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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Denkmalschutz und Denkmalpflege
Bindung an materielle Substrate. Offenbar sehr ungleich sind hier
die Aussichten. Um nur im Gebiete der Künste zu bleiben: Unter-
gang der Werke Goethes oder Beethovens ist nicht vorauszusehen,
es wäre denn, daß vorher ungeheure Kulturkatastrophen einträten.
Dagegen ist es völlig gewiß, daß wir die Werke Raphaels schon
heute nur in sehr abgeschwächter Form besitzen, und daß die Zeit
nicht allzu ferne ist, wo man sie nur aus Kopien kennen wird. Das
Schicksal hat die Werke der bildenden Kunst nicht gut gestellt.

Und eiliger noch als die Naturgewalten haben es die Menschen
selbst mit ihrer Vernichtung. Die Baukunst zerstört die Baukunst.
So war es immer und man nahm es hin, wie eine Naturnotwendigkeit.

Wäre nun aber nicht möglich, durch planmäßig und gesell-
schaftlich geübten Schutz den zerstörenden Mächten entgegenzu-
treten und damit die Daseinsdauer unseres Kunst- und Denkmäler-
schatzes um eine gute Frist wenigstens zu verlängern? Der Gedanke
ist in Wahrheit nicht älter als das 19. Jahrhundert und trägt
durchaus dessen geistiges Gepräge an der Stirn. Er gehört in die
Reihe der von der großen Revolution hervorgerufenen Gegen-
wirkungen. Das 19. Jahrhundert kam zu ihm nicht durch ein
neues Wissen, sondern durch eine neue Gesinnung.

Zerstörung der Werke älterer Kunstepochen ist nicht ohne
weiteres ein Zeichen von Barbarei; es kann auch die Folge über-
strömender Schaffenslust einer sich selbstvertrauenden Gegenwart
sein. Das 16., 17., 18. Jahrhundert betrachteten es als ihr gutes
Recht, Altes zu beseitigen, wenn für sie ein Neues, in ihrem Sinne
selbstverständlich zugleich ein Besseres, Raum schaffen wollten.
Wieviel alte Kunst so zugrunde gegangen ist, ist nicht zu ermessen.
Aber immer trat ein Neues an ihre Stelle. Der großen Revolution
erst war es vorbehalten zu zerstören aus Grundsatz, zu Ehren der
Aufklärung und zur Evidentmachung des Rechtes der Lebenden.
Die Geschichte unseres Münsters ist typisch für beide Epochen.
Die herrliche Innenausstattung aus dem Jahrhundert Erwins, die
das Reformationsjahr 1524 zum größten Teil noch geschont hatte,
wurde 1681 bei der Katholisierung, durch barockes Mobiliar, das
damals für besonders katholisch galt ersetzt. Und im Herbst 1793
wurden auf Befehl des vom Konvent eingesetzten Bürgermeisters

Denkmalschutz und Denkmalpflege
Bindung an materielle Substrate. Offenbar sehr ungleich sind hier
die Aussichten. Um nur im Gebiete der Künste zu bleiben: Unter-
gang der Werke Goethes oder Beethovens ist nicht vorauszusehen,
es wäre denn, daß vorher ungeheure Kulturkatastrophen einträten.
Dagegen ist es völlig gewiß, daß wir die Werke Raphaels schon
heute nur in sehr abgeschwächter Form besitzen, und daß die Zeit
nicht allzu ferne ist, wo man sie nur aus Kopien kennen wird. Das
Schicksal hat die Werke der bildenden Kunst nicht gut gestellt.

Und eiliger noch als die Naturgewalten haben es die Menschen
selbst mit ihrer Vernichtung. Die Baukunst zerstört die Baukunst.
So war es immer und man nahm es hin, wie eine Naturnotwendigkeit.

Wäre nun aber nicht möglich, durch planmäßig und gesell-
schaftlich geübten Schutz den zerstörenden Mächten entgegenzu-
treten und damit die Daseinsdauer unseres Kunst- und Denkmäler-
schatzes um eine gute Frist wenigstens zu verlängern? Der Gedanke
ist in Wahrheit nicht älter als das 19. Jahrhundert und trägt
durchaus dessen geistiges Gepräge an der Stirn. Er gehört in die
Reihe der von der großen Revolution hervorgerufenen Gegen-
wirkungen. Das 19. Jahrhundert kam zu ihm nicht durch ein
neues Wissen, sondern durch eine neue Gesinnung.

Zerstörung der Werke älterer Kunstepochen ist nicht ohne
weiteres ein Zeichen von Barbarei; es kann auch die Folge über-
strömender Schaffenslust einer sich selbstvertrauenden Gegenwart
sein. Das 16., 17., 18. Jahrhundert betrachteten es als ihr gutes
Recht, Altes zu beseitigen, wenn für sie ein Neues, in ihrem Sinne
selbstverständlich zugleich ein Besseres, Raum schaffen wollten.
Wieviel alte Kunst so zugrunde gegangen ist, ist nicht zu ermessen.
Aber immer trat ein Neues an ihre Stelle. Der großen Revolution
erst war es vorbehalten zu zerstören aus Grundsatz, zu Ehren der
Aufklärung und zur Evidentmachung des Rechtes der Lebenden.
Die Geschichte unseres Münsters ist typisch für beide Epochen.
Die herrliche Innenausstattung aus dem Jahrhundert Erwins, die
das Reformationsjahr 1524 zum größten Teil noch geschont hatte,
wurde 1681 bei der Katholisierung, durch barockes Mobiliar, das
damals für besonders katholisch galt ersetzt. Und im Herbst 1793
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[265/0327] Denkmalschutz und Denkmalpflege Bindung an materielle Substrate. Offenbar sehr ungleich sind hier die Aussichten. Um nur im Gebiete der Künste zu bleiben: Unter- gang der Werke Goethes oder Beethovens ist nicht vorauszusehen, es wäre denn, daß vorher ungeheure Kulturkatastrophen einträten. Dagegen ist es völlig gewiß, daß wir die Werke Raphaels schon heute nur in sehr abgeschwächter Form besitzen, und daß die Zeit nicht allzu ferne ist, wo man sie nur aus Kopien kennen wird. Das Schicksal hat die Werke der bildenden Kunst nicht gut gestellt. Und eiliger noch als die Naturgewalten haben es die Menschen selbst mit ihrer Vernichtung. Die Baukunst zerstört die Baukunst. So war es immer und man nahm es hin, wie eine Naturnotwendigkeit. Wäre nun aber nicht möglich, durch planmäßig und gesell- schaftlich geübten Schutz den zerstörenden Mächten entgegenzu- treten und damit die Daseinsdauer unseres Kunst- und Denkmäler- schatzes um eine gute Frist wenigstens zu verlängern? Der Gedanke ist in Wahrheit nicht älter als das 19. Jahrhundert und trägt durchaus dessen geistiges Gepräge an der Stirn. Er gehört in die Reihe der von der großen Revolution hervorgerufenen Gegen- wirkungen. Das 19. Jahrhundert kam zu ihm nicht durch ein neues Wissen, sondern durch eine neue Gesinnung. Zerstörung der Werke älterer Kunstepochen ist nicht ohne weiteres ein Zeichen von Barbarei; es kann auch die Folge über- strömender Schaffenslust einer sich selbstvertrauenden Gegenwart sein. Das 16., 17., 18. Jahrhundert betrachteten es als ihr gutes Recht, Altes zu beseitigen, wenn für sie ein Neues, in ihrem Sinne selbstverständlich zugleich ein Besseres, Raum schaffen wollten. Wieviel alte Kunst so zugrunde gegangen ist, ist nicht zu ermessen. Aber immer trat ein Neues an ihre Stelle. Der großen Revolution erst war es vorbehalten zu zerstören aus Grundsatz, zu Ehren der Aufklärung und zur Evidentmachung des Rechtes der Lebenden. Die Geschichte unseres Münsters ist typisch für beide Epochen. Die herrliche Innenausstattung aus dem Jahrhundert Erwins, die das Reformationsjahr 1524 zum größten Teil noch geschont hatte, wurde 1681 bei der Katholisierung, durch barockes Mobiliar, das damals für besonders katholisch galt ersetzt. Und im Herbst 1793 wurden auf Befehl des vom Konvent eingesetzten Bürgermeisters

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/327>, abgerufen am 24.11.2024.