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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Zu den Kopien nach Lionardos Abendmahl
die Untersuchung so lange als möglich in der Bahn des logisch
Beweisbaren zu halten. Ich beginne mit der Schilderung und dem
Vergleich der äußeren Merkmale, wobei ich der Kürze halber die
beiden Exemplare durch die Zeichen St und W unterscheiden will.

Der Maßstab der Köpfe ist beidemal gleich, d. i. etwas mehr
als Lebensgröße. Bei W ist der Grund um einiges ausgedehnter;
bei St ist er durch Beschädigung oder ausgleichende Beschneidung
des Randes mit der Zeit kleiner geworden. Die jetzige Bildfläche
von W ist 62 : 48 cm, von St 57 : 44 cm.

Das Papier konnte, weil es derzeit auf Leinwand gezogen ist,
nicht geprüft werden.

Hinsichtlich der technischen Ausführung ist, zunächst über St,
dieses zu bemerken. Die Haupttöne -- Fleisch, Haar, Gewand,
Hintergrund -- sind mit dünnflüssiger Farbe, wahrscheinlich
Tempera, in gleichförmigem Auftrage unterlegt, Haar und Fleisch
durchsichtig, das stumpfe Rot und Gelb der Gewänder leicht
deckend. Darüber in Kohle der Umriß und die Modellierung.
Auf dem dunkeln Hintergrunde und in den tiefsten Schatten zeigt
die Farbsubstanz einen matten Glanz, von dem ich dahingestellt
lasse, ob er von einer Schlußübermalung oder nur von stärkerer
Tränkung mit Fixativ herrühre. Die Erhaltung ist, abgerechnet
einige Wasserflecken und eine gewisse, nicht allzu erhebliche
Verreibung, vortrefflich. Von etwaiger Auffrischung durch Re-
tuschen habe ich, außer an den beschädigten Randpartien, keine
Spur entdeckt. Der leichte und sichere Gang der Reißkohle in
weichen Parallelstrichen ist genau zu verfolgen. Auf bildmäßige
Wirkung wird nicht ausgegangen; überall ist nur das Notwendigste,
und auf dem kürzesten Wege, mit den einfachsten Mitteln gegeben,
wie es ein Künstler tut, der nicht für die Augen Dritter, sondern
zur eigenen Belehrung arbeitet. Besonders zu beachten ist die
Zeichnung der Augen mit der für Lionardo charakteristischen
scharfen Umrandung der Regenbogenhaut (am ausgeprägtesten
auf dem Kopf des Andreas). Genug, wenn schon St aus Gründen,
die ich später ausführen werde, eine eigenhändige Arbeit Lionardos
sicher nicht ist, so spricht doch in der zeichnerischen Behandlung
alles für die Hand eines ihm nahestehenden Schülers.

Zu den Kopien nach Lionardos Abendmahl
die Untersuchung so lange als möglich in der Bahn des logisch
Beweisbaren zu halten. Ich beginne mit der Schilderung und dem
Vergleich der äußeren Merkmale, wobei ich der Kürze halber die
beiden Exemplare durch die Zeichen St und W unterscheiden will.

Der Maßstab der Köpfe ist beidemal gleich, d. i. etwas mehr
als Lebensgröße. Bei W ist der Grund um einiges ausgedehnter;
bei St ist er durch Beschädigung oder ausgleichende Beschneidung
des Randes mit der Zeit kleiner geworden. Die jetzige Bildfläche
von W ist 62 : 48 cm, von St 57 : 44 cm.

Das Papier konnte, weil es derzeit auf Leinwand gezogen ist,
nicht geprüft werden.

Hinsichtlich der technischen Ausführung ist, zunächst über St,
dieses zu bemerken. Die Haupttöne — Fleisch, Haar, Gewand,
Hintergrund — sind mit dünnflüssiger Farbe, wahrscheinlich
Tempera, in gleichförmigem Auftrage unterlegt, Haar und Fleisch
durchsichtig, das stumpfe Rot und Gelb der Gewänder leicht
deckend. Darüber in Kohle der Umriß und die Modellierung.
Auf dem dunkeln Hintergrunde und in den tiefsten Schatten zeigt
die Farbsubstanz einen matten Glanz, von dem ich dahingestellt
lasse, ob er von einer Schlußübermalung oder nur von stärkerer
Tränkung mit Fixativ herrühre. Die Erhaltung ist, abgerechnet
einige Wasserflecken und eine gewisse, nicht allzu erhebliche
Verreibung, vortrefflich. Von etwaiger Auffrischung durch Re-
tuschen habe ich, außer an den beschädigten Randpartien, keine
Spur entdeckt. Der leichte und sichere Gang der Reißkohle in
weichen Parallelstrichen ist genau zu verfolgen. Auf bildmäßige
Wirkung wird nicht ausgegangen; überall ist nur das Notwendigste,
und auf dem kürzesten Wege, mit den einfachsten Mitteln gegeben,
wie es ein Künstler tut, der nicht für die Augen Dritter, sondern
zur eigenen Belehrung arbeitet. Besonders zu beachten ist die
Zeichnung der Augen mit der für Lionardo charakteristischen
scharfen Umrandung der Regenbogenhaut (am ausgeprägtesten
auf dem Kopf des Andreas). Genug, wenn schon St aus Gründen,
die ich später ausführen werde, eine eigenhändige Arbeit Lionardos
sicher nicht ist, so spricht doch in der zeichnerischen Behandlung
alles für die Hand eines ihm nahestehenden Schülers.

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[190/0232] Zu den Kopien nach Lionardos Abendmahl die Untersuchung so lange als möglich in der Bahn des logisch Beweisbaren zu halten. Ich beginne mit der Schilderung und dem Vergleich der äußeren Merkmale, wobei ich der Kürze halber die beiden Exemplare durch die Zeichen St und W unterscheiden will. Der Maßstab der Köpfe ist beidemal gleich, d. i. etwas mehr als Lebensgröße. Bei W ist der Grund um einiges ausgedehnter; bei St ist er durch Beschädigung oder ausgleichende Beschneidung des Randes mit der Zeit kleiner geworden. Die jetzige Bildfläche von W ist 62 : 48 cm, von St 57 : 44 cm. Das Papier konnte, weil es derzeit auf Leinwand gezogen ist, nicht geprüft werden. Hinsichtlich der technischen Ausführung ist, zunächst über St, dieses zu bemerken. Die Haupttöne — Fleisch, Haar, Gewand, Hintergrund — sind mit dünnflüssiger Farbe, wahrscheinlich Tempera, in gleichförmigem Auftrage unterlegt, Haar und Fleisch durchsichtig, das stumpfe Rot und Gelb der Gewänder leicht deckend. Darüber in Kohle der Umriß und die Modellierung. Auf dem dunkeln Hintergrunde und in den tiefsten Schatten zeigt die Farbsubstanz einen matten Glanz, von dem ich dahingestellt lasse, ob er von einer Schlußübermalung oder nur von stärkerer Tränkung mit Fixativ herrühre. Die Erhaltung ist, abgerechnet einige Wasserflecken und eine gewisse, nicht allzu erhebliche Verreibung, vortrefflich. Von etwaiger Auffrischung durch Re- tuschen habe ich, außer an den beschädigten Randpartien, keine Spur entdeckt. Der leichte und sichere Gang der Reißkohle in weichen Parallelstrichen ist genau zu verfolgen. Auf bildmäßige Wirkung wird nicht ausgegangen; überall ist nur das Notwendigste, und auf dem kürzesten Wege, mit den einfachsten Mitteln gegeben, wie es ein Künstler tut, der nicht für die Augen Dritter, sondern zur eigenen Belehrung arbeitet. Besonders zu beachten ist die Zeichnung der Augen mit der für Lionardo charakteristischen scharfen Umrandung der Regenbogenhaut (am ausgeprägtesten auf dem Kopf des Andreas). Genug, wenn schon St aus Gründen, die ich später ausführen werde, eine eigenhändige Arbeit Lionardos sicher nicht ist, so spricht doch in der zeichnerischen Behandlung alles für die Hand eines ihm nahestehenden Schülers.

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/232>, abgerufen am 25.11.2024.