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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Die Kunst des Mittelalters
langsam schärfte. Daneben bestand als zweite Hauptgattung die
den Holzschnitzern zufallende Altarplastik. Ihre Blütezeit kam
jedoch erst später.

Nach Ablauf des 14. Jahrhunderts ist überall in Europa
der künstlerische Geist des Mittelalters am Ende seiner Zeugungs-
kraft angelangt. Die Kraft zur Verjüngung ist aber nicht überall
die gleiche. Auf den Verlauf und die Charakterbildung der mittel-
alterlichen Kunst hatten Deutschland und Frankreich den am
meisten bestimmenden Einfluß gehabt; der werdenden Kunst
der Neuzeit trugen die Niederlande und Italien die Fackel voraus.



Die Bildkunst hatte mit der Darstellung einer idealen Welt
begonnen, die mit der wirklichen weder in der Form noch im
Inhalt zusammenhing, deren Sinn und Bedeutung dem Volk
nur langsam sich erschloß. Der Zusammenhang der Kunst mit
dem praktischen Leben wird durch das Kunstgewerbe
dargestellt. Es hat sich in allen Epochen des Mittelalters größter
Wertschätzung und ununterbrochen hoher Blüte erfreut. Es
hat am meisten volkstümliche Elemente in sich aufgenommen.
In der Stammeszeit war es schlechthin die Kunst gewesen.
Das christliche Zeitalter wußte auch die altgermanische Freude
an kunstvoll bearbeiteten Edelmaterialien auf den kirchlichen
Zweck hinzulenken. Als liturgisches Prachtgerät und Priester-
ornat fanden die Kleinkünste ihre würdigste Verwendung. War
doch das ganze Kirchengebäude nur Rahmen für das glänzende
Bild des Altardienstes.

Das Kunstgewerbe, technisch in eine Menge von Gattungen
gespalten, steht ästhetisch unter demselben Grundgesetze wie
die Architektur und ist auch historisch mit deren Stilentwicklung
eng verbunden, nur daß das Verhältnis von Geben und Nehmen
ein anderes auf den primitiven als auf den hochentwickelten
Kunststufen ist. In der frühromanischen Epoche arbeitete das
Kunstgewerbe der Architektur vor in der Schaffung ornamen-
taler Motive, in der gotischen wurden selbst in dieser Welt des
Kleinen die Strukturformen der Architektur repetiert, natürlich auf

Die Kunst des Mittelalters
langsam schärfte. Daneben bestand als zweite Hauptgattung die
den Holzschnitzern zufallende Altarplastik. Ihre Blütezeit kam
jedoch erst später.

Nach Ablauf des 14. Jahrhunderts ist überall in Europa
der künstlerische Geist des Mittelalters am Ende seiner Zeugungs-
kraft angelangt. Die Kraft zur Verjüngung ist aber nicht überall
die gleiche. Auf den Verlauf und die Charakterbildung der mittel-
alterlichen Kunst hatten Deutschland und Frankreich den am
meisten bestimmenden Einfluß gehabt; der werdenden Kunst
der Neuzeit trugen die Niederlande und Italien die Fackel voraus.



Die Bildkunst hatte mit der Darstellung einer idealen Welt
begonnen, die mit der wirklichen weder in der Form noch im
Inhalt zusammenhing, deren Sinn und Bedeutung dem Volk
nur langsam sich erschloß. Der Zusammenhang der Kunst mit
dem praktischen Leben wird durch das Kunstgewerbe
dargestellt. Es hat sich in allen Epochen des Mittelalters größter
Wertschätzung und ununterbrochen hoher Blüte erfreut. Es
hat am meisten volkstümliche Elemente in sich aufgenommen.
In der Stammeszeit war es schlechthin die Kunst gewesen.
Das christliche Zeitalter wußte auch die altgermanische Freude
an kunstvoll bearbeiteten Edelmaterialien auf den kirchlichen
Zweck hinzulenken. Als liturgisches Prachtgerät und Priester-
ornat fanden die Kleinkünste ihre würdigste Verwendung. War
doch das ganze Kirchengebäude nur Rahmen für das glänzende
Bild des Altardienstes.

Das Kunstgewerbe, technisch in eine Menge von Gattungen
gespalten, steht ästhetisch unter demselben Grundgesetze wie
die Architektur und ist auch historisch mit deren Stilentwicklung
eng verbunden, nur daß das Verhältnis von Geben und Nehmen
ein anderes auf den primitiven als auf den hochentwickelten
Kunststufen ist. In der frühromanischen Epoche arbeitete das
Kunstgewerbe der Architektur vor in der Schaffung ornamen-
taler Motive, in der gotischen wurden selbst in dieser Welt des
Kleinen die Strukturformen der Architektur repetiert, natürlich auf

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[47/0061] Die Kunst des Mittelalters langsam schärfte. Daneben bestand als zweite Hauptgattung die den Holzschnitzern zufallende Altarplastik. Ihre Blütezeit kam jedoch erst später. Nach Ablauf des 14. Jahrhunderts ist überall in Europa der künstlerische Geist des Mittelalters am Ende seiner Zeugungs- kraft angelangt. Die Kraft zur Verjüngung ist aber nicht überall die gleiche. Auf den Verlauf und die Charakterbildung der mittel- alterlichen Kunst hatten Deutschland und Frankreich den am meisten bestimmenden Einfluß gehabt; der werdenden Kunst der Neuzeit trugen die Niederlande und Italien die Fackel voraus. Die Bildkunst hatte mit der Darstellung einer idealen Welt begonnen, die mit der wirklichen weder in der Form noch im Inhalt zusammenhing, deren Sinn und Bedeutung dem Volk nur langsam sich erschloß. Der Zusammenhang der Kunst mit dem praktischen Leben wird durch das Kunstgewerbe dargestellt. Es hat sich in allen Epochen des Mittelalters größter Wertschätzung und ununterbrochen hoher Blüte erfreut. Es hat am meisten volkstümliche Elemente in sich aufgenommen. In der Stammeszeit war es schlechthin die Kunst gewesen. Das christliche Zeitalter wußte auch die altgermanische Freude an kunstvoll bearbeiteten Edelmaterialien auf den kirchlichen Zweck hinzulenken. Als liturgisches Prachtgerät und Priester- ornat fanden die Kleinkünste ihre würdigste Verwendung. War doch das ganze Kirchengebäude nur Rahmen für das glänzende Bild des Altardienstes. Das Kunstgewerbe, technisch in eine Menge von Gattungen gespalten, steht ästhetisch unter demselben Grundgesetze wie die Architektur und ist auch historisch mit deren Stilentwicklung eng verbunden, nur daß das Verhältnis von Geben und Nehmen ein anderes auf den primitiven als auf den hochentwickelten Kunststufen ist. In der frühromanischen Epoche arbeitete das Kunstgewerbe der Architektur vor in der Schaffung ornamen- taler Motive, in der gotischen wurden selbst in dieser Welt des Kleinen die Strukturformen der Architektur repetiert, natürlich auf

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/61>, abgerufen am 23.11.2024.