Es werden für das Heidelberger Schloß umfangreiche bauliche Veränderungen geplant. Wer kann die Nachricht hören ohne Erregung? In dies wunder- bare Ganze, aus Vergänglichkeit und Ewigkeit, aus Kunst, Natur und Geschichte zu einem Eindruck zusammengewoben, wie ihn niemals menschlicher Verstand allein, auch nicht des größten Künstlers, hätte hervorrufen können, will man gewaltsam eingreifen -- will es verbessern! Also wieder einmal ist der vandalisme restaurateur, wie die Franzosen das Ding treffend nennen, auf dem Kriegspfad, und welch edelste Beute hat er sich ausgewählt.
Bekämpfen wir indessen unser in Wallung geratendes Blut und suchen in Ruhe uns klarzumachen, worum es sich handelt.
Von vornherein versteht es sich von selbst, daß die Heidel- berger Schloßruine, wenn man sie sich selbst überläßt, nicht in alle Zeiten unverändert in ihrem jetzigen Zustande verharren kann: un- widerstehlich, wenn auch langsam, werden die Elemente an ihrer Auflösung arbeiten; das ist ein Schicksal, dem ein jedes Bauwerk, eigentlich schon vom Momente seiner Vollendung an, entgegengeht. Die oberste Aufsichtsbehörde, das Großherzoglich Badische Finanz- ministerium, hat deshalb seine volle Schuldigkeit getan, als es sich an die Bauverständigen mit der Frage wendete: "Was hat zu ge- schehen, um das Heidelberger Schloß vor weiterem Verfall zu schützen und vornehmlich seine künstlerisch wertvollen Teile mög- lichst lange zu erhalten?"
Das erste war, im Jahre 1883, die Einsetzung eines Baubureaus zur technischen Untersuchung des tatsächlichen Bestandes. Auf Grund der hieraus gewonnenen Einsicht haben zwei große Kom- missionen, die eine im Jahre 1891, die andere im Jahre 1901, auf die obige Frage Antwort gegeben. Die erste -- in ihr waren außer den dem Lande Baden angehörenden Sachverständigen wie Durm, Lübke usw. die urteilsfähigsten Männer Deutschlands vertreten: Essenwein aus Nürnberg, Egle aus Stuttgart, Thiersch aus München, Wagner aus Darmstadt, Raschdorff aus Berlin -- stellte einstimmig einen in sieben Sätzen gegliederten Beschluß auf, dessen Quint- essenz war: Abweisung jedes Gedankens an Wie-
Es werden für das Heidelberger Schloß umfangreiche bauliche Veränderungen geplant. Wer kann die Nachricht hören ohne Erregung? In dies wunder- bare Ganze, aus Vergänglichkeit und Ewigkeit, aus Kunst, Natur und Geschichte zu einem Eindruck zusammengewoben, wie ihn niemals menschlicher Verstand allein, auch nicht des größten Künstlers, hätte hervorrufen können, will man gewaltsam eingreifen — will es verbessern! Also wieder einmal ist der vandalisme restaurateur, wie die Franzosen das Ding treffend nennen, auf dem Kriegspfad, und welch edelste Beute hat er sich ausgewählt.
Bekämpfen wir indessen unser in Wallung geratendes Blut und suchen in Ruhe uns klarzumachen, worum es sich handelt.
Von vornherein versteht es sich von selbst, daß die Heidel- berger Schloßruine, wenn man sie sich selbst überläßt, nicht in alle Zeiten unverändert in ihrem jetzigen Zustande verharren kann: un- widerstehlich, wenn auch langsam, werden die Elemente an ihrer Auflösung arbeiten; das ist ein Schicksal, dem ein jedes Bauwerk, eigentlich schon vom Momente seiner Vollendung an, entgegengeht. Die oberste Aufsichtsbehörde, das Großherzoglich Badische Finanz- ministerium, hat deshalb seine volle Schuldigkeit getan, als es sich an die Bauverständigen mit der Frage wendete: »Was hat zu ge- schehen, um das Heidelberger Schloß vor weiterem Verfall zu schützen und vornehmlich seine künstlerisch wertvollen Teile mög- lichst lange zu erhalten?«
Das erste war, im Jahre 1883, die Einsetzung eines Baubureaus zur technischen Untersuchung des tatsächlichen Bestandes. Auf Grund der hieraus gewonnenen Einsicht haben zwei große Kom- missionen, die eine im Jahre 1891, die andere im Jahre 1901, auf die obige Frage Antwort gegeben. Die erste — in ihr waren außer den dem Lande Baden angehörenden Sachverständigen wie Durm, Lübke usw. die urteilsfähigsten Männer Deutschlands vertreten: Essenwein aus Nürnberg, Egle aus Stuttgart, Thiersch aus München, Wagner aus Darmstadt, Raschdorff aus Berlin — stellte einstimmig einen in sieben Sätzen gegliederten Beschluß auf, dessen Quint- essenz war: Abweisung jedes Gedankens an Wie-
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Es werden für das Heidelberger Schloß umfangreiche
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Kunst, Natur und Geschichte zu einem Eindruck
zusammengewoben, wie ihn niemals menschlicher Verstand allein,
auch nicht des größten Künstlers, hätte hervorrufen können, will
man gewaltsam eingreifen — will es verbessern! Also wieder einmal
ist der vandalisme restaurateur, wie die Franzosen das Ding treffend
nennen, auf dem Kriegspfad, und welch edelste Beute hat er sich
ausgewählt.
Bekämpfen wir indessen unser in Wallung geratendes Blut und
suchen in Ruhe uns klarzumachen, worum es sich handelt.
Von vornherein versteht es sich von selbst, daß die Heidel-
berger Schloßruine, wenn man sie sich selbst überläßt, nicht in alle
Zeiten unverändert in ihrem jetzigen Zustande verharren kann: un-
widerstehlich, wenn auch langsam, werden die Elemente an ihrer
Auflösung arbeiten; das ist ein Schicksal, dem ein jedes Bauwerk,
eigentlich schon vom Momente seiner Vollendung an, entgegengeht.
Die oberste Aufsichtsbehörde, das Großherzoglich Badische Finanz-
ministerium, hat deshalb seine volle Schuldigkeit getan, als es sich
an die Bauverständigen mit der Frage wendete: »Was hat zu ge-
schehen, um das Heidelberger Schloß vor weiterem Verfall zu
schützen und vornehmlich seine künstlerisch wertvollen Teile mög-
lichst lange zu erhalten?«
Das erste war, im Jahre 1883, die Einsetzung eines Baubureaus
zur technischen Untersuchung des tatsächlichen Bestandes. Auf
Grund der hieraus gewonnenen Einsicht haben zwei große Kom-
missionen, die eine im Jahre 1891, die andere im Jahre 1901, auf
die obige Frage Antwort gegeben. Die erste — in ihr waren außer
den dem Lande Baden angehörenden Sachverständigen wie Durm,
Lübke usw. die urteilsfähigsten Männer Deutschlands vertreten:
Essenwein aus Nürnberg, Egle aus Stuttgart, Thiersch aus München,
Wagner aus Darmstadt, Raschdorff aus Berlin — stellte einstimmig
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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. [249]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/311>, abgerufen am 24.11.2024.
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