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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Historische Betrachtungen über die Kunst im Elsaß
Ulm und Johannes Hültz von Köln erfanden und vollendeten
den Turm; Jakob von Landshut errichtete den prachtvollen
Vorbau am nördlichen Querschiff; der Bau in Thann stand fort-
laufend in engstem Zusammenhang mit der schwäbischen Schule.

Ich wiederhole: von Beziehungen zu Frankreich nicht die
leiseste Spur. Dies ist auch sehr begreiflich, da sich zwischen
das Elsaß und Frankreich eine dritte, stärkere Kunstmacht damals
eingeschoben hatte, die burgundisch-niederländische. Der Hof in
Dijon war einer der Brennpunkte der neuen Bewegung. Hier
wirkte Klaus Slüter, der Donatello des Nordens, nach heutigem
Urteil kein Kleinerer als der Florentiner. Wie nahe lag Dijon,
wie weit Ulm! Die elsässische Kunst war vor die Möglichkeit
einer großen Entscheidung gestellt. Aber die Westgrenze war für
sie um diese Zeit nun einmal etwas Unübersteigliches. Es ist
für die Kunstgeschichte ein höchst schmerzlicher Verlust, daß
der Bestand elsässischer Plastik und Malerei des 15. Jahrhunderts
durch die Achtlosigkeit späterer Zeiten sich auf ein Minimum redu-
ziert hat; über die Hauptrichtungen werden wir uns schwerlich
täuschen. Was wir sehen, ist dieses: Die Elsässer sind von Natur
konservativ, aber sie waren es damals doch nicht so sehr, um
gegen die Weckrufe der neuen Zeit, die am vernehmlichsten aus
den Niederlanden herkamen, taub zu bleiben. Aus der eben ein-
geschlagenen Bahn, Hand in Hand mit den Schwaben, haben sie
sich dadurch nicht weglocken lassen. Vereinzelt hören wir einmal,
daß ein Maler in Schlettstadt geheißen wurde, gewisse Fresken
in Dijon sich zum Vorbild zu nehmen. Wichtiger waren allem
Anschein nach die Lehren, die es vom Schwaben Konrad Witz
erhielt. Dieser war einer der ersten Deutschen, die die nieder-
ländische Kunst an der Quelle kennen gelernt haben. Später hatte
er seinen Sitz in Basel, das man kunstgeschichtlich überhaupt
vom Elsaß nicht trennen kann. Dann ist in den 60er Jahren ein
wandernder Niederländer eine Zeitlang in Straßburg seßhaft
gewesen, der ausgezeichnete Bildhauer Nikolas von Leiden; er
zog später nach Wien, wo er für den Kaiser und seine Gemahlin
glänzende Grabdenkmäler ausführte. In Straßburg war er am
Schmuck des Rathauses beschäftigt gewesen; der einzige Überrest

Historische Betrachtungen über die Kunst im Elsaß
Ulm und Johannes Hültz von Köln erfanden und vollendeten
den Turm; Jakob von Landshut errichtete den prachtvollen
Vorbau am nördlichen Querschiff; der Bau in Thann stand fort-
laufend in engstem Zusammenhang mit der schwäbischen Schule.

Ich wiederhole: von Beziehungen zu Frankreich nicht die
leiseste Spur. Dies ist auch sehr begreiflich, da sich zwischen
das Elsaß und Frankreich eine dritte, stärkere Kunstmacht damals
eingeschoben hatte, die burgundisch-niederländische. Der Hof in
Dijon war einer der Brennpunkte der neuen Bewegung. Hier
wirkte Klaus Slüter, der Donatello des Nordens, nach heutigem
Urteil kein Kleinerer als der Florentiner. Wie nahe lag Dijon,
wie weit Ulm! Die elsässische Kunst war vor die Möglichkeit
einer großen Entscheidung gestellt. Aber die Westgrenze war für
sie um diese Zeit nun einmal etwas Unübersteigliches. Es ist
für die Kunstgeschichte ein höchst schmerzlicher Verlust, daß
der Bestand elsässischer Plastik und Malerei des 15. Jahrhunderts
durch die Achtlosigkeit späterer Zeiten sich auf ein Minimum redu-
ziert hat; über die Hauptrichtungen werden wir uns schwerlich
täuschen. Was wir sehen, ist dieses: Die Elsässer sind von Natur
konservativ, aber sie waren es damals doch nicht so sehr, um
gegen die Weckrufe der neuen Zeit, die am vernehmlichsten aus
den Niederlanden herkamen, taub zu bleiben. Aus der eben ein-
geschlagenen Bahn, Hand in Hand mit den Schwaben, haben sie
sich dadurch nicht weglocken lassen. Vereinzelt hören wir einmal,
daß ein Maler in Schlettstadt geheißen wurde, gewisse Fresken
in Dijon sich zum Vorbild zu nehmen. Wichtiger waren allem
Anschein nach die Lehren, die es vom Schwaben Konrad Witz
erhielt. Dieser war einer der ersten Deutschen, die die nieder-
ländische Kunst an der Quelle kennen gelernt haben. Später hatte
er seinen Sitz in Basel, das man kunstgeschichtlich überhaupt
vom Elsaß nicht trennen kann. Dann ist in den 60er Jahren ein
wandernder Niederländer eine Zeitlang in Straßburg seßhaft
gewesen, der ausgezeichnete Bildhauer Nikolas von Leiden; er
zog später nach Wien, wo er für den Kaiser und seine Gemahlin
glänzende Grabdenkmäler ausführte. In Straßburg war er am
Schmuck des Rathauses beschäftigt gewesen; der einzige Überrest

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[85/0099] Historische Betrachtungen über die Kunst im Elsaß Ulm und Johannes Hültz von Köln erfanden und vollendeten den Turm; Jakob von Landshut errichtete den prachtvollen Vorbau am nördlichen Querschiff; der Bau in Thann stand fort- laufend in engstem Zusammenhang mit der schwäbischen Schule. Ich wiederhole: von Beziehungen zu Frankreich nicht die leiseste Spur. Dies ist auch sehr begreiflich, da sich zwischen das Elsaß und Frankreich eine dritte, stärkere Kunstmacht damals eingeschoben hatte, die burgundisch-niederländische. Der Hof in Dijon war einer der Brennpunkte der neuen Bewegung. Hier wirkte Klaus Slüter, der Donatello des Nordens, nach heutigem Urteil kein Kleinerer als der Florentiner. Wie nahe lag Dijon, wie weit Ulm! Die elsässische Kunst war vor die Möglichkeit einer großen Entscheidung gestellt. Aber die Westgrenze war für sie um diese Zeit nun einmal etwas Unübersteigliches. Es ist für die Kunstgeschichte ein höchst schmerzlicher Verlust, daß der Bestand elsässischer Plastik und Malerei des 15. Jahrhunderts durch die Achtlosigkeit späterer Zeiten sich auf ein Minimum redu- ziert hat; über die Hauptrichtungen werden wir uns schwerlich täuschen. Was wir sehen, ist dieses: Die Elsässer sind von Natur konservativ, aber sie waren es damals doch nicht so sehr, um gegen die Weckrufe der neuen Zeit, die am vernehmlichsten aus den Niederlanden herkamen, taub zu bleiben. Aus der eben ein- geschlagenen Bahn, Hand in Hand mit den Schwaben, haben sie sich dadurch nicht weglocken lassen. Vereinzelt hören wir einmal, daß ein Maler in Schlettstadt geheißen wurde, gewisse Fresken in Dijon sich zum Vorbild zu nehmen. Wichtiger waren allem Anschein nach die Lehren, die es vom Schwaben Konrad Witz erhielt. Dieser war einer der ersten Deutschen, die die nieder- ländische Kunst an der Quelle kennen gelernt haben. Später hatte er seinen Sitz in Basel, das man kunstgeschichtlich überhaupt vom Elsaß nicht trennen kann. Dann ist in den 60er Jahren ein wandernder Niederländer eine Zeitlang in Straßburg seßhaft gewesen, der ausgezeichnete Bildhauer Nikolas von Leiden; er zog später nach Wien, wo er für den Kaiser und seine Gemahlin glänzende Grabdenkmäler ausführte. In Straßburg war er am Schmuck des Rathauses beschäftigt gewesen; der einzige Überrest

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/99>, abgerufen am 24.11.2024.