Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust findet sich aus dem Jahre 1826 in der Anmerkung zu Dante derSatz: "Man beschaue das Gemälde des Orcagna und man wird eine umgekehrte Tafel des Cebes zu sehen glauben, statt eines Kegels ein Trichter." Nach Vasari ist Orcagna der Maler des Pisaner Höllenbildes. Goethes Bekanntschaft mit diesem Bilde ist damit bewiesen. Nach alledem scheint des Dichters Äußerung gegen Sulpiz Boisseree vom 3. August 1815 "das Ende ist fertig und sehr gut und grandios geraten, aus der besten Zeit" -- doch nur in einem irgendwie beschränkten Sinne verstanden werden zu dürfen. Hätte Goethe jene "scharf umrissenen christlich-kirch- lichen Figuren" früher kennen gelernt, so hätte er eben auch seine Dichtung früher zu Ende gebracht. Höchst merkwürdig bleibt, daß die anscheinend erste Be- Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust findet sich aus dem Jahre 1826 in der Anmerkung zu Dante derSatz: »Man beschaue das Gemälde des Orcagna und man wird eine umgekehrte Tafel des Cebes zu sehen glauben, statt eines Kegels ein Trichter.« Nach Vasari ist Orcagna der Maler des Pisaner Höllenbildes. Goethes Bekanntschaft mit diesem Bilde ist damit bewiesen. Nach alledem scheint des Dichters Äußerung gegen Sulpiz Boisserée vom 3. August 1815 »das Ende ist fertig und sehr gut und grandios geraten, aus der besten Zeit« — doch nur in einem irgendwie beschränkten Sinne verstanden werden zu dürfen. Hätte Goethe jene »scharf umrissenen christlich-kirch- lichen Figuren« früher kennen gelernt, so hätte er eben auch seine Dichtung früher zu Ende gebracht. Höchst merkwürdig bleibt, daß die anscheinend erste Be- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0290" n="234"/><fw place="top" type="header">Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust</fw><lb/> findet sich aus dem Jahre 1826 in der Anmerkung zu Dante der<lb/> Satz: »Man beschaue das Gemälde des Orcagna und man wird<lb/> eine umgekehrte Tafel des Cebes zu sehen glauben, statt eines<lb/> Kegels ein Trichter.« Nach Vasari ist Orcagna der Maler des<lb/> Pisaner Höllenbildes. Goethes Bekanntschaft mit diesem Bilde<lb/> ist damit bewiesen. Nach alledem scheint des Dichters Äußerung<lb/> gegen Sulpiz Boisserée vom 3. August 1815 »das Ende ist fertig<lb/> und sehr gut und grandios geraten, aus der besten Zeit« — doch<lb/> nur in einem irgendwie beschränkten Sinne verstanden werden zu<lb/> dürfen. Hätte Goethe jene »scharf umrissenen christlich-kirch-<lb/> lichen Figuren« früher kennen gelernt, so hätte er eben auch<lb/> seine Dichtung früher zu Ende gebracht.</p><lb/> <p>Höchst merkwürdig bleibt, daß die anscheinend erste Be-<lb/> kanntschaft mit den Camposantobildern (1818) gerade ein Jahr<lb/> nach Veröffentlichung des Manifestes gegen die Nazarener (1817)<lb/> erfolgt. Es ist, als habe Goethe durch die Aufnahme eines so<lb/> großen Stückes echtest mittelalterlicher Kunst in sein abschlie-<lb/> ßendes Lebenswerk die positive Ergänzung zu jener Polemik<lb/> geben wollen. Der Dichtung kann erlaubt und heilbringend sein,<lb/> was aus der bildenden Kunst fernzuhalten ist.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [234/0290]
Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust
findet sich aus dem Jahre 1826 in der Anmerkung zu Dante der
Satz: »Man beschaue das Gemälde des Orcagna und man wird
eine umgekehrte Tafel des Cebes zu sehen glauben, statt eines
Kegels ein Trichter.« Nach Vasari ist Orcagna der Maler des
Pisaner Höllenbildes. Goethes Bekanntschaft mit diesem Bilde
ist damit bewiesen. Nach alledem scheint des Dichters Äußerung
gegen Sulpiz Boisserée vom 3. August 1815 »das Ende ist fertig
und sehr gut und grandios geraten, aus der besten Zeit« — doch
nur in einem irgendwie beschränkten Sinne verstanden werden zu
dürfen. Hätte Goethe jene »scharf umrissenen christlich-kirch-
lichen Figuren« früher kennen gelernt, so hätte er eben auch
seine Dichtung früher zu Ende gebracht.
Höchst merkwürdig bleibt, daß die anscheinend erste Be-
kanntschaft mit den Camposantobildern (1818) gerade ein Jahr
nach Veröffentlichung des Manifestes gegen die Nazarener (1817)
erfolgt. Es ist, als habe Goethe durch die Aufnahme eines so
großen Stückes echtest mittelalterlicher Kunst in sein abschlie-
ßendes Lebenswerk die positive Ergänzung zu jener Polemik
geben wollen. Der Dichtung kann erlaubt und heilbringend sein,
was aus der bildenden Kunst fernzuhalten ist.
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Zitationshilfe: | Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/290>, abgerufen am 25.07.2024. |