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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Denkmalschutz und Denkmalpflege
geben. Wir wissen, wie sehr ihm insonderheit die Pflege der Kunst-
und Altertumsdenkmäler unseres Vaterlandes am Herzen liegt. Es
ist ein Gebiet, auf dem Theorie und Praxis noch keinen vollen Aus-
gleich gefunden haben, wo noch viele Probleme zu lösen sind. So
erlauben Sie mir, heute von diesen Problemen auf Grund der schon
hinter uns liegenden Erfahrungen zu sprechen; zu sprechen von
Denkmalschutz und Denkmalpflege im 19. Jahr-
hundert.

Ich weiß nicht genau anzugeben, wann das Wort "Denkmal-
pflege" zuerst bei uns aufgetaucht ist. Älter als 25 Jahre wird es
kaum sein. In der Sprache der Wissenschaft und im Gebrauch der
Verwaltungen ist es jetzt rezipiert; in der Sprache des täglichen
Lebens versteht man unter Denkmälern wohl in erster Linie nur
solche Werke, die in der Absicht errichtet sind, bestimmte Er-
innerungen, am häufigsten die Erinnerung an Personen, festzu-
halten. Der Begriff des Denkmals, den die Denkmalpflege im Auge
hat, geht erheblich weiter: er umfaßt, um es kurz zu sagen, alles,
was wir sonst wohl auch mit dem Doppelnamen "Kunst- und Alter-
tum" zu bezeichnen pflegten. Diese Definition ist keine vollkom-
mene, aber als Grundlage für die heutige Erörterung mag sie ge-
nügen, indem sie die aus ästhetischen und historischen Merkmalen
gemischte Doppelnatur des Objektes wohl erkennen läßt.

Das in der Denkmalpflege angegriffene Problem ist ein Teil
des großen und allgemeinen: Wie kann die Menschheit
die geistigen Werte, die sie hervorbringt, sich
dauernd erhalten?
Es wäre wahrlich ein schöner Gedanke:
fortlaufende, verlustlose Aneinanderreihung dieser Werte zu einem
stetig anwachsenden Kapital. Die Wirklichkeit der Dinge sieht
nicht danach aus. Zunächst verändert sich schon von Geschlecht
zu Geschlecht die subjektive Aufnahmefähigkeit. Es ist sicher, daß
Phidias oder Giotto auf uns anders wirken, als sie auf ihre Zeit-
genossen gewirkt haben, und ebenso sicher, daß man in fünfhundert
Jahren Goethe nicht mehr ganz verstehen wird. Verlusten dieser
Art durch Verfeinerung des historischen Sensoriums entgegenzu-
wirken ist eine Hauptaufgabe der Geschichtswissenschaft. Eine
zweite Gefahr für die Fortexistenz geistiger Werte liegt in ihrer

Denkmalschutz und Denkmalpflege
geben. Wir wissen, wie sehr ihm insonderheit die Pflege der Kunst-
und Altertumsdenkmäler unseres Vaterlandes am Herzen liegt. Es
ist ein Gebiet, auf dem Theorie und Praxis noch keinen vollen Aus-
gleich gefunden haben, wo noch viele Probleme zu lösen sind. So
erlauben Sie mir, heute von diesen Problemen auf Grund der schon
hinter uns liegenden Erfahrungen zu sprechen; zu sprechen von
Denkmalschutz und Denkmalpflege im 19. Jahr-
hundert.

Ich weiß nicht genau anzugeben, wann das Wort »Denkmal-
pflege« zuerst bei uns aufgetaucht ist. Älter als 25 Jahre wird es
kaum sein. In der Sprache der Wissenschaft und im Gebrauch der
Verwaltungen ist es jetzt rezipiert; in der Sprache des täglichen
Lebens versteht man unter Denkmälern wohl in erster Linie nur
solche Werke, die in der Absicht errichtet sind, bestimmte Er-
innerungen, am häufigsten die Erinnerung an Personen, festzu-
halten. Der Begriff des Denkmals, den die Denkmalpflege im Auge
hat, geht erheblich weiter: er umfaßt, um es kurz zu sagen, alles,
was wir sonst wohl auch mit dem Doppelnamen »Kunst- und Alter-
tum« zu bezeichnen pflegten. Diese Definition ist keine vollkom-
mene, aber als Grundlage für die heutige Erörterung mag sie ge-
nügen, indem sie die aus ästhetischen und historischen Merkmalen
gemischte Doppelnatur des Objektes wohl erkennen läßt.

Das in der Denkmalpflege angegriffene Problem ist ein Teil
des großen und allgemeinen: Wie kann die Menschheit
die geistigen Werte, die sie hervorbringt, sich
dauernd erhalten?
Es wäre wahrlich ein schöner Gedanke:
fortlaufende, verlustlose Aneinanderreihung dieser Werte zu einem
stetig anwachsenden Kapital. Die Wirklichkeit der Dinge sieht
nicht danach aus. Zunächst verändert sich schon von Geschlecht
zu Geschlecht die subjektive Aufnahmefähigkeit. Es ist sicher, daß
Phidias oder Giotto auf uns anders wirken, als sie auf ihre Zeit-
genossen gewirkt haben, und ebenso sicher, daß man in fünfhundert
Jahren Goethe nicht mehr ganz verstehen wird. Verlusten dieser
Art durch Verfeinerung des historischen Sensoriums entgegenzu-
wirken ist eine Hauptaufgabe der Geschichtswissenschaft. Eine
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[264/0326] Denkmalschutz und Denkmalpflege geben. Wir wissen, wie sehr ihm insonderheit die Pflege der Kunst- und Altertumsdenkmäler unseres Vaterlandes am Herzen liegt. Es ist ein Gebiet, auf dem Theorie und Praxis noch keinen vollen Aus- gleich gefunden haben, wo noch viele Probleme zu lösen sind. So erlauben Sie mir, heute von diesen Problemen auf Grund der schon hinter uns liegenden Erfahrungen zu sprechen; zu sprechen von Denkmalschutz und Denkmalpflege im 19. Jahr- hundert. Ich weiß nicht genau anzugeben, wann das Wort »Denkmal- pflege« zuerst bei uns aufgetaucht ist. Älter als 25 Jahre wird es kaum sein. In der Sprache der Wissenschaft und im Gebrauch der Verwaltungen ist es jetzt rezipiert; in der Sprache des täglichen Lebens versteht man unter Denkmälern wohl in erster Linie nur solche Werke, die in der Absicht errichtet sind, bestimmte Er- innerungen, am häufigsten die Erinnerung an Personen, festzu- halten. Der Begriff des Denkmals, den die Denkmalpflege im Auge hat, geht erheblich weiter: er umfaßt, um es kurz zu sagen, alles, was wir sonst wohl auch mit dem Doppelnamen »Kunst- und Alter- tum« zu bezeichnen pflegten. Diese Definition ist keine vollkom- mene, aber als Grundlage für die heutige Erörterung mag sie ge- nügen, indem sie die aus ästhetischen und historischen Merkmalen gemischte Doppelnatur des Objektes wohl erkennen läßt. Das in der Denkmalpflege angegriffene Problem ist ein Teil des großen und allgemeinen: Wie kann die Menschheit die geistigen Werte, die sie hervorbringt, sich dauernd erhalten? Es wäre wahrlich ein schöner Gedanke: fortlaufende, verlustlose Aneinanderreihung dieser Werte zu einem stetig anwachsenden Kapital. Die Wirklichkeit der Dinge sieht nicht danach aus. Zunächst verändert sich schon von Geschlecht zu Geschlecht die subjektive Aufnahmefähigkeit. Es ist sicher, daß Phidias oder Giotto auf uns anders wirken, als sie auf ihre Zeit- genossen gewirkt haben, und ebenso sicher, daß man in fünfhundert Jahren Goethe nicht mehr ganz verstehen wird. Verlusten dieser Art durch Verfeinerung des historischen Sensoriums entgegenzu- wirken ist eine Hauptaufgabe der Geschichtswissenschaft. Eine zweite Gefahr für die Fortexistenz geistiger Werte liegt in ihrer

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/326>, abgerufen am 24.11.2024.