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Delbrück, Berthold: Die neueste Sprachforschung. Betrachtungen über Georg Curtius Schrift zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885.

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nehme ebenso wie d'Ovidio und Curtius an, dass sicher be-
treffs der Suffixe, z. B. des i des Locativs, ein Gefühl für die
Bedeutung vorhanden war und in entsprechenden Fällen
noch ist. Ich hätte sagen sollen, mir sei nicht bewiesen,
dass ein Laut deswegen geschont würde, weil er als Trä-
ger der Bedeutung empfunden sei. Sehen wir doch, dass
z. B. die Personalendungen des Verbums, die sicher be-
deutungstragend sind, den Auslautgesetzen gerade so wie
die übrigen auslautenden Silben verfallen. Der zweite Theil
meiner Ausführung ("denn auch ihnen" u. s. w.) steht nicht
an der richtigen Stelle, enthält aber eine wie ich glaube
richtige Polemik gegen Ansichten, wie sie öfter in den
Schriften von Curtius und auch in der hier besprochenen
S. 67 hervortreten, wo es heisst: "es scheint mir gänzlich
unglaublich, dass die Sprachen schon in den frühesten Zei-
ten ihrer Feststellung, das ist in jener Periode, die W. v.
Humboldt die der Organisation nennt, von den kaum ge-
schaffenen, und wie wir vermuthen dürfen, frisch und leb-
haft im Gedächtniss festgehaltenen Formen aus gleich wieder
abgeirrt und ins Schwanken gerathen seien, dass die Men-
schen, durch den Dämmerschein beliebiger Aehnlichkeiten
verführt, das eben hervorgebrachte Sprachgut gleich massen-
haft durch Angleichungen und Nachbildungen verdunkelt
und gleichsam verdorben hätten." Hier kann ich nicht
folgen. Nach meiner Meinung können die Sprechenden
kein Bewusstsein davon haben, ob eine Form vor tausend
oder hundert Jahren geschaffen ist, und behandeln die letz-
tere nicht anders als die erstere. Dabei leugne ich nicht,
dass in den alten Sprachen Analogiebildungen verhältniss-
mässig seltner sind, als in manchen modernen, leite dies
aber daraus ab, dass die alten Sprachen uns wesentlich in
der Gestalt von Schriftsprachen überliefert sind. Die Schrift
ist es, welche die Formen erhält, denn sie stellt einen

nehme ebenso wie d'Ovidio und Curtius an, dass sicher be-
treffs der Suffixe, z. B. des i des Locativs, ein Gefühl für die
Bedeutung vorhanden war und in entsprechenden Fällen
noch ist. Ich hätte sagen sollen, mir sei nicht bewiesen,
dass ein Laut deswegen geschont würde, weil er als Trä-
ger der Bedeutung empfunden sei. Sehen wir doch, dass
z. B. die Personalendungen des Verbums, die sicher be-
deutungstragend sind, den Auslautgesetzen gerade so wie
die übrigen auslautenden Silben verfallen. Der zweite Theil
meiner Ausführung («denn auch ihnen« u. s. w.) steht nicht
an der richtigen Stelle, enthält aber eine wie ich glaube
richtige Polemik gegen Ansichten, wie sie öfter in den
Schriften von Curtius und auch in der hier besprochenen
S. 67 hervortreten, wo es heisst: »es scheint mir gänzlich
unglaublich, dass die Sprachen schon in den frühesten Zei-
ten ihrer Feststellung, das ist in jener Periode, die W. v.
Humboldt die der Organisation nennt, von den kaum ge-
schaffenen, und wie wir vermuthen dürfen, frisch und leb-
haft im Gedächtniss festgehaltenen Formen aus gleich wieder
abgeirrt und ins Schwanken gerathen seien, dass die Men-
schen, durch den Dämmerschein beliebiger Aehnlichkeiten
verführt, das eben hervorgebrachte Sprachgut gleich massen-
haft durch Angleichungen und Nachbildungen verdunkelt
und gleichsam verdorben hätten.« Hier kann ich nicht
folgen. Nach meiner Meinung können die Sprechenden
kein Bewusstsein davon haben, ob eine Form vor tausend
oder hundert Jahren geschaffen ist, und behandeln die letz-
tere nicht anders als die erstere. Dabei leugne ich nicht,
dass in den alten Sprachen Analogiebildungen verhältniss-
mässig seltner sind, als in manchen modernen, leite dies
aber daraus ab, dass die alten Sprachen uns wesentlich in
der Gestalt von Schriftsprachen überliefert sind. Die Schrift
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[26/0031] nehme ebenso wie d'Ovidio und Curtius an, dass sicher be- treffs der Suffixe, z. B. des i des Locativs, ein Gefühl für die Bedeutung vorhanden war und in entsprechenden Fällen noch ist. Ich hätte sagen sollen, mir sei nicht bewiesen, dass ein Laut deswegen geschont würde, weil er als Trä- ger der Bedeutung empfunden sei. Sehen wir doch, dass z. B. die Personalendungen des Verbums, die sicher be- deutungstragend sind, den Auslautgesetzen gerade so wie die übrigen auslautenden Silben verfallen. Der zweite Theil meiner Ausführung («denn auch ihnen« u. s. w.) steht nicht an der richtigen Stelle, enthält aber eine wie ich glaube richtige Polemik gegen Ansichten, wie sie öfter in den Schriften von Curtius und auch in der hier besprochenen S. 67 hervortreten, wo es heisst: »es scheint mir gänzlich unglaublich, dass die Sprachen schon in den frühesten Zei- ten ihrer Feststellung, das ist in jener Periode, die W. v. Humboldt die der Organisation nennt, von den kaum ge- schaffenen, und wie wir vermuthen dürfen, frisch und leb- haft im Gedächtniss festgehaltenen Formen aus gleich wieder abgeirrt und ins Schwanken gerathen seien, dass die Men- schen, durch den Dämmerschein beliebiger Aehnlichkeiten verführt, das eben hervorgebrachte Sprachgut gleich massen- haft durch Angleichungen und Nachbildungen verdunkelt und gleichsam verdorben hätten.« Hier kann ich nicht folgen. Nach meiner Meinung können die Sprechenden kein Bewusstsein davon haben, ob eine Form vor tausend oder hundert Jahren geschaffen ist, und behandeln die letz- tere nicht anders als die erstere. Dabei leugne ich nicht, dass in den alten Sprachen Analogiebildungen verhältniss- mässig seltner sind, als in manchen modernen, leite dies aber daraus ab, dass die alten Sprachen uns wesentlich in der Gestalt von Schriftsprachen überliefert sind. Die Schrift ist es, welche die Formen erhält, denn sie stellt einen

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Zitationshilfe: Delbrück, Berthold: Die neueste Sprachforschung. Betrachtungen über Georg Curtius Schrift zur Kritik der neuesten Sprachforschung. Leipzig, 1885, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/delbrueck_sprachforschung_1885/31>, abgerufen am 21.11.2024.