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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Das Verhältnis d. geschichtlichen z. d. kunstgeschichtlichen Studien
selbstverständlich nur unter der Bedingung, daß er, was mit
den heutigen Mitteln leicht zu erreichen ist, das Wort durch das
Bild unterstütze. Das wäre gewiß recht ersprießlich, trifft aber
noch nicht den Kern der Sache. Unser Schulunterricht geht aus-
schließlich auf Übung des Denkens, auf Bereicherung des Begriffes
aus: für Übung und Bereicherung der Anschauung geschieht
nichts. Ein so großer und mit dem ganzen System unserer Bil-
dung zusammenhängender Mangel läßt sich nicht durch eine
einzelne Reform aufheben. Der wirksamste Anfang dazu läge in
der Erweiterung und Verbesserung des Zeichenunterrichts, darin
scheinen alle Einsichtigen mehr und mehr übereinzustimmen.
Möchten zu den hierauf zielenden Forderungen erfahrener Lehrer
der Kunstwissenschaft1) auch die Stimmen der nicht weniger
dabei interessierten Naturforscher recht bald und nachdrücklich
sich hinzugesellen!

Ein zweites Hindernis erfolgreicher Wirkung des Unterrichts
in der Kunstgeschichte möchte ich eingänglicher besprechen. Es
liegt darin, daß sie mit keiner der großen Studiengruppen in fester
Fühlung steht. Man läßt sie gelten wie einen Zierrat am Giebel
des Werkhauses; eine bestimmte Stellung und Leistung im inneren
Arbeitsbetriebe hat man ihr noch nicht angewiesen. Es war in
der Tat kein Vorteil für die neuere Kunstgeschichte, daß sie nicht
wie ihre Schwester, die klassische Archäologie, aus einem seit
langer Zeit festorganisierten Lehrfach allmählich zu Selbständig-
keit herangewachsen ist, sondern daß sie sogleich auf ihren eigenen
Füßen stehen sollte. Die herrschende Neigung zur Partikulari-
sierung der Wissenschaft sieht in ihr nichts als ein neues Spezial-
fach. Es sind vielfach gerade die sog. "guten", die auf strenge
Wissenschaftlichkeit gerichteten Studenten, die sich, vielleicht
einer inneren Hinneigung zum Trotz, von ihr fernhalten, um nicht
verpöntem Dilettantismus zu verfallen. In Wahrheit liegt die
Sache nun so, daß die Zahl der jungen Leute, welche Kunstforscher

1) Vgl. H. Brunn: Archäologie und Anschauung. Münchener Rekto-
ratsrede am 21. November 1885, -- E. Dobbert: Die Kunstgeschichte als
Wissenschaft und Lehrgegenstand. Festrede an der Berliner Technischen
Hochschule am 12. März 1886.


Das Verhältnis d. geschichtlichen z. d. kunstgeschichtlichen Studien
selbstverständlich nur unter der Bedingung, daß er, was mit
den heutigen Mitteln leicht zu erreichen ist, das Wort durch das
Bild unterstütze. Das wäre gewiß recht ersprießlich, trifft aber
noch nicht den Kern der Sache. Unser Schulunterricht geht aus-
schließlich auf Übung des Denkens, auf Bereicherung des Begriffes
aus: für Übung und Bereicherung der Anschauung geschieht
nichts. Ein so großer und mit dem ganzen System unserer Bil-
dung zusammenhängender Mangel läßt sich nicht durch eine
einzelne Reform aufheben. Der wirksamste Anfang dazu läge in
der Erweiterung und Verbesserung des Zeichenunterrichts, darin
scheinen alle Einsichtigen mehr und mehr übereinzustimmen.
Möchten zu den hierauf zielenden Forderungen erfahrener Lehrer
der Kunstwissenschaft1) auch die Stimmen der nicht weniger
dabei interessierten Naturforscher recht bald und nachdrücklich
sich hinzugesellen!

Ein zweites Hindernis erfolgreicher Wirkung des Unterrichts
in der Kunstgeschichte möchte ich eingänglicher besprechen. Es
liegt darin, daß sie mit keiner der großen Studiengruppen in fester
Fühlung steht. Man läßt sie gelten wie einen Zierrat am Giebel
des Werkhauses; eine bestimmte Stellung und Leistung im inneren
Arbeitsbetriebe hat man ihr noch nicht angewiesen. Es war in
der Tat kein Vorteil für die neuere Kunstgeschichte, daß sie nicht
wie ihre Schwester, die klassische Archäologie, aus einem seit
langer Zeit festorganisierten Lehrfach allmählich zu Selbständig-
keit herangewachsen ist, sondern daß sie sogleich auf ihren eigenen
Füßen stehen sollte. Die herrschende Neigung zur Partikulari-
sierung der Wissenschaft sieht in ihr nichts als ein neues Spezial-
fach. Es sind vielfach gerade die sog. »guten«, die auf strenge
Wissenschaftlichkeit gerichteten Studenten, die sich, vielleicht
einer inneren Hinneigung zum Trotz, von ihr fernhalten, um nicht
verpöntem Dilettantismus zu verfallen. In Wahrheit liegt die
Sache nun so, daß die Zahl der jungen Leute, welche Kunstforscher

1) Vgl. H. Brunn: Archäologie und Anschauung. Münchener Rekto-
ratsrede am 21. November 1885, — E. Dobbert: Die Kunstgeschichte als
Wissenschaft und Lehrgegenstand. Festrede an der Berliner Technischen
Hochschule am 12. März 1886.
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[242/0304] Das Verhältnis d. geschichtlichen z. d. kunstgeschichtlichen Studien selbstverständlich nur unter der Bedingung, daß er, was mit den heutigen Mitteln leicht zu erreichen ist, das Wort durch das Bild unterstütze. Das wäre gewiß recht ersprießlich, trifft aber noch nicht den Kern der Sache. Unser Schulunterricht geht aus- schließlich auf Übung des Denkens, auf Bereicherung des Begriffes aus: für Übung und Bereicherung der Anschauung geschieht nichts. Ein so großer und mit dem ganzen System unserer Bil- dung zusammenhängender Mangel läßt sich nicht durch eine einzelne Reform aufheben. Der wirksamste Anfang dazu läge in der Erweiterung und Verbesserung des Zeichenunterrichts, darin scheinen alle Einsichtigen mehr und mehr übereinzustimmen. Möchten zu den hierauf zielenden Forderungen erfahrener Lehrer der Kunstwissenschaft 1) auch die Stimmen der nicht weniger dabei interessierten Naturforscher recht bald und nachdrücklich sich hinzugesellen! Ein zweites Hindernis erfolgreicher Wirkung des Unterrichts in der Kunstgeschichte möchte ich eingänglicher besprechen. Es liegt darin, daß sie mit keiner der großen Studiengruppen in fester Fühlung steht. Man läßt sie gelten wie einen Zierrat am Giebel des Werkhauses; eine bestimmte Stellung und Leistung im inneren Arbeitsbetriebe hat man ihr noch nicht angewiesen. Es war in der Tat kein Vorteil für die neuere Kunstgeschichte, daß sie nicht wie ihre Schwester, die klassische Archäologie, aus einem seit langer Zeit festorganisierten Lehrfach allmählich zu Selbständig- keit herangewachsen ist, sondern daß sie sogleich auf ihren eigenen Füßen stehen sollte. Die herrschende Neigung zur Partikulari- sierung der Wissenschaft sieht in ihr nichts als ein neues Spezial- fach. Es sind vielfach gerade die sog. »guten«, die auf strenge Wissenschaftlichkeit gerichteten Studenten, die sich, vielleicht einer inneren Hinneigung zum Trotz, von ihr fernhalten, um nicht verpöntem Dilettantismus zu verfallen. In Wahrheit liegt die Sache nun so, daß die Zahl der jungen Leute, welche Kunstforscher 1) Vgl. H. Brunn: Archäologie und Anschauung. Münchener Rekto- ratsrede am 21. November 1885, — E. Dobbert: Die Kunstgeschichte als Wissenschaft und Lehrgegenstand. Festrede an der Berliner Technischen Hochschule am 12. März 1886.

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/304>, abgerufen am 23.11.2024.