Die Redner der Historikertage wählen sich ihre Gegenstände ohne Rücksicht auf den zufälligen Ort der Zusammenkunft; nur einer von ihnen soll eine Ausnahme machen, er soll dem Genius loci die Huldigung bringen.
Was ich in diesem Sinne anzubieten habe, sind historische Erwägungen auf Grund kunsthistorischen Materials. Ich werde von Kunst, aber ich werde von ihr nicht um ihrer selbst willen reden; wir wollen sie als einen Spiegel befragen, der auch Züge des allgemeinen geschichtlichen Lebens auffängt und zurückwirft, -- hier im Elsaß, wie mich dünkt, mit einer vielsagenden Deutlich- keit, wie anderswo nicht oft.
In ihrer konkreten Erscheinung in der Geschichte wird die Kunst überall durch eine doppelte Tendenz bewegt. Insofern sie idealisierende Selbstdarstellung der sie hervorbringenden Menschen ist, wird sie bestrebt sein, sich abzuschließen, sich un- vermischt zu halten; dann aber will sie auch einem allgemeinen Vollkommenheitsideal sich nähern, und dies treibt sie, sich zu öffnen, mit den Erfahrungen und Errungenschaften der Nachbarn sich auseinanderzusetzen. Niemals herrscht eine dieser beiden Tendenzen allein, aber in ihrer verhältnismäßigen Stärke sind sie verschieden von Fall zu Fall. In der elsässischen Kunstgeschichte steht in naher Beziehung zu ihnen eine äußere Bedingung, die stets unverändert geblieben ist: von der karolingischen Zeit ab fiel die politische Westgrenze des Elsaß mit der deutsch-romanischen Sprachgrenze zusammen; ja auch die Südgrenze ist Auslands- grenze, insofern als etwa aus Italien kommende Einströmungen hier zuerst deutschen Boden erreichten.
Was hat nun diese Grenzlage für die Kunst des Elsaß in der Geschichte bedeutet? Haben die Elsässer ein besonders offenes Organ für das Fremde besessen, einen besonderen Eifer, es sich anzueignen? Ist hier vielleicht eine germanisch-romanische Misch- und Übergangskunst entstanden? Oder ist zum mindesten in jenen Epochen, in denen auch das ganze übrige Deutschland der Aufnahme westlicher Kultur- und Kunstformen sich geneigt zeigte, dem Elsaß eine bedeutende Vermittlerrolle zugekommen?
Die Redner der Historikertage wählen sich ihre Gegenstände ohne Rücksicht auf den zufälligen Ort der Zusammenkunft; nur einer von ihnen soll eine Ausnahme machen, er soll dem Genius loci die Huldigung bringen.
Was ich in diesem Sinne anzubieten habe, sind historische Erwägungen auf Grund kunsthistorischen Materials. Ich werde von Kunst, aber ich werde von ihr nicht um ihrer selbst willen reden; wir wollen sie als einen Spiegel befragen, der auch Züge des allgemeinen geschichtlichen Lebens auffängt und zurückwirft, — hier im Elsaß, wie mich dünkt, mit einer vielsagenden Deutlich- keit, wie anderswo nicht oft.
In ihrer konkreten Erscheinung in der Geschichte wird die Kunst überall durch eine doppelte Tendenz bewegt. Insofern sie idealisierende Selbstdarstellung der sie hervorbringenden Menschen ist, wird sie bestrebt sein, sich abzuschließen, sich un- vermischt zu halten; dann aber will sie auch einem allgemeinen Vollkommenheitsideal sich nähern, und dies treibt sie, sich zu öffnen, mit den Erfahrungen und Errungenschaften der Nachbarn sich auseinanderzusetzen. Niemals herrscht eine dieser beiden Tendenzen allein, aber in ihrer verhältnismäßigen Stärke sind sie verschieden von Fall zu Fall. In der elsässischen Kunstgeschichte steht in naher Beziehung zu ihnen eine äußere Bedingung, die stets unverändert geblieben ist: von der karolingischen Zeit ab fiel die politische Westgrenze des Elsaß mit der deutsch-romanischen Sprachgrenze zusammen; ja auch die Südgrenze ist Auslands- grenze, insofern als etwa aus Italien kommende Einströmungen hier zuerst deutschen Boden erreichten.
Was hat nun diese Grenzlage für die Kunst des Elsaß in der Geschichte bedeutet? Haben die Elsässer ein besonders offenes Organ für das Fremde besessen, einen besonderen Eifer, es sich anzueignen? Ist hier vielleicht eine germanisch-romanische Misch- und Übergangskunst entstanden? Oder ist zum mindesten in jenen Epochen, in denen auch das ganze übrige Deutschland der Aufnahme westlicher Kultur- und Kunstformen sich geneigt zeigte, dem Elsaß eine bedeutende Vermittlerrolle zugekommen?
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Die Redner der Historikertage wählen sich ihre
Gegenstände ohne Rücksicht auf den zufälligen Ort
der Zusammenkunft; nur einer von ihnen soll
eine Ausnahme machen, er soll dem Genius loci die
Huldigung bringen.
Was ich in diesem Sinne anzubieten habe, sind historische
Erwägungen auf Grund kunsthistorischen Materials. Ich werde
von Kunst, aber ich werde von ihr nicht um ihrer selbst willen
reden; wir wollen sie als einen Spiegel befragen, der auch Züge
des allgemeinen geschichtlichen Lebens auffängt und zurückwirft,
— hier im Elsaß, wie mich dünkt, mit einer vielsagenden Deutlich-
keit, wie anderswo nicht oft.
In ihrer konkreten Erscheinung in der Geschichte wird die
Kunst überall durch eine doppelte Tendenz bewegt. Insofern
sie idealisierende Selbstdarstellung der sie hervorbringenden
Menschen ist, wird sie bestrebt sein, sich abzuschließen, sich un-
vermischt zu halten; dann aber will sie auch einem allgemeinen
Vollkommenheitsideal sich nähern, und dies treibt sie, sich zu
öffnen, mit den Erfahrungen und Errungenschaften der Nachbarn
sich auseinanderzusetzen. Niemals herrscht eine dieser beiden
Tendenzen allein, aber in ihrer verhältnismäßigen Stärke sind
sie verschieden von Fall zu Fall. In der elsässischen Kunstgeschichte
steht in naher Beziehung zu ihnen eine äußere Bedingung, die stets
unverändert geblieben ist: von der karolingischen Zeit ab fiel
die politische Westgrenze des Elsaß mit der deutsch-romanischen
Sprachgrenze zusammen; ja auch die Südgrenze ist Auslands-
grenze, insofern als etwa aus Italien kommende Einströmungen
hier zuerst deutschen Boden erreichten.
Was hat nun diese Grenzlage für die Kunst des Elsaß in der
Geschichte bedeutet? Haben die Elsässer ein besonders offenes
Organ für das Fremde besessen, einen besonderen Eifer, es sich
anzueignen? Ist hier vielleicht eine germanisch-romanische Misch-
und Übergangskunst entstanden? Oder ist zum mindesten in
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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. [77]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/91>, abgerufen am 24.11.2024.
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