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Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897.

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und namentlich gegen die geistlichen Fürsten zu den Waffen
griffen. So entstand der blutige, von schrecklichen Verwüst-
ungen begleitete Bauernaufstand, der 100 000 Menschenleben
kostete. Die Zeitgenossen erklärten ihn als eine Frucht der luthe-
rischen Lehre, worüber Luther selbst bittere Klage führt.
"Heutzutage wird uns alles Unglück beigemessen, das in der
Welt geschieht, und wir leiden daher die allerempfindlichste
Schmach und Vorwurf. Hätte er das Papsttum zufrieden
gelassen, so sprechen sie, wären vielleicht nicht soviele Ketzer
aufgestanden, vielleicht wäre auch der Bauernaufstand
nicht geschehen. Aber an wem liegt die Schuld? Wenn sie
von uns ausgehen, so geht es niemals ohne Tumult ab;
Thomas Münzer war unter uns. Da er aber wollte klug
sein und von uns ausging, wurde er ein Anstifter des Auf-
ruhrs, und seine Spiesgesellen kamen in diese Stadt (Witten-
berg) und setzten alles in Unruhe. Wenn die Buben mit einem
neuen Evangelium kommen, so muß solches Unglück daraus
folgen. Jch sehe dieses Unglück und seufze darüber1)." Luthers
Urteil war nur zu wahr, aber er dachte nicht daran, daß er
selbst mit einem neuen Evangelium von der Kirche ausge-
gangen war.

Ein Bericht des Gesandten Balth. Wolf von Wolfenthal
an den Kurfürsten von Sachsen, datirt Wörth den 5. Mai
1525, meldet, daß die Bauern dem Pfalzgrafen, Kurfürsten,
den Bischöfen von Bamberg, Würzburg und Eichstädt, Städte
und Flecken eingenommen und zum Teil verbrannt hätten.
"Sie mißbrauchen das hl. Evangelium schändlich.
Es geht dann Martin Luther fast übel; er wird

1) Luthers Werke. Hall. IX, 961. Cf. K. A. Menzel, Neuere
Gesch. der Deutschen I, 214.
Diefenbach, Reformation oder Revolution? 2

und namentlich gegen die geiſtlichen Fürſten zu den Waffen
griffen. So entſtand der blutige, von ſchrecklichen Verwüſt-
ungen begleitete Bauernaufſtand, der 100 000 Menſchenleben
koſtete. Die Zeitgenoſſen erklärten ihn als eine Frucht der luthe-
riſchen Lehre, worüber Luther ſelbſt bittere Klage führt.
„Heutzutage wird uns alles Unglück beigemeſſen, das in der
Welt geſchieht, und wir leiden daher die allerempfindlichſte
Schmach und Vorwurf. Hätte er das Papſttum zufrieden
gelaſſen, ſo ſprechen ſie, wären vielleicht nicht ſoviele Ketzer
aufgeſtanden, vielleicht wäre auch der Bauernaufſtand
nicht geſchehen. Aber an wem liegt die Schuld? Wenn ſie
von uns ausgehen, ſo geht es niemals ohne Tumult ab;
Thomas Münzer war unter uns. Da er aber wollte klug
ſein und von uns ausging, wurde er ein Anſtifter des Auf-
ruhrs, und ſeine Spiesgeſellen kamen in dieſe Stadt (Witten-
berg) und ſetzten alles in Unruhe. Wenn die Buben mit einem
neuen Evangelium kommen, ſo muß ſolches Unglück daraus
folgen. Jch ſehe dieſes Unglück und ſeufze darüber1).‟ Luthers
Urteil war nur zu wahr, aber er dachte nicht daran, daß er
ſelbſt mit einem neuen Evangelium von der Kirche ausge-
gangen war.

Ein Bericht des Geſandten Balth. Wolf von Wolfenthal
an den Kurfürſten von Sachſen, datirt Wörth den 5. Mai
1525, meldet, daß die Bauern dem Pfalzgrafen, Kurfürſten,
den Biſchöfen von Bamberg, Würzburg und Eichſtädt, Städte
und Flecken eingenommen und zum Teil verbrannt hätten.
„Sie mißbrauchen das hl. Evangelium ſchändlich.
Es geht dann Martin Luther faſt übel; er wird

1) Luthers Werke. Hall. IX, 961. Cf. K. A. Menzel, Neuere
Geſch. der Deutſchen I, 214.
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[17/0029] und namentlich gegen die geiſtlichen Fürſten zu den Waffen griffen. So entſtand der blutige, von ſchrecklichen Verwüſt- ungen begleitete Bauernaufſtand, der 100 000 Menſchenleben koſtete. Die Zeitgenoſſen erklärten ihn als eine Frucht der luthe- riſchen Lehre, worüber Luther ſelbſt bittere Klage führt. „Heutzutage wird uns alles Unglück beigemeſſen, das in der Welt geſchieht, und wir leiden daher die allerempfindlichſte Schmach und Vorwurf. Hätte er das Papſttum zufrieden gelaſſen, ſo ſprechen ſie, wären vielleicht nicht ſoviele Ketzer aufgeſtanden, vielleicht wäre auch der Bauernaufſtand nicht geſchehen. Aber an wem liegt die Schuld? Wenn ſie von uns ausgehen, ſo geht es niemals ohne Tumult ab; Thomas Münzer war unter uns. Da er aber wollte klug ſein und von uns ausging, wurde er ein Anſtifter des Auf- ruhrs, und ſeine Spiesgeſellen kamen in dieſe Stadt (Witten- berg) und ſetzten alles in Unruhe. Wenn die Buben mit einem neuen Evangelium kommen, ſo muß ſolches Unglück daraus folgen. Jch ſehe dieſes Unglück und ſeufze darüber 1).‟ Luthers Urteil war nur zu wahr, aber er dachte nicht daran, daß er ſelbſt mit einem neuen Evangelium von der Kirche ausge- gangen war. Ein Bericht des Geſandten Balth. Wolf von Wolfenthal an den Kurfürſten von Sachſen, datirt Wörth den 5. Mai 1525, meldet, daß die Bauern dem Pfalzgrafen, Kurfürſten, den Biſchöfen von Bamberg, Würzburg und Eichſtädt, Städte und Flecken eingenommen und zum Teil verbrannt hätten. „Sie mißbrauchen das hl. Evangelium ſchändlich. Es geht dann Martin Luther faſt übel; er wird 1) Luthers Werke. Hall. IX, 961. Cf. K. A. Menzel, Neuere Geſch. der Deutſchen I, 214. Diefenbach, Reformation oder Revolution? 2

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Zitationshilfe: Diefenbach, Johann: Reformation oder Revolution. Mainz, 1897, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/diefenbach_reformation_1897/29>, abgerufen am 24.11.2024.