bedeutete. Ein Fortschritt von fleißiger Nachahmung alter Vor- bilder zu stilistischer Selbständigkeit fand in der Miniaturmalerei nur statt, insofern sie eigentlichst Buchschmuck ist; auf der Höhe der romanischen Epoche ist darin Herrliches geleistet; die Probleme aber, welche die Malerei als freie Kunst stellt, rücken, auch wenn sie immer wieder gestreift werden, im ganzen nicht vorwärts.
Auf der Höhe des Mittelalters trat wie in der Baukunst so auch in der Bildkunst ein Stilwechsel ein. Er steht im Zusammen- hang mit Veränderungen tief auf dem Grunde des allgemeinen Bewußtseins. Die Vorherrschaft des asketischen Ideals wurde gebrochen, neben der Kirche erhob die Welt das Haupt, und so fiel jetzt auch die Scheidewand zwischen Kunst und Natur. Nicht als ob auf einen einzigen Schlag die Wandlung vom abstrakten Stilismus zur Einfühlung in die Wirklichkeit sich durchgesetzt hätte. Aber das neue Ziel war erkannt und wurde nicht mehr aus dem Auge verloren. Sehr bezeichnend ist, wie jetzt sofort das Verhältnis zwischen Malerei und Plastik umschlägt. Die Führerin auf dem neuen Wege zur künstlerischen Welterkenntnis wurde die Plastik. Mit gutem Recht, da in ihr das Problem der Form einfacher und klarer gestellt ist. Das Zurückbleiben der Malerei hat aber auch einen äußeren Grund. Er liegt in dem ver- änderten Verhältnis zur Architektur. Schon das letzte Stadium des romanischen Stils, von der Entwicklung des Gewölbebaus ab, hatte durch die stärkere Zerlegung der Flächen die Malerei ins Gedränge gebracht. Vollends nun die gotische Flächennegation zog ihr, soweit sie monumental sein sollte, den Boden unter den Füßen weg. Sie mußte sich in die kleineren Nebenräume und in die architektonisch einfacher behandelten Landkirchen flüchten. So starb die gotische Wandmalerei zwar nicht völlig aus, wurde aber auf eine niedere Stufe herabgedrückt. An ihre Stelle trat in der vornehmen Architektur die Glasmalerei, eine Gattung, die ihren eigenen hohen Wert hat, aber die malerische Aufgabe ganz auf das Dekorative zurückweist, noch viel einseitiger als einst in der romanischen Wandmalerei. Die Glasmalerei ist nach ihrem ganzen Wesen eine Kunst in der Fläche, die Probleme der Körper- und Raumdarstellung konnten durch sie nicht gefördert werden.
Die Kunst des Mittelalters
bedeutete. Ein Fortschritt von fleißiger Nachahmung alter Vor- bilder zu stilistischer Selbständigkeit fand in der Miniaturmalerei nur statt, insofern sie eigentlichst Buchschmuck ist; auf der Höhe der romanischen Epoche ist darin Herrliches geleistet; die Probleme aber, welche die Malerei als freie Kunst stellt, rücken, auch wenn sie immer wieder gestreift werden, im ganzen nicht vorwärts.
Auf der Höhe des Mittelalters trat wie in der Baukunst so auch in der Bildkunst ein Stilwechsel ein. Er steht im Zusammen- hang mit Veränderungen tief auf dem Grunde des allgemeinen Bewußtseins. Die Vorherrschaft des asketischen Ideals wurde gebrochen, neben der Kirche erhob die Welt das Haupt, und so fiel jetzt auch die Scheidewand zwischen Kunst und Natur. Nicht als ob auf einen einzigen Schlag die Wandlung vom abstrakten Stilismus zur Einfühlung in die Wirklichkeit sich durchgesetzt hätte. Aber das neue Ziel war erkannt und wurde nicht mehr aus dem Auge verloren. Sehr bezeichnend ist, wie jetzt sofort das Verhältnis zwischen Malerei und Plastik umschlägt. Die Führerin auf dem neuen Wege zur künstlerischen Welterkenntnis wurde die Plastik. Mit gutem Recht, da in ihr das Problem der Form einfacher und klarer gestellt ist. Das Zurückbleiben der Malerei hat aber auch einen äußeren Grund. Er liegt in dem ver- änderten Verhältnis zur Architektur. Schon das letzte Stadium des romanischen Stils, von der Entwicklung des Gewölbebaus ab, hatte durch die stärkere Zerlegung der Flächen die Malerei ins Gedränge gebracht. Vollends nun die gotische Flächennegation zog ihr, soweit sie monumental sein sollte, den Boden unter den Füßen weg. Sie mußte sich in die kleineren Nebenräume und in die architektonisch einfacher behandelten Landkirchen flüchten. So starb die gotische Wandmalerei zwar nicht völlig aus, wurde aber auf eine niedere Stufe herabgedrückt. An ihre Stelle trat in der vornehmen Architektur die Glasmalerei, eine Gattung, die ihren eigenen hohen Wert hat, aber die malerische Aufgabe ganz auf das Dekorative zurückweist, noch viel einseitiger als einst in der romanischen Wandmalerei. Die Glasmalerei ist nach ihrem ganzen Wesen eine Kunst in der Fläche, die Probleme der Körper- und Raumdarstellung konnten durch sie nicht gefördert werden.
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Die Kunst des Mittelalters
bedeutete. Ein Fortschritt von fleißiger Nachahmung alter Vor-
bilder zu stilistischer Selbständigkeit fand in der Miniaturmalerei
nur statt, insofern sie eigentlichst Buchschmuck ist; auf der Höhe
der romanischen Epoche ist darin Herrliches geleistet; die Probleme
aber, welche die Malerei als freie Kunst stellt, rücken, auch wenn
sie immer wieder gestreift werden, im ganzen nicht vorwärts.
Auf der Höhe des Mittelalters trat wie in der Baukunst so
auch in der Bildkunst ein Stilwechsel ein. Er steht im Zusammen-
hang mit Veränderungen tief auf dem Grunde des allgemeinen
Bewußtseins. Die Vorherrschaft des asketischen Ideals wurde
gebrochen, neben der Kirche erhob die Welt das Haupt, und so
fiel jetzt auch die Scheidewand zwischen Kunst und Natur. Nicht
als ob auf einen einzigen Schlag die Wandlung vom abstrakten
Stilismus zur Einfühlung in die Wirklichkeit sich durchgesetzt
hätte. Aber das neue Ziel war erkannt und wurde nicht mehr
aus dem Auge verloren. Sehr bezeichnend ist, wie jetzt sofort
das Verhältnis zwischen Malerei und Plastik umschlägt. Die
Führerin auf dem neuen Wege zur künstlerischen Welterkenntnis
wurde die Plastik. Mit gutem Recht, da in ihr das Problem der
Form einfacher und klarer gestellt ist. Das Zurückbleiben der
Malerei hat aber auch einen äußeren Grund. Er liegt in dem ver-
änderten Verhältnis zur Architektur. Schon das letzte Stadium
des romanischen Stils, von der Entwicklung des Gewölbebaus ab,
hatte durch die stärkere Zerlegung der Flächen die Malerei ins
Gedränge gebracht. Vollends nun die gotische Flächennegation
zog ihr, soweit sie monumental sein sollte, den Boden unter den
Füßen weg. Sie mußte sich in die kleineren Nebenräume und in
die architektonisch einfacher behandelten Landkirchen flüchten.
So starb die gotische Wandmalerei zwar nicht völlig aus, wurde
aber auf eine niedere Stufe herabgedrückt. An ihre Stelle trat in
der vornehmen Architektur die Glasmalerei, eine Gattung, die
ihren eigenen hohen Wert hat, aber die malerische Aufgabe ganz
auf das Dekorative zurückweist, noch viel einseitiger als einst
in der romanischen Wandmalerei. Die Glasmalerei ist nach ihrem
ganzen Wesen eine Kunst in der Fläche, die Probleme der Körper-
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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/54>, abgerufen am 23.07.2024.
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