Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.Denkmalschutz und Denkmalpflege Paris. Die Franzosen haben aber ihre Rothschilds besser erzogen,als wir die unsrigen. Der Jamnitzerpokal ging alsbald als Geschenk in Besitz des Louvremuseums über und dort müssen wir Deutsche ihn nun aufsuchen. -- Theoretisch läßt sich dieser Fall zu be- liebigen Dimensionen ausdehnen. Es stände rechtlich nichts dem entgegen, daß irgendein Krösus sämtliche Bilder Rembrandts in seine Hand brächte und für die übrige Welt unsichtbar machte, vielleicht in einer herostratischen Laune sie vernichtete. -- Was ich mit diesen grellen Beispielen ins Licht setze, geschieht in kleinerem Maßstabe täglich in tausendfältiger Wiederholung. Man muß eine Zeitlang in diese Verhältnisse mit eigenen Augen hinein- gesehen haben, sonst hält man es nicht für glaublich, wie groß noch heute -- obgleich die schlimmsten Zeiten längst vorüber sind -- der fortlaufende Schwund an alter Kunst sich summiert. Eine Hauptrolle spielt hiebei der mit wundergleicher Findigkeit begabte Antiquitätenhandel: er ist vergleichbar den Staubaufsaugemaschi- nen, mit denen neuestens unsere Wohnungen gereinigt werden: so dringt er in die verborgensten Winkel ein und befreit sie von ihrem Kunstbesitz. Ich verkenne keineswegs, daß dieser Handel auch Guts tut, indem er Verborgenes ans Licht zieht, das sonst unbe- merkt verkümmern würde. Ganz überwiegend ist aber doch seine Wirkung destruktiv. Denn die Mehrzahl der in Frage kommenden Objekte haben ihre historische und künstlerische Bedeutung nur in dem bestimmten Zusammenhang, für den sie geschaffen waren; sie aus demselben loslösen, heißt meistens die größere Hälfte ihres Wertes auslöschen. Der Handel führt hier also nicht bloß zu einem Besitzwechsel, sondern auch zur Wertverminderung. In diesem Sinne sind selbst die staatlichen Museen, wie wir mehr und mehr einsehen, keineswegs die ideale Form der Denkmalbewahrung. Ein alter Schnitzaltar kann in der traulichen Mitte einer Dorfkirche und als Zeugnis einer alten lokalen Kunstübung Eindruck machen; im Altertumsmuseum, in einer Reihe mit 50 anderen ähnlichen Stücken, verliert er seine Individualität und wird uns gleichgültig Der Kunsthandel arbeitet aber nur zum kleinsten Teil für Museen, zum größeren für Private und für das Ausland. Die wirtschaftlich stärkeren Völker erhalten auch nach dieser Seite die Übermacht. Denkmalschutz und Denkmalpflege Paris. Die Franzosen haben aber ihre Rothschilds besser erzogen,als wir die unsrigen. Der Jamnitzerpokal ging alsbald als Geschenk in Besitz des Louvremuseums über und dort müssen wir Deutsche ihn nun aufsuchen. — Theoretisch läßt sich dieser Fall zu be- liebigen Dimensionen ausdehnen. Es stände rechtlich nichts dem entgegen, daß irgendein Krösus sämtliche Bilder Rembrandts in seine Hand brächte und für die übrige Welt unsichtbar machte, vielleicht in einer herostratischen Laune sie vernichtete. — Was ich mit diesen grellen Beispielen ins Licht setze, geschieht in kleinerem Maßstabe täglich in tausendfältiger Wiederholung. Man muß eine Zeitlang in diese Verhältnisse mit eigenen Augen hinein- gesehen haben, sonst hält man es nicht für glaublich, wie groß noch heute — obgleich die schlimmsten Zeiten längst vorüber sind — der fortlaufende Schwund an alter Kunst sich summiert. Eine Hauptrolle spielt hiebei der mit wundergleicher Findigkeit begabte Antiquitätenhandel: er ist vergleichbar den Staubaufsaugemaschi- nen, mit denen neuestens unsere Wohnungen gereinigt werden: so dringt er in die verborgensten Winkel ein und befreit sie von ihrem Kunstbesitz. Ich verkenne keineswegs, daß dieser Handel auch Guts tut, indem er Verborgenes ans Licht zieht, das sonst unbe- merkt verkümmern würde. Ganz überwiegend ist aber doch seine Wirkung destruktiv. Denn die Mehrzahl der in Frage kommenden Objekte haben ihre historische und künstlerische Bedeutung nur in dem bestimmten Zusammenhang, für den sie geschaffen waren; sie aus demselben loslösen, heißt meistens die größere Hälfte ihres Wertes auslöschen. Der Handel führt hier also nicht bloß zu einem Besitzwechsel, sondern auch zur Wertverminderung. In diesem Sinne sind selbst die staatlichen Museen, wie wir mehr und mehr einsehen, keineswegs die ideale Form der Denkmalbewahrung. Ein alter Schnitzaltar kann in der traulichen Mitte einer Dorfkirche und als Zeugnis einer alten lokalen Kunstübung Eindruck machen; im Altertumsmuseum, in einer Reihe mit 50 anderen ähnlichen Stücken, verliert er seine Individualität und wird uns gleichgültig Der Kunsthandel arbeitet aber nur zum kleinsten Teil für Museen, zum größeren für Private und für das Ausland. Die wirtschaftlich stärkeren Völker erhalten auch nach dieser Seite die Übermacht. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0331" n="269"/><fw place="top" type="header">Denkmalschutz und Denkmalpflege</fw><lb/> Paris. Die Franzosen haben aber ihre Rothschilds besser erzogen,<lb/> als wir die unsrigen. Der Jamnitzerpokal ging alsbald als Geschenk<lb/> in Besitz des Louvremuseums über und dort müssen wir Deutsche<lb/> ihn nun aufsuchen. — Theoretisch läßt sich dieser Fall zu be-<lb/> liebigen Dimensionen ausdehnen. 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Denkmalschutz und Denkmalpflege
Paris. Die Franzosen haben aber ihre Rothschilds besser erzogen,
als wir die unsrigen. Der Jamnitzerpokal ging alsbald als Geschenk
in Besitz des Louvremuseums über und dort müssen wir Deutsche
ihn nun aufsuchen. — Theoretisch läßt sich dieser Fall zu be-
liebigen Dimensionen ausdehnen. Es stände rechtlich nichts dem
entgegen, daß irgendein Krösus sämtliche Bilder Rembrandts in
seine Hand brächte und für die übrige Welt unsichtbar machte,
vielleicht in einer herostratischen Laune sie vernichtete. — Was
ich mit diesen grellen Beispielen ins Licht setze, geschieht in
kleinerem Maßstabe täglich in tausendfältiger Wiederholung. Man
muß eine Zeitlang in diese Verhältnisse mit eigenen Augen hinein-
gesehen haben, sonst hält man es nicht für glaublich, wie groß
noch heute — obgleich die schlimmsten Zeiten längst vorüber sind
— der fortlaufende Schwund an alter Kunst sich summiert. Eine
Hauptrolle spielt hiebei der mit wundergleicher Findigkeit begabte
Antiquitätenhandel: er ist vergleichbar den Staubaufsaugemaschi-
nen, mit denen neuestens unsere Wohnungen gereinigt werden: so
dringt er in die verborgensten Winkel ein und befreit sie von ihrem
Kunstbesitz. Ich verkenne keineswegs, daß dieser Handel auch
Guts tut, indem er Verborgenes ans Licht zieht, das sonst unbe-
merkt verkümmern würde. Ganz überwiegend ist aber doch seine
Wirkung destruktiv. Denn die Mehrzahl der in Frage kommenden
Objekte haben ihre historische und künstlerische Bedeutung nur
in dem bestimmten Zusammenhang, für den sie geschaffen waren;
sie aus demselben loslösen, heißt meistens die größere Hälfte ihres
Wertes auslöschen. Der Handel führt hier also nicht bloß zu einem
Besitzwechsel, sondern auch zur Wertverminderung. In diesem
Sinne sind selbst die staatlichen Museen, wie wir mehr und mehr
einsehen, keineswegs die ideale Form der Denkmalbewahrung. Ein
alter Schnitzaltar kann in der traulichen Mitte einer Dorfkirche
und als Zeugnis einer alten lokalen Kunstübung Eindruck machen;
im Altertumsmuseum, in einer Reihe mit 50 anderen ähnlichen
Stücken, verliert er seine Individualität und wird uns gleichgültig
Der Kunsthandel arbeitet aber nur zum kleinsten Teil für Museen,
zum größeren für Private und für das Ausland. Die wirtschaftlich
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