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Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914.

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Die Bauprojekte Nikolaus V. und L. B. Alberti
Beschreibung nichts Vitruvisches enthalten ist, das nicht nach
nächster Wahrscheinlichkeit durch Alberti vermittelt wäre, dagegen
außerdem viele Gedanken, die Albertis originales Eigentum sind.

Mit der speziellen Frage, um derentwillen wir das Wort er-
griffen, hoffen wir zugleich die allgemeine kunstgeschichtliche
Stellung Albertis in ein helleres Licht gesetzt zu haben. Man hat
ihn bis jetzt vorzugsweise als den grundlegenden Theoretiker der
Renaissance beachtet; man hat auch die von seiner konsequenten
Kunstlogik vollzogene Antizipation vieler erst in der Hochrenais-
sance allgemein werdenden Motive wahrgenommen; aber noch
nicht genügend ist er als der entscheidende Propagator der
wiedergeborenen "guten" Architektur, der er war, gewürdigt.
Er hat ihr, nachdem sie bis gegen die Mitte des Jahrhunderts
auf Florenz und dessen nächsten Wirkungskreis eingeschränkt
geblieben, siegreich die Bahn gebrochen im Norden wie im Süden:
1447 beginnt er für den Malatesta von Rimini die Kirche S. Fran-
cesco; 1451 überträgt ihm der Markgraf von Mantua den Chorbau
der Annunziatenkirche in Florenz, der freilich erst zwei Jahrzehnte
später durchgeführt wurde; dann von S. Sebastiano in seiner
Residenzstadt; 1452 Rom.1) In allen drei Fällen sind die Bau-

1) Es muß auch die Frage nach einem möglicherweise vorhandenen
Verhältnis Albertis zu den Bauten von Pienza aufgeworfen werden. Hier
ein paar vorläufige Anhaltspunkte. Daß der Palast Piccolomini nur eine
Variation des Palastes Ruccellai sei, ist längst bemerkt. Doch auch die
Fassade des Domes, mit ihren hier zum ersten Male in der ganzen Höhe
durchgeführten Pilastern, erscheint als ein Anklang an den Stil Albertis,
als eine Vorstufe zu S. Andrea in Mantua. Der Autorschaftsanspruch
schwankt (nachdem Francesco di Georgio beseitigt ist) wiederum zwischen
Bernardo Rosselino und Bernardo di Lorenzo. Für den letzteren entschied
sich Carlo Promis in Cesare Saluzzos Ausgabe des Trattato di Francesco
di Georgio I, p. 10. Da jetzt aber Rosselinos Beziehung zu Alberti und
dem P. Ruccellai deutlich geworden ist, zögere ich nicht, ihn auch für Pienza
anzusprechen. Hiermit wäre mindestens eine indirekte Einwirkung Albertis
konstatiert. Ob auch noch mehr? das verdiente eigens untersucht zu werden.
-- Nachschrift 1914. Nach meiner später gewonnenen Überzeugung
geht auf Albertis Entwurf auch das Grabmal Leonardo Brunis in Sta. Croce
zurück: der Prototyp des spezifischen Renaissancgrabmals, von da ab in
unzähligen Exemplaren wiederholt. Auch mein verstorbener Freund G.
v. Geymüller neigte derselben Ansicht zu.

Die Bauprojekte Nikolaus V. und L. B. Alberti
Beschreibung nichts Vitruvisches enthalten ist, das nicht nach
nächster Wahrscheinlichkeit durch Alberti vermittelt wäre, dagegen
außerdem viele Gedanken, die Albertis originales Eigentum sind.

Mit der speziellen Frage, um derentwillen wir das Wort er-
griffen, hoffen wir zugleich die allgemeine kunstgeschichtliche
Stellung Albertis in ein helleres Licht gesetzt zu haben. Man hat
ihn bis jetzt vorzugsweise als den grundlegenden Theoretiker der
Renaissance beachtet; man hat auch die von seiner konsequenten
Kunstlogik vollzogene Antizipation vieler erst in der Hochrenais-
sance allgemein werdenden Motive wahrgenommen; aber noch
nicht genügend ist er als der entscheidende Propagator der
wiedergeborenen »guten« Architektur, der er war, gewürdigt.
Er hat ihr, nachdem sie bis gegen die Mitte des Jahrhunderts
auf Florenz und dessen nächsten Wirkungskreis eingeschränkt
geblieben, siegreich die Bahn gebrochen im Norden wie im Süden:
1447 beginnt er für den Malatesta von Rimini die Kirche S. Fran-
cesco; 1451 überträgt ihm der Markgraf von Mantua den Chorbau
der Annunziatenkirche in Florenz, der freilich erst zwei Jahrzehnte
später durchgeführt wurde; dann von S. Sebastiano in seiner
Residenzstadt; 1452 Rom.1) In allen drei Fällen sind die Bau-

1) Es muß auch die Frage nach einem möglicherweise vorhandenen
Verhältnis Albertis zu den Bauten von Pienza aufgeworfen werden. Hier
ein paar vorläufige Anhaltspunkte. Daß der Palast Piccolomini nur eine
Variation des Palastes Ruccellai sei, ist längst bemerkt. Doch auch die
Fassade des Domes, mit ihren hier zum ersten Male in der ganzen Höhe
durchgeführten Pilastern, erscheint als ein Anklang an den Stil Albertis,
als eine Vorstufe zu S. Andrea in Mantua. Der Autorschaftsanspruch
schwankt (nachdem Francesco di Georgio beseitigt ist) wiederum zwischen
Bernardo Rosselino und Bernardo di Lorenzo. Für den letzteren entschied
sich Carlo Promis in Cesare Saluzzos Ausgabe des Trattato di Francesco
di Georgio I, p. 10. Da jetzt aber Rosselinos Beziehung zu Alberti und
dem P. Ruccellai deutlich geworden ist, zögere ich nicht, ihn auch für Pienza
anzusprechen. Hiermit wäre mindestens eine indirekte Einwirkung Albertis
konstatiert. Ob auch noch mehr? das verdiente eigens untersucht zu werden.
Nachschrift 1914. Nach meiner später gewonnenen Überzeugung
geht auf Albertis Entwurf auch das Grabmal Leonardo Brunis in Sta. Croce
zurück: der Prototyp des spezifischen Renaissancgrabmals, von da ab in
unzähligen Exemplaren wiederholt. Auch mein verstorbener Freund G.
v. Geymüller neigte derselben Ansicht zu.
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[184/0226] Die Bauprojekte Nikolaus V. und L. B. Alberti Beschreibung nichts Vitruvisches enthalten ist, das nicht nach nächster Wahrscheinlichkeit durch Alberti vermittelt wäre, dagegen außerdem viele Gedanken, die Albertis originales Eigentum sind. Mit der speziellen Frage, um derentwillen wir das Wort er- griffen, hoffen wir zugleich die allgemeine kunstgeschichtliche Stellung Albertis in ein helleres Licht gesetzt zu haben. Man hat ihn bis jetzt vorzugsweise als den grundlegenden Theoretiker der Renaissance beachtet; man hat auch die von seiner konsequenten Kunstlogik vollzogene Antizipation vieler erst in der Hochrenais- sance allgemein werdenden Motive wahrgenommen; aber noch nicht genügend ist er als der entscheidende Propagator der wiedergeborenen »guten« Architektur, der er war, gewürdigt. Er hat ihr, nachdem sie bis gegen die Mitte des Jahrhunderts auf Florenz und dessen nächsten Wirkungskreis eingeschränkt geblieben, siegreich die Bahn gebrochen im Norden wie im Süden: 1447 beginnt er für den Malatesta von Rimini die Kirche S. Fran- cesco; 1451 überträgt ihm der Markgraf von Mantua den Chorbau der Annunziatenkirche in Florenz, der freilich erst zwei Jahrzehnte später durchgeführt wurde; dann von S. Sebastiano in seiner Residenzstadt; 1452 Rom. 1) In allen drei Fällen sind die Bau- 1) Es muß auch die Frage nach einem möglicherweise vorhandenen Verhältnis Albertis zu den Bauten von Pienza aufgeworfen werden. Hier ein paar vorläufige Anhaltspunkte. Daß der Palast Piccolomini nur eine Variation des Palastes Ruccellai sei, ist längst bemerkt. Doch auch die Fassade des Domes, mit ihren hier zum ersten Male in der ganzen Höhe durchgeführten Pilastern, erscheint als ein Anklang an den Stil Albertis, als eine Vorstufe zu S. Andrea in Mantua. Der Autorschaftsanspruch schwankt (nachdem Francesco di Georgio beseitigt ist) wiederum zwischen Bernardo Rosselino und Bernardo di Lorenzo. Für den letzteren entschied sich Carlo Promis in Cesare Saluzzos Ausgabe des Trattato di Francesco di Georgio I, p. 10. Da jetzt aber Rosselinos Beziehung zu Alberti und dem P. Ruccellai deutlich geworden ist, zögere ich nicht, ihn auch für Pienza anzusprechen. Hiermit wäre mindestens eine indirekte Einwirkung Albertis konstatiert. Ob auch noch mehr? das verdiente eigens untersucht zu werden. — Nachschrift 1914. Nach meiner später gewonnenen Überzeugung geht auf Albertis Entwurf auch das Grabmal Leonardo Brunis in Sta. Croce zurück: der Prototyp des spezifischen Renaissancgrabmals, von da ab in unzähligen Exemplaren wiederholt. Auch mein verstorbener Freund G. v. Geymüller neigte derselben Ansicht zu.

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Zitationshilfe: Dehio, Georg: Kunsthistorische Aufsätze. München u. a., 1914, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/dehio_aufsaetze_1914/226>, abgerufen am 12.12.2024.