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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Zum Gedächtnis
Zurückhaltung, niemals den Versuch gemacht, -- was er durch seine
Berliner Verbindungen leicht hätte erreichen können, -- mit Bis-
marck in persönliche Berührung zu treten. Als ich die einige Zeit
nach seinem Tode von einem Freund veröffentlichte Briefreihe dem
alten Kanzler nach Friedrichsruh schickte, antwortete mir dieser,
Hehns Urteil über ihn sei ihm eine wertvolle Genugtuung, da er
ihn aus seinen Schriften schon seit längerer Zeit schätzen gelernt
habe.

Aus Hehns Kolonistentum erklärt sich weiter die Einsamkeit
seines Lebensweges als Gelehrter wie aus seiner aristokratischen
Grundstimmung seine spröde Zurückhaltung vom literarischen
Markt. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts haben baltische
Gelehrte in beträchtlicher Zahl eine Tätigkeit in Deutschland ge-
funden. Zu Hehns Zeiten wurde daran noch nicht gedacht. Die
wenigen, die es in ihrer Jugend versuchten, wie Karl Ernst v. Baer
und Graf Alexander Keyserling, sind doch bald in die Heimat zu-
rückgekehrt. Das natürliche Arbeitsfeld für uns Kolonisten erschien
damals die Verwaltung des eigenen Landes und für den Überschuß
unserer Kräfte das weite Reich des Ostens, wo wir vom Diplomaten,
General und Akademiker bis zum Apotheker, Gutsverwalter und
Hauslehrer immer ein gesuchter Kulturdünger waren. Diese
Generation war reich an Talenten und es blieben nach allen An-
sprüchen durch das praktische Leben noch viele übrig, die durch
Interesse und Anlage zu idealem Schaffen berufen schienen; aber
nur die wenigsten damals haben es zu rechter Entfaltung ihrer
Kräfte gebracht. Dies Schicksal sah auch Hehn vor sich. Seine
Jugendbriefe sind wahre Angstrufe. Die Sehnsucht nach dem
Westen und Süden im Herzen, sah er sich von der Woge, die ihn
umfangen hielt, immer wieder nach dem Osten getrieben, als Haus-
lehrer nach Wilna, als politischer Verbannter nach Tula, endlich
in ehrenvoller Stellung als kaiserlicher Bibliothekar nach St.
Petersburg. Die erduldeten Leiden hatten die Sprungfedern seiner
zarten Seele nicht gebrochen, aber sicher an manchen Punkten ge-
schwächt. Still und ehrgeizlos saß er unter seinen Bücherschätzen
und baute an seiner Gedankenwelt. Nach Zuschauern für sie be-
gehrte er nicht. Wie er eigentlich keine Lehrer gehabt hat, keiner

Zum Gedächtnis
Zurückhaltung, niemals den Versuch gemacht, — was er durch seine
Berliner Verbindungen leicht hätte erreichen können, — mit Bis-
marck in persönliche Berührung zu treten. Als ich die einige Zeit
nach seinem Tode von einem Freund veröffentlichte Briefreihe dem
alten Kanzler nach Friedrichsruh schickte, antwortete mir dieser,
Hehns Urteil über ihn sei ihm eine wertvolle Genugtuung, da er
ihn aus seinen Schriften schon seit längerer Zeit schätzen gelernt
habe.

Aus Hehns Kolonistentum erklärt sich weiter die Einsamkeit
seines Lebensweges als Gelehrter wie aus seiner aristokratischen
Grundstimmung seine spröde Zurückhaltung vom literarischen
Markt. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts haben baltische
Gelehrte in beträchtlicher Zahl eine Tätigkeit in Deutschland ge-
funden. Zu Hehns Zeiten wurde daran noch nicht gedacht. Die
wenigen, die es in ihrer Jugend versuchten, wie Karl Ernst v. Baer
und Graf Alexander Keyserling, sind doch bald in die Heimat zu-
rückgekehrt. Das natürliche Arbeitsfeld für uns Kolonisten erschien
damals die Verwaltung des eigenen Landes und für den Überschuß
unserer Kräfte das weite Reich des Ostens, wo wir vom Diplomaten,
General und Akademiker bis zum Apotheker, Gutsverwalter und
Hauslehrer immer ein gesuchter Kulturdünger waren. Diese
Generation war reich an Talenten und es blieben nach allen An-
sprüchen durch das praktische Leben noch viele übrig, die durch
Interesse und Anlage zu idealem Schaffen berufen schienen; aber
nur die wenigsten damals haben es zu rechter Entfaltung ihrer
Kräfte gebracht. Dies Schicksal sah auch Hehn vor sich. Seine
Jugendbriefe sind wahre Angstrufe. Die Sehnsucht nach dem
Westen und Süden im Herzen, sah er sich von der Woge, die ihn
umfangen hielt, immer wieder nach dem Osten getrieben, als Haus-
lehrer nach Wilna, als politischer Verbannter nach Tula, endlich
in ehrenvoller Stellung als kaiserlicher Bibliothekar nach St.
Petersburg. Die erduldeten Leiden hatten die Sprungfedern seiner
zarten Seele nicht gebrochen, aber sicher an manchen Punkten ge-
schwächt. Still und ehrgeizlos saß er unter seinen Bücherschätzen
und baute an seiner Gedankenwelt. Nach Zuschauern für sie be-
gehrte er nicht. Wie er eigentlich keine Lehrer gehabt hat, keiner

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[301/0363] Zum Gedächtnis Zurückhaltung, niemals den Versuch gemacht, — was er durch seine Berliner Verbindungen leicht hätte erreichen können, — mit Bis- marck in persönliche Berührung zu treten. Als ich die einige Zeit nach seinem Tode von einem Freund veröffentlichte Briefreihe dem alten Kanzler nach Friedrichsruh schickte, antwortete mir dieser, Hehns Urteil über ihn sei ihm eine wertvolle Genugtuung, da er ihn aus seinen Schriften schon seit längerer Zeit schätzen gelernt habe. Aus Hehns Kolonistentum erklärt sich weiter die Einsamkeit seines Lebensweges als Gelehrter wie aus seiner aristokratischen Grundstimmung seine spröde Zurückhaltung vom literarischen Markt. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts haben baltische Gelehrte in beträchtlicher Zahl eine Tätigkeit in Deutschland ge- funden. Zu Hehns Zeiten wurde daran noch nicht gedacht. Die wenigen, die es in ihrer Jugend versuchten, wie Karl Ernst v. Baer und Graf Alexander Keyserling, sind doch bald in die Heimat zu- rückgekehrt. Das natürliche Arbeitsfeld für uns Kolonisten erschien damals die Verwaltung des eigenen Landes und für den Überschuß unserer Kräfte das weite Reich des Ostens, wo wir vom Diplomaten, General und Akademiker bis zum Apotheker, Gutsverwalter und Hauslehrer immer ein gesuchter Kulturdünger waren. Diese Generation war reich an Talenten und es blieben nach allen An- sprüchen durch das praktische Leben noch viele übrig, die durch Interesse und Anlage zu idealem Schaffen berufen schienen; aber nur die wenigsten damals haben es zu rechter Entfaltung ihrer Kräfte gebracht. Dies Schicksal sah auch Hehn vor sich. Seine Jugendbriefe sind wahre Angstrufe. Die Sehnsucht nach dem Westen und Süden im Herzen, sah er sich von der Woge, die ihn umfangen hielt, immer wieder nach dem Osten getrieben, als Haus- lehrer nach Wilna, als politischer Verbannter nach Tula, endlich in ehrenvoller Stellung als kaiserlicher Bibliothekar nach St. Petersburg. Die erduldeten Leiden hatten die Sprungfedern seiner zarten Seele nicht gebrochen, aber sicher an manchen Punkten ge- schwächt. Still und ehrgeizlos saß er unter seinen Bücherschätzen und baute an seiner Gedankenwelt. Nach Zuschauern für sie be- gehrte er nicht. Wie er eigentlich keine Lehrer gehabt hat, keiner

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/363>, abgerufen am 22.11.2024.