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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Denkmalschutz und Denkmalpflege

Es war ein Verdienst der Revolution, daß sie die Menschen
über die Irrtümer der Weltanschauung, aus der sie hervorgegangen
war, gründlich aufklärte. Der Glaube an die Aufklärungsideale
schwand, das 19. Jahrhundert vertraute sich einem neuen Geiste
an, dem historischen Geiste. Der trat mit völlig veränderten
Maßstäben an die Wertung der Dinge heran. Er durchdrang alle
Wissenschaften, ihm unterwarf sich auch die Kunst -- ich will
hier nicht fragen, ob zu ihrem Glück. Herrliche Entdeckerfreuden
hat unter seiner Führung das 19. Jahrhundert erlebt. Es ist nicht
zu sagen, um wieviel das Weltbild an Tiefe der Perspektive gewann.
Man war beglückt, wenn man im Gegenwärtigen ein fortlebendes
Altes nachweisen konnte. Man forschte nach Altertümern der
Sprache, nach Altertümern des Rechts, nach Altertümern der
Sitte; wie sollten da nicht -- allen, freilich sehr fest gewurzelten,
ästhetischen Vorurteilen zum Trotz -- auch die Altertümer der
Kunst an die Reihe kommen, sie, die über wichtige Regionen der
innersten Volksgeschichte Auskünfte zu geben hatten, wie sie in
keiner anderen Quelle zu finden wären. Dies ist der Ursprung der
Denkmalspflege. Ohne die Dichter der Romantik, die Gelehrten
der historischen Schule wäre sie niemals möglich geworden, wie sie
durch diese zur Notwendigkeit wurde. Im Laufe ihrer weiteren,
sich abklärenden Entwicklung hat die Denkmalspflege Mühe genug
gehabt, mehr noch als irgendeine andere der historischen Diszi-
plinen, ihre Mitgift romantischer Illusionen wieder abzustoßen; ja
sie ist bis auf den heutigen Tag noch nicht völlig von ihnen befreit;
vergessen wollen wir nie, woher die Grundgesinnung stammt, mit
der unsere Denkmalpflege steht und fällt.

Sie ist nach ihrem Wesen am leichtesten deutlich zu machen
durch den Vergleich mit der Sammlertätigkeit früherer Zeiten. Die
Sammler des 16., 17., 18. Jahrhunderts sammelten aus ästhetischen
Motiven oder aus irgendeiner sonst begründeten Liebhaberei; sie
kannten Kunstepochen, die sie bevorzugten, und andere, sehr viele
meist, die sie verachteten; immer war der Maßstab der Wert-
schätzung ein subjektiver. Die Denkmalpflege des 19. Jahrhunderts
kennt grundsätzlich solche Unterscheidungen nicht. Ihr letzter
Beweggrund ist die Achtung vor der historischen

Denkmalschutz und Denkmalpflege

Es war ein Verdienst der Revolution, daß sie die Menschen
über die Irrtümer der Weltanschauung, aus der sie hervorgegangen
war, gründlich aufklärte. Der Glaube an die Aufklärungsideale
schwand, das 19. Jahrhundert vertraute sich einem neuen Geiste
an, dem historischen Geiste. Der trat mit völlig veränderten
Maßstäben an die Wertung der Dinge heran. Er durchdrang alle
Wissenschaften, ihm unterwarf sich auch die Kunst — ich will
hier nicht fragen, ob zu ihrem Glück. Herrliche Entdeckerfreuden
hat unter seiner Führung das 19. Jahrhundert erlebt. Es ist nicht
zu sagen, um wieviel das Weltbild an Tiefe der Perspektive gewann.
Man war beglückt, wenn man im Gegenwärtigen ein fortlebendes
Altes nachweisen konnte. Man forschte nach Altertümern der
Sprache, nach Altertümern des Rechts, nach Altertümern der
Sitte; wie sollten da nicht — allen, freilich sehr fest gewurzelten,
ästhetischen Vorurteilen zum Trotz — auch die Altertümer der
Kunst an die Reihe kommen, sie, die über wichtige Regionen der
innersten Volksgeschichte Auskünfte zu geben hatten, wie sie in
keiner anderen Quelle zu finden wären. Dies ist der Ursprung der
Denkmalspflege. Ohne die Dichter der Romantik, die Gelehrten
der historischen Schule wäre sie niemals möglich geworden, wie sie
durch diese zur Notwendigkeit wurde. Im Laufe ihrer weiteren,
sich abklärenden Entwicklung hat die Denkmalspflege Mühe genug
gehabt, mehr noch als irgendeine andere der historischen Diszi-
plinen, ihre Mitgift romantischer Illusionen wieder abzustoßen; ja
sie ist bis auf den heutigen Tag noch nicht völlig von ihnen befreit;
vergessen wollen wir nie, woher die Grundgesinnung stammt, mit
der unsere Denkmalpflege steht und fällt.

Sie ist nach ihrem Wesen am leichtesten deutlich zu machen
durch den Vergleich mit der Sammlertätigkeit früherer Zeiten. Die
Sammler des 16., 17., 18. Jahrhunderts sammelten aus ästhetischen
Motiven oder aus irgendeiner sonst begründeten Liebhaberei; sie
kannten Kunstepochen, die sie bevorzugten, und andere, sehr viele
meist, die sie verachteten; immer war der Maßstab der Wert-
schätzung ein subjektiver. Die Denkmalpflege des 19. Jahrhunderts
kennt grundsätzlich solche Unterscheidungen nicht. Ihr letzter
Beweggrund ist die Achtung vor der historischen

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[267/0329] Denkmalschutz und Denkmalpflege Es war ein Verdienst der Revolution, daß sie die Menschen über die Irrtümer der Weltanschauung, aus der sie hervorgegangen war, gründlich aufklärte. Der Glaube an die Aufklärungsideale schwand, das 19. Jahrhundert vertraute sich einem neuen Geiste an, dem historischen Geiste. Der trat mit völlig veränderten Maßstäben an die Wertung der Dinge heran. Er durchdrang alle Wissenschaften, ihm unterwarf sich auch die Kunst — ich will hier nicht fragen, ob zu ihrem Glück. Herrliche Entdeckerfreuden hat unter seiner Führung das 19. Jahrhundert erlebt. Es ist nicht zu sagen, um wieviel das Weltbild an Tiefe der Perspektive gewann. Man war beglückt, wenn man im Gegenwärtigen ein fortlebendes Altes nachweisen konnte. Man forschte nach Altertümern der Sprache, nach Altertümern des Rechts, nach Altertümern der Sitte; wie sollten da nicht — allen, freilich sehr fest gewurzelten, ästhetischen Vorurteilen zum Trotz — auch die Altertümer der Kunst an die Reihe kommen, sie, die über wichtige Regionen der innersten Volksgeschichte Auskünfte zu geben hatten, wie sie in keiner anderen Quelle zu finden wären. Dies ist der Ursprung der Denkmalspflege. Ohne die Dichter der Romantik, die Gelehrten der historischen Schule wäre sie niemals möglich geworden, wie sie durch diese zur Notwendigkeit wurde. Im Laufe ihrer weiteren, sich abklärenden Entwicklung hat die Denkmalspflege Mühe genug gehabt, mehr noch als irgendeine andere der historischen Diszi- plinen, ihre Mitgift romantischer Illusionen wieder abzustoßen; ja sie ist bis auf den heutigen Tag noch nicht völlig von ihnen befreit; vergessen wollen wir nie, woher die Grundgesinnung stammt, mit der unsere Denkmalpflege steht und fällt. Sie ist nach ihrem Wesen am leichtesten deutlich zu machen durch den Vergleich mit der Sammlertätigkeit früherer Zeiten. Die Sammler des 16., 17., 18. Jahrhunderts sammelten aus ästhetischen Motiven oder aus irgendeiner sonst begründeten Liebhaberei; sie kannten Kunstepochen, die sie bevorzugten, und andere, sehr viele meist, die sie verachteten; immer war der Maßstab der Wert- schätzung ein subjektiver. Die Denkmalpflege des 19. Jahrhunderts kennt grundsätzlich solche Unterscheidungen nicht. Ihr letzter Beweggrund ist die Achtung vor der historischen

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/329>, abgerufen am 24.11.2024.