus gewonnenen Gelder verpraßten. Das nannte man die ‚ſelige Frucht des Wortes Gottes‛, den Beweis für die ‚ſeligmachende lutheriſche Lehre‛, während man unter tieriſchem Gebrüll mit fremdem Wein auf den ‚päpſtlichen Götzendienſt‛ das Pereat ausbrachte, nach dem Vorgange der Studenten an den Thoren von Wittenberg 3).‟ Als nach Beginn des 17. Jahrhunderts die Zeit nahte, wo es möglich war, das erſte Jubiläum der deutſchen Reformation 1617 zu begehen, da war die Gelegenheit und 1) Thilo, „Zunftmeiſterbräuche im alten Deutſchen Reiche‟, in der „Zeitſchrift für Handelsgewerbe‟ 1890. 2) Zur Reformationsgeſchichte der freien Reichsſtadt Frankfurt, herausgegeben von J. Diefenbach. Auch Dr. J. Döllinger ſprach 1861 den Satz aus: „Verkürzung, Zurückſetzung, Beraubung der ärmeren Klaſſen iſt allenthalben die Signatur der Reformation genannten Um- wälzung; gerade auf dem ſozialpolitiſchen und ökonomiſchen Gebiete treten die verderblichen Folgen der ſog. Reformation am grellſten zu Tage.‟ 3) Nach der Darſtellung des F. R. Ely in ſeinem Werke „Socialism‟ wünſchen die engliſchen Sozialiſten die Anwendung katholiſcher Prin- zipien auf die gegenwärtigen Verhältniſſe, während ſie die ſozialen Übel dem Proteſtantismus zuſchreiben. Cf. Hiſt.-pol. Blätter Bd. 116, 627. 4*

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Zitationshilfe: Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diefenbach_reformation_1897/63>, abgerufen am 12.12.2024.