Szene sich vergleichen könnte. Und da alle echte Poesie unendlich ist und immer fortzeugt, so wird bei diesem Anblick in Goethes Geist die langgesuchte Schlußszene der Faustdichtung lebendig und findet ihren Körper: Bergschluchten, Wald, Fels, Einöde. Heilige Anachoreten (gebirgauf verteilt, gelagert zwischen Klüften). Chor und Echo. (786--795) Waldung, sie schwankt heran, Felsen, sie lasten dran, Wurzeln, sie klammern an, Stamm dicht am Stamm hinan; Woge nach Woge spritzt, Höhle, die tiefste, schützt; Löwen, sie schleichen stumm- Freundlich um uns herum, Ehren geweihten Ort, Heiligen Liebeshort.
Wer diese Strophe ohne Kenntnis ihrer Bildquelle liest, wird leicht zum Glauben kommen, der Dichter habe bei der Auswahl der Bilder ganz wesentlich durch den stimmungsvollen Klang- reiz der Assonanzenreihe a-o-ö sich leiten lassen. Allein Goethe hat hier das technische Wunder vollbracht, die stärkste musika- lische Wirkung mit der gewissenhaftesten Wiedergabe des ge- gebenen malerischen Vorbildes zu vereinigen. Ja, selbst solche Züge, die wie selbsterfundene Zugaben sich ausnehmen: -- die spritzende Woge, die schützende Höhle, die schleichenden Löwen, -- sind dies ganz und gar nicht, sondern wiederum nur Eingebungen einer Bildquelle. Es ist eben jene, auf welche Friedländer hin- gewiesen hat1). Jetzt können wir freilich bestimmter sagen, daß der für Goethe entscheidende Eindruck nicht von diesem Ge- mälde, sondern vom "Triumph des Todes" ausging; wohl aber nahm Goethe es zu Hilfe, um durch eine Anzahl bedeutender Einzelzüge die Schilderung zu bereichern. Auf dieser zweiten Darstellung der thebaischen Wüste ist das Leben der Einsiedler nicht bloß kontrastierende Episode, wie auf dem "Triumph des
1) Unsere Tafel 3 gibt nur die linke Hälfte des umfangreichen Ge- mäldes, der die rechte in der allgemeinen Anordnung genau entspricht.
Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust
Szene sich vergleichen könnte. Und da alle echte Poesie unendlich ist und immer fortzeugt, so wird bei diesem Anblick in Goethes Geist die langgesuchte Schlußszene der Faustdichtung lebendig und findet ihren Körper: Bergschluchten, Wald, Fels, Einöde. Heilige Anachoreten (gebirgauf verteilt, gelagert zwischen Klüften). Chor und Echo. (786—795) Waldung, sie schwankt heran, Felsen, sie lasten dran, Wurzeln, sie klammern an, Stamm dicht am Stamm hinan; Woge nach Woge spritzt, Höhle, die tiefste, schützt; Löwen, sie schleichen stumm- Freundlich um uns herum, Ehren geweihten Ort, Heiligen Liebeshort.
Wer diese Strophe ohne Kenntnis ihrer Bildquelle liest, wird leicht zum Glauben kommen, der Dichter habe bei der Auswahl der Bilder ganz wesentlich durch den stimmungsvollen Klang- reiz der Assonanzenreihe a-o-ö sich leiten lassen. Allein Goethe hat hier das technische Wunder vollbracht, die stärkste musika- lische Wirkung mit der gewissenhaftesten Wiedergabe des ge- gebenen malerischen Vorbildes zu vereinigen. Ja, selbst solche Züge, die wie selbsterfundene Zugaben sich ausnehmen: — die spritzende Woge, die schützende Höhle, die schleichenden Löwen, — sind dies ganz und gar nicht, sondern wiederum nur Eingebungen einer Bildquelle. Es ist eben jene, auf welche Friedländer hin- gewiesen hat1). Jetzt können wir freilich bestimmter sagen, daß der für Goethe entscheidende Eindruck nicht von diesem Ge- mälde, sondern vom »Triumph des Todes« ausging; wohl aber nahm Goethe es zu Hilfe, um durch eine Anzahl bedeutender Einzelzüge die Schilderung zu bereichern. Auf dieser zweiten Darstellung der thebaischen Wüste ist das Leben der Einsiedler nicht bloß kontrastierende Episode, wie auf dem »Triumph des
1) Unsere Tafel 3 gibt nur die linke Hälfte des umfangreichen Ge- mäldes, der die rechte in der allgemeinen Anordnung genau entspricht.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0286"n="230"/><fwplace="top"type="header">Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust</fw><lb/>
Szene sich vergleichen könnte. Und da alle echte Poesie unendlich<lb/>
ist und immer fortzeugt, so wird bei diesem Anblick in Goethes<lb/>
Geist die langgesuchte Schlußszene der Faustdichtung lebendig<lb/>
und findet ihren Körper:<lb/><cit><quote><hirendition="#c">Bergschluchten, Wald, Fels, Einöde.<lb/><hirendition="#g">Heilige Anachoreten</hi><lb/>
(gebirgauf verteilt, gelagert zwischen Klüften).<lb/><hirendition="#g">Chor und Echo</hi>.</hi><lb/><hirendition="#et">(786—795) Waldung, sie schwankt heran,<lb/>
Felsen, sie lasten dran,<lb/>
Wurzeln, sie klammern an,<lb/>
Stamm dicht am Stamm hinan;<lb/>
Woge nach Woge spritzt,<lb/>
Höhle, die tiefste, schützt;<lb/>
Löwen, sie schleichen stumm-<lb/>
Freundlich um uns herum,<lb/>
Ehren geweihten Ort,<lb/>
Heiligen Liebeshort.</hi></quote><bibl/></cit></p><lb/><p>Wer diese Strophe ohne Kenntnis ihrer Bildquelle liest, wird<lb/>
leicht zum Glauben kommen, der Dichter habe bei der Auswahl<lb/>
der Bilder ganz wesentlich durch den stimmungsvollen Klang-<lb/>
reiz der Assonanzenreihe a-o-ö sich leiten lassen. Allein Goethe<lb/>
hat hier das technische Wunder vollbracht, die stärkste musika-<lb/>
lische Wirkung mit der gewissenhaftesten Wiedergabe des ge-<lb/>
gebenen malerischen Vorbildes zu vereinigen. Ja, selbst solche<lb/>
Züge, die wie selbsterfundene Zugaben sich ausnehmen: — die<lb/>
spritzende Woge, die schützende Höhle, die schleichenden Löwen,<lb/>— sind dies ganz und gar nicht, sondern wiederum nur Eingebungen<lb/>
einer Bildquelle. Es ist eben jene, auf welche Friedländer hin-<lb/>
gewiesen hat<noteplace="foot"n="1)">Unsere Tafel 3 gibt nur die linke Hälfte des umfangreichen Ge-<lb/>
mäldes, der die rechte in der allgemeinen Anordnung genau entspricht.</note>. Jetzt können wir freilich bestimmter sagen, daß<lb/>
der für Goethe entscheidende Eindruck nicht von diesem Ge-<lb/>
mälde, sondern vom »Triumph des Todes« ausging; wohl aber<lb/>
nahm Goethe es zu Hilfe, um durch eine Anzahl bedeutender<lb/>
Einzelzüge die Schilderung zu bereichern. Auf dieser zweiten<lb/>
Darstellung der thebaischen Wüste ist das Leben der Einsiedler<lb/>
nicht bloß kontrastierende Episode, wie auf dem »Triumph des<lb/></p></div></body></text></TEI>
[230/0286]
Alt-Italienische Gemälde als Quelle zum Faust
Szene sich vergleichen könnte. Und da alle echte Poesie unendlich
ist und immer fortzeugt, so wird bei diesem Anblick in Goethes
Geist die langgesuchte Schlußszene der Faustdichtung lebendig
und findet ihren Körper:
Bergschluchten, Wald, Fels, Einöde.
Heilige Anachoreten
(gebirgauf verteilt, gelagert zwischen Klüften).
Chor und Echo.
(786—795) Waldung, sie schwankt heran,
Felsen, sie lasten dran,
Wurzeln, sie klammern an,
Stamm dicht am Stamm hinan;
Woge nach Woge spritzt,
Höhle, die tiefste, schützt;
Löwen, sie schleichen stumm-
Freundlich um uns herum,
Ehren geweihten Ort,
Heiligen Liebeshort.
Wer diese Strophe ohne Kenntnis ihrer Bildquelle liest, wird
leicht zum Glauben kommen, der Dichter habe bei der Auswahl
der Bilder ganz wesentlich durch den stimmungsvollen Klang-
reiz der Assonanzenreihe a-o-ö sich leiten lassen. Allein Goethe
hat hier das technische Wunder vollbracht, die stärkste musika-
lische Wirkung mit der gewissenhaftesten Wiedergabe des ge-
gebenen malerischen Vorbildes zu vereinigen. Ja, selbst solche
Züge, die wie selbsterfundene Zugaben sich ausnehmen: — die
spritzende Woge, die schützende Höhle, die schleichenden Löwen,
— sind dies ganz und gar nicht, sondern wiederum nur Eingebungen
einer Bildquelle. Es ist eben jene, auf welche Friedländer hin-
gewiesen hat 1). Jetzt können wir freilich bestimmter sagen, daß
der für Goethe entscheidende Eindruck nicht von diesem Ge-
mälde, sondern vom »Triumph des Todes« ausging; wohl aber
nahm Goethe es zu Hilfe, um durch eine Anzahl bedeutender
Einzelzüge die Schilderung zu bereichern. Auf dieser zweiten
Darstellung der thebaischen Wüste ist das Leben der Einsiedler
nicht bloß kontrastierende Episode, wie auf dem »Triumph des
1) Unsere Tafel 3 gibt nur die linke Hälfte des umfangreichen Ge-
mäldes, der die rechte in der allgemeinen Anordnung genau entspricht.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Akademiebibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate für die Seiten 122 und 123
(2012-02-21T10:17:23Z)
Weitere Informationen:
Nach den Richtlinien des Deutschen Textarchivs (DTA) transkribiert und ausgezeichnet.
Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/286>, abgerufen am 25.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.