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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Es mag erlaubt sein, an dieser Stelle, wo regelmäßig
über neuerschienene Bücher Bericht erstattet
wird, einmal auch von einem Buche zu sprechen,
das wir nicht haben, aber haben sollten.

Auf dem Titel dieses Buches würde stehen:
"Geschichte der deutschen Kunst." Warum hat die deutsche
Kunstwissenschaft, der man Regsamkeit gewiß nicht wird ab-
sprechen können, eben dieses Buch, von dem man unbefangen
meinen müßte, es sei das begehrteste unter allen denkbaren,
noch nicht hervorgebracht? noch kein Buch, in dem die deutsche
Kunst als historisches Ganzes erfaßt und dargestellt wird?

Das vor 20 Jahren im Verlage der G. Groteschen Buch-
handlung in Berlin herausgegebene bekannte fünfbändige Werk
trug zwar den vermißten Titel "Geschichte der deutschen Kunst",
und es war ohne Zweifel auch ein gutes Buch; aber, was der Titel
verhieß, eine einheitliche Geschichtsdarstellung war es doch wohl
nicht. Von fünf Verfassern (Dohme, Bode, Janitschek, Lützow, Falke)
wurde in fünf Sonderbüchern Baukunst, Bildhauerkunst, Malerei,
Holzschnitt und Kupferstich, Kunstgewerbe jedes für sich vorge-
tragen -- und dem Nachdenken des Lesers blieb das Letzte, Beste
und Schwerste überlassen, die Erkenntnis dessen, was über den
fünf Stücken als Einheit walte. Es ist retrospektiv von Interesse,
in der Vorrede (von Dohme) die Rechtfertigung dieses Verfahrens
nachzulesen. "Seit Schnaases grundlegender Arbeit ist es in der
Kunstgeschichte vielfach beliebt, die sachliche Nüchternheit
fachmännischer Erörterungen durch Einschiebung allgemeiner
kulturgeschichtlicher Exkurse zu würzen. Derartige Hintergrund-
stimmung aber ist unvermeidlich einseitig auf das jedesmalige
besondere Bedürfnis der Autoren getönt, wenn sie nicht einfach
als entbehrliches Ornament auftritt. Denn in erster Linie muß die
Entwicklung jedes Kunstzweiges aus sich selbst, d. h. aus den jedes-
maligen technischen und künstlerischen Voraussetzungen heraus er-
faßt werden." Worauf ich damals in meiner Anzeige erwiderte: "Diese
Beschränkung ist gegenüber den "kulturhistorischen" Plattheiten
und verschwimmenden Allgemeinheiten eine gesunde Reaktion.
Aber eine Beschränkung bleibt es. Was Dohme vollkommen richtig

Es mag erlaubt sein, an dieser Stelle, wo regelmäßig
über neuerschienene Bücher Bericht erstattet
wird, einmal auch von einem Buche zu sprechen,
das wir nicht haben, aber haben sollten.

Auf dem Titel dieses Buches würde stehen:
»Geschichte der deutschen Kunst.« Warum hat die deutsche
Kunstwissenschaft, der man Regsamkeit gewiß nicht wird ab-
sprechen können, eben dieses Buch, von dem man unbefangen
meinen müßte, es sei das begehrteste unter allen denkbaren,
noch nicht hervorgebracht? noch kein Buch, in dem die deutsche
Kunst als historisches Ganzes erfaßt und dargestellt wird?

Das vor 20 Jahren im Verlage der G. Groteschen Buch-
handlung in Berlin herausgegebene bekannte fünfbändige Werk
trug zwar den vermißten Titel »Geschichte der deutschen Kunst«,
und es war ohne Zweifel auch ein gutes Buch; aber, was der Titel
verhieß, eine einheitliche Geschichtsdarstellung war es doch wohl
nicht. Von fünf Verfassern (Dohme, Bode, Janitschek, Lützow, Falke)
wurde in fünf Sonderbüchern Baukunst, Bildhauerkunst, Malerei,
Holzschnitt und Kupferstich, Kunstgewerbe jedes für sich vorge-
tragen — und dem Nachdenken des Lesers blieb das Letzte, Beste
und Schwerste überlassen, die Erkenntnis dessen, was über den
fünf Stücken als Einheit walte. Es ist retrospektiv von Interesse,
in der Vorrede (von Dohme) die Rechtfertigung dieses Verfahrens
nachzulesen. »Seit Schnaases grundlegender Arbeit ist es in der
Kunstgeschichte vielfach beliebt, die sachliche Nüchternheit
fachmännischer Erörterungen durch Einschiebung allgemeiner
kulturgeschichtlicher Exkurse zu würzen. Derartige Hintergrund-
stimmung aber ist unvermeidlich einseitig auf das jedesmalige
besondere Bedürfnis der Autoren getönt, wenn sie nicht einfach
als entbehrliches Ornament auftritt. Denn in erster Linie muß die
Entwicklung jedes Kunstzweiges aus sich selbst, d. h. aus den jedes-
maligen technischen und künstlerischen Voraussetzungen heraus er-
faßt werden.« Worauf ich damals in meiner Anzeige erwiderte: »Diese
Beschränkung ist gegenüber den »kulturhistorischen« Plattheiten
und verschwimmenden Allgemeinheiten eine gesunde Reaktion.
Aber eine Beschränkung bleibt es. Was Dohme vollkommen richtig

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[[63]/0077] Es mag erlaubt sein, an dieser Stelle, wo regelmäßig über neuerschienene Bücher Bericht erstattet wird, einmal auch von einem Buche zu sprechen, das wir nicht haben, aber haben sollten. Auf dem Titel dieses Buches würde stehen: »Geschichte der deutschen Kunst.« Warum hat die deutsche Kunstwissenschaft, der man Regsamkeit gewiß nicht wird ab- sprechen können, eben dieses Buch, von dem man unbefangen meinen müßte, es sei das begehrteste unter allen denkbaren, noch nicht hervorgebracht? noch kein Buch, in dem die deutsche Kunst als historisches Ganzes erfaßt und dargestellt wird? Das vor 20 Jahren im Verlage der G. Groteschen Buch- handlung in Berlin herausgegebene bekannte fünfbändige Werk trug zwar den vermißten Titel »Geschichte der deutschen Kunst«, und es war ohne Zweifel auch ein gutes Buch; aber, was der Titel verhieß, eine einheitliche Geschichtsdarstellung war es doch wohl nicht. Von fünf Verfassern (Dohme, Bode, Janitschek, Lützow, Falke) wurde in fünf Sonderbüchern Baukunst, Bildhauerkunst, Malerei, Holzschnitt und Kupferstich, Kunstgewerbe jedes für sich vorge- tragen — und dem Nachdenken des Lesers blieb das Letzte, Beste und Schwerste überlassen, die Erkenntnis dessen, was über den fünf Stücken als Einheit walte. Es ist retrospektiv von Interesse, in der Vorrede (von Dohme) die Rechtfertigung dieses Verfahrens nachzulesen. »Seit Schnaases grundlegender Arbeit ist es in der Kunstgeschichte vielfach beliebt, die sachliche Nüchternheit fachmännischer Erörterungen durch Einschiebung allgemeiner kulturgeschichtlicher Exkurse zu würzen. Derartige Hintergrund- stimmung aber ist unvermeidlich einseitig auf das jedesmalige besondere Bedürfnis der Autoren getönt, wenn sie nicht einfach als entbehrliches Ornament auftritt. Denn in erster Linie muß die Entwicklung jedes Kunstzweiges aus sich selbst, d. h. aus den jedes- maligen technischen und künstlerischen Voraussetzungen heraus er- faßt werden.« Worauf ich damals in meiner Anzeige erwiderte: »Diese Beschränkung ist gegenüber den »kulturhistorischen« Plattheiten und verschwimmenden Allgemeinheiten eine gesunde Reaktion. Aber eine Beschränkung bleibt es. Was Dohme vollkommen richtig

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. [63]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/77>, abgerufen am 24.11.2024.